Rezension über:

Jaroslava Hausenblasová / Jiří Mikulec / Martina Thomsen (Hgg.): Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen. Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; Bd. 46), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, 290 S., 11 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-10609-2, EUR 52,00
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Rezension von:
Michael Kaiser
Max Weber Stiftung, Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kaiser: Rezension von: Jaroslava Hausenblasová / Jiří Mikulec / Martina Thomsen (Hgg.): Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen. Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 1 [15.01.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/01/24815.html


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Jaroslava Hausenblasová / Jiří Mikulec / Martina Thomsen (Hgg.): Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen

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Im Mittelpunkt dieses Sammelbands steht der sogenannte Majestätsbrief, den Kaiser Rudolf II. im Jahr 1609 erlassen und damit in Böhmen weitgehende Religionsfreiheit ermöglicht hat. In einer Phase des Konfessionellen Zeitalters, die von zunehmender Verhärtung der konfessionellen Fronten und wachsender Konfliktbereitschaft gekennzeichnet war, legte der Majestätsbrief eine rechtliche Grundlage für das Nebeneinander verschiedener Glaubensrichtungen. Diese Konstruktion von konfessioneller Pluralität hielt jedoch nur ein Jahrzehnt und ging mit dem böhmischen Aufstand und seiner Niederschlagung unter; dass Ferdinand II. nach dem Sieg am Weißen Berg das Dokument zerschnitt, war nicht nur eine symbolische Vernichtung, sondern auch ein rechtlicher Akt der Annullierung des Majestätsbriefs.

Die engere Geschichte dieses Dokuments umfasste also nur ein paar Jahre von der Inkraftsetzung bis zur Aufhebung. Die Konzeption des Bandes dagegen ist deutlich breiter angelegt und misst einen Berichtszeitraum, der von den hussitischen Anfängen im 15. Jahrhundert bis in die Rezeptions- und Forschungsgeschichte der Gegenwart reicht. Damit vermeiden die Herausgeber auch, den Majestätsbrief lediglich als ein Thema im Vorfeld des Dreißigjährigen Kriegs abzuhandeln. Gleich die Einleitung stellt mit den Verweisen auf den Kuttenberger Religionsfrieden von 1485, den Augsburger von 1555 sowie das Edikt von Nantes von 1598 nicht nur zeitlich vertiefende Bezüge heraus, sondern verweist auch auf allgemein europäische Tendenzen. Die zeitlich weitgefasste Perspektive findet sich auch im Beitrag von W. Eberhard wieder, der die Vorgeschichte des Majestätsbriefs nachzeichnet und hier vor allem die "hussitische Kontinuität" betont (43). Die eigene böhmische Entwicklung in der Reformationsgeschichte wird auch von I. Rößler betont, die die Wurzeln der Confessio Bohemica (1575), der Grundlage für die Regelungen von 1609, weniger in der Konfessionsschrift von 1530 oder dem Religionsfrieden von 1555 sieht, sondern hussitische Vorlagen wie die Vier Prager Artikel von 1420 identifiziert.

Auf die damit abgehandelte Vorgeschichte des Majestätsbriefes folgen noch fünf weitere Sektionen. Europäische Aspekte werden anhand der Beispiele Kursachsen und der Kurie vorgestellt. Die landständische Thematik wird anhand von vier Aufsätzen nachgezeichnet, wobei mit Peter Wok von Rosenberg und Karl d. Ä. von Žerotín nicht nur zwei besondere Exponenten ständischer Politik hervortreten, sondern auch biographische Elemente eine Rolle spielen. Ebenfalls vier Artikel illustrieren die Auswirkungen der Regelungen von 1609 in der Alltagspraxis, gespiegelt in der Kirchenverwaltung sowie im Schulwesen der Nichtkatholiken, der utraquistischen Pfarreien in Prag und dem Kirchenbau. Zur Rolle des Majestätsbriefs in der Propaganda und Mentalität äußern sich wiederum vier Beiträge, wobei mit den Flugblattpolemiken, der katholischen Barockgesellschaft, aber auch der Rolle des Comenius der zeitliche Rahmen auf die Phase nach der Aufhebung des Majestätsbriefs gelenkt wird. Dies gilt erst recht für die abschließende Sektion mit einem Beitrag zur Rezeptionsgeschichte und einem zweiten zur Erinnerungskultur.

Die insgesamt 19 Einzelbeiträge decken somit einen weiten thematischen Raum ab. In der Einleitung finden sich zwar einige entschuldigende Hinweise auf die Aspekte, die in diesem Sammelband nicht behandelt werden konnten (19 u. 21). Mag diese Offenheit im Umgang mit den wissenschaftlichen Begrenzungen aller Ehren wert sein, sei doch an der Stelle betont, dass sich dieser Band ungeachtet bestehender thematischer Lücken durch eine Multiperspektivität und ein Facettenreichtum auszeichnet, wie man sie in vielen vergleichbaren Sammelbänden vergeblich sucht.

Die Beiträge können hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden. Aber zumindest sollen einige auffallende Befunde und Aspekte benannt werden. Wichtig ist der Hinweis darauf, dass die Regelung von 1609 nicht nur den Majestätsbrief hervorbrachte, sondern auch einen Ausgleich unter den Ständen (44). Dies lässt sich zwar in struktureller Hinsicht als Ausdruck einer auf Konsens bedachten Politikform deuten, doch aus anderem und näherem Blickwinkel kamen die Kontroversen deutlich zum Vorschein. Denn nur ein Teil der katholischen Stände war kompromissbereit, viele lehnten den Majestätsbrief ab. Zwar gab es eine gemäßigte Gruppe um Oberstburggraf Adam von Sternberg, die mit religionspolitischen Zugeständnissen vor allem die böhmische Königskrone für Rudolf II. retten wollte (121 f.). Viel rigoroser, ja radikaler war die sogenannte "neue katholische Generation" (132) unter Oberstkanzler Lobkowitz, der die Entscheidung für den Majestätsbrief nicht mittragen wollte und seine Unterschrift - übrigens folgenlos für ihn - verweigerte. Dagegen war die skeptisch-ablehnende Haltung der Kurie wenig überraschend, deren Ärger fokussiert sich aber vor allem auf Rudolf II. selbst; der Prager Nuntius Caetani sprach sogar von der Exkommunizierung des Kaisers (60 f.). Doch auch die kursächsische Haltung stieß bei den Ständen keineswegs auf Zustimmung; schon auf reichspolitischer Ebene bewegte sich Kurfürst Christian II. ganz im kaiserlichen Fahrwasser (65 f.), sein Gesandter in Prag war eifrig bei den Verhandlungen um den Majestätsbrief involviert und brachte auch einen eigenen Entwurf ein, keineswegs zum Gefallen der Stände (77 f.).

Eine weitere Bruchlinie unter den Ständen waren die Differenzen zwischen den böhmischen und mährischen Ständerepräsentanten, exemplifiziert durch den Mährer Žerotín, der vor allem die Eigenständigkeit Mährens angesichts einer als drohend empfundenen böhmischen Dominanz zu sichern suchte (112 f.). Wie unterschiedlich beide Ständecorpora agierten, zeigte sich in der Unterstützung der Böhmen für Rudolf II., während die Mährer dessen Bruder Matthias als Herrscher präferierten. Die Dimension von Žerotíns politischen Aktionen zeigte sich auch darin, dass seine Kontakte und Absprachen mit nichtkatholischen Ständen der anderen habsburgischen Lande politischer Alltag waren (104). An dem Punkt wäre tatsächlich ein Blick auf die Situation in Schlesien und die Berücksichtigung des schlesischen Majestätsbriefs aufschlussreich gewesen. Dass auch unter den nichtkatholischen Ständen eine einheitliche und konstruktive Haltung herzustellen schwierig war, zeigt das Wirken Peter Woks von Rosenberg. Auch in der Zurückgezogenheit auf seinem im Südböhmischen gelegenen Schloss Wittingau (Třeboň) spielte er eine wichtige Vermittlerrolle (z.B. 98). Die durchaus melancholisch gehaltene Darstellung seines Wirkens verweist allerdings schon darauf, dass es sich hier um ein politisches Auslaufmodell handelte.

Allen Aufsätzen - bis auf diejenigen zur Vorgeschichte und Rezeption - ist gemeinsam, dass sie knapp gehalten sind und mitunter kaum mehr als 10 Druckseiten umfassen. Gleichwohl zeichnen sie sich durchweg durch eine große Quellennähe aus und beziehen unpubliziertes Material mit ein. Auch die Anbindung an die Forschung wird jeweils sehr ausführlich dokumentiert; hierbei fällt auf, dass eine traditionsreiche und auch aktuell blühende tschechische Historiographie zu diesem thematischen Umfeld existiert, die in der deutschen Forschungslandschaft aufgrund der Sprachbarriere leider kaum Wirkung entfalten dürfte. Viele Beiträge dürften damit aber zumindest eine Schaufensterfunktion haben.

Aus Perspektive der deutschen Forschung wird der Band vor allem einen Bewusstseinswandel befördern helfen: dass der Majestätsbrief eben nicht nur als ein Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg begriffen werden darf, sondern Teil einer langen Entwicklung in der böhmischen Geschichte ist. Daraus wird auch deutlich ersichtlich, dass es keine zwangsläufige Finalität gab, die unausweichlich zum Fenstersturz und zum böhmischen Aufstand einige Jahre später führen musste. [1] Die Offenheit der historischen Situation, die aus der ex-post-Sicht so gern verwischt wird, ist hier auf mustergültige Weise herausgestellt. Der wissenschaftliche Wert des vorliegenden Bandes ist enorm, er wird auf sehr lange Zeit die Forschung befruchten können.


Anmerkung:

[1] Einige Aspekte, die den Bogen von 1609 zu späteren Entwicklungen schlagen, habe ich kurz auf meinem Blog zum Dreißigjährigen Krieg behandelt: http://dkblog.hypotheses.org/583

Michael Kaiser