Rezension über:

Ursula Mende: Die mittelalterlichen Bronzen im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum 2013, 484 S., ISBN 978-3-936688-62-7, EUR 65,00
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Rezension von:
Joanna Olchawa
Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
Joanna Olchawa: Rezension von: Ursula Mende: Die mittelalterlichen Bronzen im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 11 [15.11.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/11/25830.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Ursula Mende: Die mittelalterlichen Bronzen im Germanischen Nationalmuseum

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Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg beherbergt eine außergewöhnlich formenreiche Sammlung an mittelalterlichen Bronzewerken. Der Besucher kann rankenverzierte Leuchter, komplex gestaltete Kästchen und figürliche Handwaschgefäße (auch Aquamanilien genannt) aus diversen Regionen bewundern, sowie stadtgeschichtlich bedeutsame Monumentalwerke wie den sogenannten Brunnenhansel, eine Brunnenfigur aus dem Hof des Heiliggeistspitals in Nürnberg. Doch so sehr jene Artefakte das Museumspublikum zu faszinieren imstande sind, so wenig waren bisher insbesondere die kleinformatigen Objekte - ausgenommen einiger Einzelstücke - Gegenstand wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gewesen.

Zehn Jahre, 2001 bis 2011, hat die führende Spezialistin für mittelalterliche Bronzewerke Ursula Mende an dem zu besprechenden Bestandskatalog der Bronzen im Germanischen Nationalmuseum gearbeitet und das merkt man seiner Qualität auch an: Die oft hohe kunst- und kulturwissenschaftliche Bedeutung des nahezu vollständigen Spektrums der im Museum beherbergten Bronzewerke [1] wird nun evident; die einzelnen Werke werden durch die bemerkenswert ausführliche, teilweise erstmalige Behandlung gleichsam zum Strahlen gebracht. Ferner besticht der Katalog durch zwei Besonderheiten: Zum einen werden die Beschreibungen durch ein reiches Bildmaterial mit neuen Gesamt- und Detailaufnahmen ergänzt, sodass die Bronzen in ihrer Vielansichtigkeit bzw. Objekthaftigkeit gewürdigt und auch ihre Zuordnungen unter verwandten Werken unverzüglich nachvollziehbar werden. Zum anderen wird auf die bisweilen übliche Trennung zwischen den autonomen Künsten und den funktionsgebundenen Gebrauchsgegenständen verzichtet. So stehen erfreulicherweise Artefakte der Sammlungsbereiche der Plastik und des Kunsthandwerks auf einer Ebene mit wissenschaftlichen Instrumenten, Schmuck sowie den verschiedensten Geräten wie Zapfhähnen und Feuerspritzen und eröffnen in der Zusammenschau neue Perspektiven.

Bestandskataloge zu mittelalterlichen, sich in Museen befindenden Bronzewerken sind nicht ungewöhnlich. Das ungarische Nationalmuseum in Budapest hat solch einen Katalog zu 335 Werken vorgelegt, so auch das Museum of Fine Arts in Boston mit 71 Einträgen oder das Rijksmuseum in Amsterdam mit über 500 untersuchten Bronzen. [2] Doch Ursula Mendes Publikation mit 211 Katalognummern behandelt die Werke viel detaillierter. Die stets präzise Herangehensweise äußert sich bereits in der Einführung, in deren Unterkapitel zu Material und Technik auch neue Überlegungen hinsichtlich der Terminologie formuliert werden. Der Terminus "Bronze" bezeichnet in der Forschung nur selten tatsächlich die Kupfer-Zinn-Legierung und dient oft lediglich als Oberbegriff für Gusswerke aus unedlen Metallen. Diese disparate Verwendung des Begriffes ist allgemein bekannt, doch erst Ursula Mende nennt konsequenterweise das Material der im Katalog vorgestellten Werke "Kupferlegierung". So geringfügig diese Änderung auch klingen mag, sie bedeutet tatsächlich eine Erneuerung.

Dem nach der Einleitung eingefügten Farbtafelteil, gewissermaßen der visuellen Einführung, schließt sich der eigentliche Katalog an. Die teilweise bisher unveröffentlichten Artefakte sind in 14 Kapitel nach Gattungen geordnet - wobei die Kategorisierung fließende Grenzen offenbart: So ist der Eintrag zu dem Taufbecken aus Hemmingstedt (Nr. 139) nicht bei den großformatigen Bildwerken (I) untergebracht, sondern bei den formal und technisch näher stehenden Glocken (X). Besonders spannend ist das die Nachgüsse und Fälschungen thematisierende Kapitel XIII. Anhand der genauen Beschreibung der Werke und derjenigen Aspekte, an denen eine Fälschung oder eine Replik zu erkennen sind, eröffnet die Autorin die Möglichkeit, des Lesers eigene Auge in der Unterscheidung zwischen mittelalterlichen und modernen Bronzen zu schulen. Die einzelnen Einträge gliedern sich ansonsten in der ausführlichen Erörterung des Erhaltungszustands, der Erwerbungsgeschichte, der Beschreibung und einem Kommentar zum Stil, zur Ikonografie und dem historischen Hintergrund. Die zahlreich angeführten Vergleichsmöglichkeiten und die plausiblen Argumentationen zu den jeweiligen Entstehungskoordinaten lassen nichts zu wünschen übrig. Die Autorin erzwingt keine definitiven Antworten, sondern macht eher auf wissenschaftliche Desiderate aufmerksam. In den Literaturverweisen wird häufig auf noch nicht veröffentlichte Manuskripte verwiesen, was die Intensität der Recherche und Konsultation weiterer Experten belegt. Wertvoll für weiterführende Forschungen ist die im Anhang zu findende Tabelle mit 127 Materialanalysen, die teils auf neuen Untersuchungen von Josef Riederer (Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin) basiert.

Das Buch ist weit mehr als nur eine Addition harter Fakten und wird, wie übrigens die anderen Bestandskataloge des Germanischen Nationsmuseums [3], nicht so schnell an Aktualität verlieren. Aufgrund der klaren Sprache, der zahlreichen, jedoch nie redundanten Erklärungen und der sammlungsgeschichtlichen Orientierung bietet es eine gute Ergänzung zu der bereits bestehenden Grundlagenforschung zu mittelalterlichen Bronzewerken. [4] Besonders erfreulich ist, dass alle Einträge samt Abbildungen in der digitalen Objektdatenbank des Museums zu finden sind und so immer nachgeschlagen werden können.


Anmerkungen:

[1] Zu den ausgeklammerten Werkgruppen wie die Epitaphien oder die historischen Schlüssel und Schlösser entstehen gesonderte Bestandskataloge. Siehe: http://www.gnm.de/forschung/forschungsprojekte/bestandskatalog-der-grabdenkmaeler/; http://www.gnm.de/forschung/forschungsprojekte/bestandskatalog-historische-schluessel-und-schloesser/ (zuletzt aufgerufen: 10.10.2014).

[2] Zsuzsa Lovag: Mittelalterliche Bronzegegenstände des Ungarischen Nationalmuseums (= Catalogi Musei Nationalis Hungarici, Series archaeologica; Bd. 3), Budapest 1999; Nancy Netzer: Medieval Objects in the Museum of Fine Arts, Boston: Metalwork, Boston 1991; Onno ter Kuile: Koper & brons (= Catalogues of the applied arts in the Rijksmuseum Amsterdam; Bd. 1), Amsterdam 1986. Auf diese und weitere Bestandkataloge verweist Ursula Mende selbst (11).

[3] Zuletzt erschienen: Thomas Schindler: Werkzeuge der Frühneuzeit im Germanischen Nationalmuseum. Bestandskatalog, Nürnberg 2013.

[4] Gemeint ist hierbei die Schriftenreihe "Bronzegeräte des Mittelalters" des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft mit Katalogen zu Leuchtern und Aquamanilien (1935), Türziehern (1981), Kreuzfüßen (1981), Bronze- und Messinggefäßen (1988), Bronzekruzifixen (1992), Grabdenkmälern der Nürnberger Vischer-Werkstatt (2006) und neuerdings Weihrauchfässern (2014).

Joanna Olchawa