Rezension über:

Raingard Eßer / Stephen G. Ellis (eds.): Frontier and Border Regions in Early Modern Europe (= The Formation of Europe / Historische Formationen Europas; Vol. 7), Hannover: Wehrhahn Verlag 2013, 264 S., ISBN 978-3-86525-363-7, EUR 29,50
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Rezension von:
Josef Köstlbauer
Institut für Germanistik, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Josef Köstlbauer: Rezension von: Raingard Eßer / Stephen G. Ellis (eds.): Frontier and Border Regions in Early Modern Europe, Hannover: Wehrhahn Verlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 10 [15.10.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/10/25062.html


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Raingard Eßer / Stephen G. Ellis (eds.): Frontier and Border Regions in Early Modern Europe

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Der vorliegende Sammelband ist das jüngste Produkt einer mehrjährigen fruchtbaren Zusammenarbeit von Raingard Eßer (Groningen) und Steven G. Ellis (Galway). Sie beschäftigen sich seit Jahren mit der Geschichte Irlands und Nordenglands (Ellis), Migration und Erinnerungskultur (Eßer) und Grenzen in der Frühen Neuzeit. 2009 erschien beim Verlag der Universität Pisa Frontiers, Regions and Identities in Europe, 2006 der Band Frontiers and the Writing of History (1500-1700) - gleichzeitig Band 1 der Reihe The Formation of Europe / Historische Formationen Europa des deutschen Wehrhahn Verlags, in dem auch das vorliegende Buch als Band 7 erschienen ist. [1]

Die elf hier versammelten Beiträge sind grob chronologisch geordnet, der behandelte Zeitraum reicht vom frühen 16. Jahrhundert bis in die letzte Dekade des 18. Jahrhunderts. Geografisch ist ein westeuropäischer Schwerpunkt erkennbar (Schottland, Nordengland, Irland, Frankreich, Geldern, Brabant) mit mittel- bzw. nordosteuropäischen (Schweiz, Livland) Weiterungen.

Der Titel Frontiers and Border Regions ist mit Bedacht gewählt. "Region" ist hier kein verwaschenes Synonym für schwer zu definierende Grenzzonen, vielmehr prägen regionalhistorische Ansätze die Beiträge dieser Sammlung. Durchwegs überzeugend stellen sie dar, wie sich bestimmte (Grenz-)Regionen in der Wahrnehmung und/oder Identität der Zeitgenossen konstituierten.

In Ihrer Einleitung verzichten Eßer und Ellis wohltuenderweise auf Versuche, Region als abstrakte Kategorie zu definieren und weisen stattdessen ganz dezidiert auf die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens hin (9). Die in den Beiträgen vorgestellten, sehr unterschiedlichen historischen Situationen hätten diesem Ziel auch in jedem Fall entgegengestanden. Regionen wie Grenzen sind in sämtlichen hier versammelten Aufsätzen immer konkrete historische Situation. Ein distinkter komparativer Ansatz ergibt sich dabei nicht (auch in der Einleitung wird ein solcher nicht skizziert), aber en passant vermittelt die Lektüre sehr wohl einen nachhaltigen Eindruck von Unterschieden und Gemeinsamkeiten der vorgestellten Grenzregionen und vor allem von der Pluralität identitärer Konstruktionen im neuzeitlichen Europa. Über den Zeitraum von nahezu dreihundert Jahren hinweg lässt sich ein Nebeneinander von Veränderung und Beharrung erkennen, das allzu einfache Modelle historischer Entwicklung konterkariert. Dies betrifft vor allem Vorstellungen von der schrittweisen Durchsetzung und homogenisierenden Wirkung des frühneuzeitlichen Staates. Während diese zweifellos gegeben war, zeigt sich doch überall, dass sich staatliche Herrschaft in Kommunikation mit lokalen oder regionalen Gegebenheiten entfaltete. Ebenso erweist sich, dass in der Wahrnehmung und Identität von Grenzbevölkerungen alte Muster von großer, weit über den hier behandelten Zeitraum hinausreichender, Langlebigkeit waren.

Die Herausgeber wie auch einzelne Autorinnen und Autoren verorten sich mit ihrer Arbeit sehr bewusst in der Historiographie zu Grenzen (siehe etwa Ellis/Eßer, 14; Groundwater, 23-27). Sie konstatieren, dass die politische Dimension von Grenzen und damit auch ihre trennende, ausschließende Funktion zunehmend aus dem Blick geraten ist. Stattdessen wären vor allem Prozesse des Kulturtransfers, des Austausches, der Grenzüberschreitungen betont worden. Zweifellos haben ethnografisch und kulturwissenschaftlich inspirierte Forschungen alte Vorstellungen von Grenzen als rein politisch-militärisches Phänomen mit Erfolg relativiert. Jede Grenzsituation ist von Ambiguität geprägt, jede Grenze ist charakterisiert von der Gleichzeitigkeit von Barrieren- und Portalfunktion. Gerade Untersuchungen, die sich mit Grenzgesellschaften beschäftigen, betonen zwangsläufig Durchlässigkeit und grenzüberschreitende Momente - auf kultureller Ebene, in Identitätskonstruktionen, in Mentalitäten. Esser und Ellis verweisen selbst darauf, dass frühneuzeitliche Grenzen gleichzeitig durchlässig und starr waren ("permeable and fixed", 13).

Die hier versammelten Beiträge gehen hinter diese etablierte Erkenntnis nicht zurück, aber sie setzen sich sehr bewusst mit der politischen Dimension frühneuzeitlichen Grenzen/Grenzregionen auseinander und mit Vorstellungen von Verschiedenheit, die sich in Grenzregionen manifestierten. Anna Groundwater (Edinburgh) etwa relativiert die Vorstellung von der anglo-schottischen Border als eigenständiger Region und weist die trennende Funktion dieser Grenze sowie die Bedeutung schottischer bzw. englischer Identität für die Grenzeliten nach. Ähnliches zeigen die Beiträge von Ellis und Gerald Power (Prague) zum als The Pale bekannten alten normannisch-englischen Siedlungsgebiet in Irland während der Tudor-Periode.

Besonders deutlich wird die Komplexität frühneuzeitlicher Grenzsituationen in den Beiträgen von Raingard Eßer und Bertrand Forclaz (Neuchâtel). Eßer analysiert die Rhetorik der Gemeinsamkeit und Nachbarschaftlichkeit, derer sich die lokalen Eliten im spanisch beherrschten Obergeldern gegenüber den übrigen Quartieren Gelderns befleißigten. Die historische Erfahrung der Trennung und die konfessionelle Spaltung spielten darin keine Rolle. Nur von außen kommende Akteure, wie etwa die Jesuiten, bedienten sich einer konfessionellen Rhetorik des Gegensatzes. Forclaz untersucht Identitätskonstruktionen in der Grafschaft Neuchâtel und im Bistum Basel während des Dreißigjährigen Krieges. Hier überschnitten sich Grenzen zwischen der Schweizer Konföderation, dem Reich und Frankreich, zwischen Katholizismus und Protestantismus in vielfacher Weise. Forclaz demonstriert wie komplex und widersprüchlich sich die Konstruktion politischer und konfessioneller Identitäten in diesen Verhältnissen gestaltete.

Der vorliegende Sammelband bietet insgesamt einen hervorragenden Einblick in aktuelle Forschung zu frühneuzeitlichen Grenzen. Der Fokus auf Identitäten und die politische Funktion von Grenzen erweist sich als durchaus fruchtbar. Einzig der ausgeprägte irisch-englisch-schottische Schwerpunkt verwundert etwas in einer Geschichte der europäischen Grenzen. Von den ersten sechs Beiträgen widmen sich drei irischen Grenzregionen und drei nordenglischen/schottischen Grenzgebieten. Das mag sich aus der Genese des Bandes aus einer Konferenz in Galway im Jahr 2012 erklären, und aus dem Umstand, dass zu Nordengland wie zu Irland eine Tradition von Grenzhistoriografie existiert. Gleichwohl ergibt sich eine große geografische wie thematische Bandbreite. Sie macht den Band zu einer bereichernden Lektüre sowohl für Historiker und Historikerinnen, die sich mit Grenz- oder Regionalgeschichte auseinandersetzen, als auch für Kollegen und Kolleginnen, die sich für politische und konfessionelle Identitätskonstruktionen im frühneuzeitlichen Europa interessieren.


Anmerkung:

[1] Steven Ellis / Raingard Eßer (eds.): Frontiers, Regions and Identities in Europe, Pisa 2009 (Thematik work group. 5. Frontiers and identities; Bd. 4); Dies. (eds.): Frontiers and the writing of history, 1500-1850, Hannover-Laatzen 2006 (The Formation of Europe / Historische Formationen Europa; Bd. 1).

Josef Köstlbauer