Rezension über:

Hans-Dieter Otto: Für Einigkeit und Recht und Freiheit. Die deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon 1806-1815, Ostfildern: Thorbecke 2013, 176 S., ISBN 978-3-7995-0749-3, EUR 24,99
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Rezension von:
Erich Pelzer
Historisches Institut, Universität Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Erich Pelzer: Rezension von: Hans-Dieter Otto: Für Einigkeit und Recht und Freiheit. Die deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon 1806-1815, Ostfildern: Thorbecke 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 5 [15.05.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/05/23497.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "'Befreiungskriege'" in Ausgabe 14 (2014), Nr. 5

Hans-Dieter Otto: Für Einigkeit und Recht und Freiheit

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Der hier anzuzeigende Band, den der Sachbuchautor Hans-Dieter Otto anlässlich der Zweihundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig für ein breiteres Leserpublikum geschrieben hat, ist schon vom Titel her irreführend. Die politische Begrifflichkeit des Obertitels hat nichts mit den Befreiungskriegen gegen Napoleon zu tun, sondern verweist auf eine demokratische Tradition in der deutschen Geschichte, die eher zur Revolution von 1848 sowie zum Text unserer heutigen Nationalhymne passt, als zu dem Thema des Buches. Darüber ist sich der Autor nach hundertsechzig Seiten selbst im Klaren, denn am Ende seiner Ausführungen muss er eingestehen: "Doch ein Deutschland in Einigkeit und Recht und Freiheit ist in weite Ferne gerückt." (161).

Von diesem Befund ganz abgesehen ist der Untertitel schlichtweg falsch, denn er enthält eine Periodisierungsangabe, die den Beginn der deutschen Befreiungskriege in einen Zeitraum vorverlegt, als Napoleon gerade dabei war, eine Neuordnung der politischen Landkarte Deutschlands zusammen mit deutschen Reichsfürsten in Angriff zu nehmen. Der 1806 in Paris aus der Taufe gehobene Rheinbund war ein politisches und militärisches Bündnis mit zunächst 16 souveränen deutschen Staaten, der später auf 39 Staaten anwuchs, und das Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation einläutete. Von 1805 bis 1808, auf dem Höhepunkt seiner Macht über Europa, war es für viele Staaten auf dem europäischen Kontinent opportun, sich in einer Allianz mit Napoleon zu befinden. Die Befreiung vom napoleonischen Joch erscheint erst nach der Katastrophe der Grande Armée in Russland 1812 als Ziel europäischer Politik realisierbar. Allgemein datiert man heute die europäischen Befreiungskriege von 1813 bis 1815, während die nationalstaatliche Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch einseitig von den "Deutschen Befreiungskriegen" sprach. Ob der Autor oder der Verlag für diesen historisch falschen Titel verantwortlich ist? Hans-Dieter Otto selbst beginnt jedenfalls seine Geschichtserzählung mit "Preußen am Tiefpunkt seiner Erniedrigung" - der Niederlage gegen Napoleon in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt im Jahre 1806.

Das kleine Buch beinhaltet auf zwölf Kapitel verteilt und in chronologischer Abfolge nicht allein und ausschließlich die deutsche Geschichte im Zeitraum von 1806 bis 1815, sondern behandelt die Feldzüge und die Politik, während der Herrschaft Napoleons im europäischen Rahmen, allerdings betont einseitig aus der Sicht der Gegner und Kritiker des Franzosenkaisers. Neuigkeiten bietet es kaum, sondern beinhaltet in der Regel Bekanntes aus der Politik-, Kultur-, Literatur- sowie Militärgeschichte und verzichtet gänzlich auf Fußnoten. Die im Anhang notierte deutschsprachige Literatur illustriert eine eigenwillige Auswahl zwischen älteren Geschichtswerken (Johann Gustav Droysen, Franz Schnabel, Walter Görlitz), Veröffentlichungen politischer Publizisten (Bernt Engelmann, Joachim Fernau, Sebastian Haffner, der Verfasser führt dazu drei eigene, nicht zum Thema gehörende Werke auf) und neueren wissenschaftlichen Arbeiten (Barbara Beßlich, Karen Hagemann, Ute Planert). Was beim Lesen ins Auge springt, ist eine ganze Reihe an sachlichen Fehlern. Warum stellt Otto Goethe bei seiner berühmten Unterredung mit Napoleon in Erfurt 1808 einen Dolmetscher an die Seite (42), obwohl der Weimarer Dichterfürst sehr gut Französisch sprach? Schließlich hat kein Geringerer als Goethe selbst Voltaires Tragödie Mahomet aus dem Französischen ins Deutsche (1802) übertragen! Bei der Schilderung des Tiroler Aufstandes 1809 verstrickt sich der Autor in einen chronologischen Widerspruch, indem er den Verrat an Andreas Hofer vor dem Zusammenbruch des Aufstandes Anfang November 1809 datiert (57). In Wirklichkeit verriet der Tiroler Franz Raffl das Versteck seines berühmten Landsmanns auf der Pfandleralm am 28. Januar 1810 an die Franzosen, woraufhin dieser in die Festung Mantua gebracht und am 20. Februar 1810 auf Geheiß Napoleons im Festungsgraben erschossen wurde. Und auch territoriale Restrukturierungen bringt der Autor durcheinander. Nach dem Friedensschluss von Schönbrunn (1809) wurde nicht das Königreich Illyrien mit "Dalmatien, Kroatien, Istrien, Krain und Kärnten" (58) neu geschaffen, sondern Frankreich annektierte die illyrischen Provinzen, die bis 1814 dem französischen Mutterland angehörten. Erst von 1814 wurde das Königreich Illyrien aus der Taufe gehoben. Es bestand bis 1849 - allerdings unter der Herrschaft der österreichischen Habsburger.

Das vorgestellte Buch hinterlässt einen eigenartigen Eindruck. In ihm überwiegen patriotische bis deutschnationale Stimmen der zeitgenössischen Gegner Napoleons (Kleist, Fichte u.a.) und seiner Kritiker (Talleyrand, Metternich etc.). Was bedenklich stimmt ist, dass der Autor im Grunde eine lineare Niedergangsgeschichte der napoleonischen Herrschaft über Europa von 1806 bis 1815 schreibt und dabei unberücksichtigt lässt, dass mit Napoleon - jenseits von Sieg und Niederlage, von Krieg von Frieden - ein umfassender Reformimpuls gerade in Deutschland in Gang gesetzt wurde, der langfristige Wirkungen in ganz Europa hinterlassen hat. Ob der Autor, der ein "Lexikon der militärischen Irrtümer" herausgegeben hat, auch bereit wäre, ein "Lexikon der historischen Irrtümer" herauszubringen?

Erich Pelzer