Rezension über:

Joseph C. Miller: The Problem of Slavery as History. A Global Approach (= The David Brion Davis Series), New Haven / London: Yale University Press 2012, XII + 218 S., ISBN 978-0-300-11315-0, GBP 20,00
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Rezension von:
Florian Kerschbaumer
Institut für Geschichte, Alpen-Adria-Universität, Klagenfurt
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Florian Kerschbaumer: Rezension von: Joseph C. Miller: The Problem of Slavery as History. A Global Approach, New Haven / London: Yale University Press 2012, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 9 [15.09.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/09/20474.html


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Joseph C. Miller: The Problem of Slavery as History

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Hält man das erste Mal das neue Werk des amerikanischen Historikers Joseph C. Miller in den Händen, so stellt sich das Gefühl eines Déjà-vu ein, erinnern doch Titel und Aufmachung an David Brions Davis' Klassiker The Problem of Slavery in Western Culture bzw. The Problem of Slavery in the Age of Revolution. [1] Das ist kein Zufall. Einerseits erscheint das Buch in der David Brion Davis Series bei Yale University Press, anderseits nimmt Miller immer wieder würdigend Bezug auf diese Referenzwerke, welche "the standard for problematizing historical clichés" gesetzt haben (3). Miller, der sich unter anderem als Herausgeber der Bibliography of Slavery and World Slaving verdient gemacht hat [2], möchte mit seiner Arbeit ebenfalls einen gewichtigen Beitrag zum Erkenntnisprozess der Sklavereiforschung leisten. Seine zentrale Perspektive auf das Forschungsfeld liegt darin, Sklaverei nicht primär als eine statische Institution anzusehen, sondern als einen dynamischen Prozess respektive eine historische Strategie, denn "portrayals of 'slavery as an institution' transcending time and space have frozen the dynamics of slaving in most parts of the world as a historical process." (1)

Um diese Betrachtungsweise gedeihlich anzuwenden bedarf es, so Miller, zunächst einer kritischen Reflexion der bisherigen akademischen Auseinandersetzung mit Sklaverei und Sklavenhandel. Miller widmet diesem Gedanken das erste der insgesamt vier Kapitel seines Buches, und verortet zugleich einige Problemfelder. So warnt er eindringlich vor einer zu großen emotional und teleologisch geführten Debatte, deren Ursachen sowohl in der dem Thema innewohnenden politischen und ideologischen Brisanz als auch in unserer gegenwärtigen moralischen Aversion gegenüber Unfreiheit im allgemeinen und Sklaverei im speziellen liegt.

Miller plädiert daher, um den "Perils of Presentism" (4) prophylaktisch entgegenzuwirken, für eine historisierende respektive epistemologische Herangehensweise: "Thinking about slavery in an epistemologically historical way means tracking observable outcomes of human strategies of slaving, particularly as motivated and enabled in unsettling contexts of rapid change, an intended (by the slavers) to effect further changes in their historical contexts." (9)

Viele der von Miller in seiner Reflexikon angesprochenen Punkte erscheinen im ersten Moment nicht der Rede wert zu sein, impliziert doch eine moderne Geschichtswissenschaft genau jene von ihm geforderte kritische Betrachtungsweise. Wer sich jedoch mit der einschlägigen Fachliteratur beschäftigt, der wird oftmals auf emotionalisierte Passagen stoßen, was angesichts des Forschungsthemas wenig verwunderlich ist. Daher liest sich die von Miller vorangestellte reflexive Auseinandersetzung mit der Methodik, aber auch der Forschungsgeschichte zum Thema Sklaverei durchaus gewinnbringend. Dies gilt insbesondere, da Miller sich mit seiner Forderung nach einer kritischen Distanz keineswegs für eine Rückkehr in die Elfenbeintürme stark macht, sondern genau das Gegenteil verlangt: "My hope is that historicizing slaving [...] will suggest relevant strategies of moderating the circumstances that render some people vulnerable to enslavement and induce others to slave at their expense." (xi)

Im zweiten Kapitel des Buches geht es Miller vor allem darum, die politischen und ideologischen Kontexte zu erklären, in denen sich Sklaverei etablieren konnte, ja aufgrund der postulierten Formel "Sklaverei als Strategie" sogar ein wichtiger Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung war. Miller beginnt sein Panoptikum in der Urgeschichte und versucht die Kontextualisierung der Sklaverei bis zur Moderne vorzunehmen. Dabei streift er einige interessante Gedankengänge, so beispielsweise die Bedeutung der Sklaverei in der Ausprägung bzw. Konsolidierung von Macht und Gemeinschaft, oder aber die Rolle der Marginalität, also das Verhältnis von 'Outsidern' und 'Insidern'. Die thesenhafte Zuspitzung seiner Überlegungen erhöht den Spannungsbogen und die Lesbarkeit, ist jedoch - wohl auch der Kürze der Ausführungen geschuldet - nicht immer gänzlich befriedigend. Seine zentralen Thesen werden, dem Verständnis sehr dienlich, im Anhang nochmals tabellarisch in Form von abstrahierten, teilweise dialektischen Paaren zusammengefasst: Die "Historical Challenge(s)" auf der einen Seite, und die "Strategies of Slaving" quasi als "Responses" auf der anderen Seite (163-172).

Im dritten Abschnitt steht die dynamische Entwicklung der Sklaverei in Afrika im Mittelpunkt von Millers Überlegungen, dessen ausgewiesene Expertise über den Kontinent hier klar zum Ausdruck kommt. Besonders gewinnbringend sind seine Ausführungen über verzerrte europäische Sichtweisen auf Afrika sowie die problematische Quellenlage. Eine kritische Reflexion über letzteres wäre auch in der allgemeinen Betrachtung über die Sklaverei wünschenswert gewesen, da sich viele der im ersten Kapitel angesprochenen Probleme auch auf die vorhandenen Quellen zurückführen lassen. Im letzten Kapitel richtet Miller seine Aufmerksamkeit auf die "Amerikas", in denen er anhand einiger interessanter Schlagwörter - z.B. transatlantischer Kapitalfluss bzw. Finanzwesen oder die technische Entwicklung - überzeugend zeigt, wie fruchtbar die Betrachtung von Sklaverei als dynamischer Prozess für die Forschung sein kann.

Zusammenfassend bleibt ein überaus positiver Eindruck. Formal hätte man sich zwar gewünscht, dass Fußnoten anstelle der Endnoten zum Einsatz gekommen wären, da sich in den Anmerkungen nicht nur Literaturhinweise verstecken, sondern auch der eine oder andere vertiefende Kommentar. Darüber hinaus lassen die thesenhaften Zuspitzungen genügend Raum für Kritik und viele Fragen bleiben offen, aber gerade daran können weitere Forschungen sich abarbeiten bzw. nahtlos anschließen. Bleibt abzuwarten, in welchem Ausmaß dies geschieht. Die Lektüre von Millers The Problem of Slavery as History ist auf alle Fälle ein anregendes Lesevergnügen, und deutlich wurde nur wieder einmal, dass das Thema Sklaverei und Sklavenhandel trotz der immensen Forschungsleistung in den vergangenen Jahrzehnten noch lange nicht ausgeschöpft ist.


Anmerkungen:

[1] David Brion Davis: The Problem of Slavery in Western Culture, Ithaca 1966 bzw. Ders.: The Problem of Slavery in the Age of Revolution. 1770-1823, Ithaca 1975.

[2] Bibliography of Slavery and World Slaving: http://www2.vcdh.virginia.edu/bib/index.php [1. August 2012].

Florian Kerschbaumer