Rezension über:

Carolin Retzlaff: "Won't the law give me my freedom?". Sklaverei vor Gericht (1750-1800), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014, 224 S., ISBN 978-3-506-77914-4, EUR 34,90
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Rezension von:
Florian Kerschbaumer
Alpen-Adria-Universität, Klagenfurt
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Florian Kerschbaumer: Rezension von: Carolin Retzlaff: "Won't the law give me my freedom?". Sklaverei vor Gericht (1750-1800), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 9 [15.09.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/09/26621.html


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Carolin Retzlaff: "Won't the law give me my freedom?"

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Sklaverei und Sklavenhandel stellen nicht nur komplexe soziale und ökonomische Phänomene dar, sondern beinhalten auch vielschichtige rechtshistorische Komponenten, deren Konsequenzen die Lebensrealitäten von Versklavten maßgeblich tangieren.[1] Genau auf diesen nachvollziehbaren, vor allem in der deutschsprachigen Historiographie in Bezug auf die neuzeitliche Sklaverei jedoch nur peripher beachteten Sachverhalt zielt die Studie von Carolin Retzlaff mit Blick auf die amerikanischen Kolonien bzw. die Vereinigten Staaten von Amerika des 18. Jahrhunderts ab. Dabei widmet sich die Arbeit einer ganz besonderen, ja überraschenden Facette jener Rechtspraxis, die das gesellschaftliche Amalgam von Freiheit und Unfreiheit regeln sollte: Den so genannten freedom suits, also dem teilweise erfolgreichen Versuch von Versklavten, mittels juristischer Mittel ihre Freiheit zu erstreiten. Das Fundament dieser Überlegungen bilden rund 230 solcher Prozesse, die in Bezug auf die Qualität und Quantität ihrer Überlieferungslage sehr heterogen sind. Neben der Skizzierung der für den Untersuchungszeitraum bzw. -gegenstand relevanten diachronen und regionalen Unterschiede dieser Rechtspraxis liegt ein besonderes Verdienst dieser Arbeit in der Analyse und vor allem der Klassifizierung der vorgebrachten Begründungen, die "sich in drei grobe inhaltliche Kategorien fassen" lassen: "Demnach argumentierten versklavte Menschen vor Gericht mit genealogischen, juridischen und politischen Gründen für ihre Freiheit" (21). Diese Kategorien bilden zugleich den Rahmen der vorliegenden Arbeit, den die Autorin mit anschaulichen Fallbeispielen und daraus abgeleiteten Überlegungen respektive weiteren Differenzierungen sorgfältig füllt.

Im Bereich der genalogischen Freiheitsbegründungen spielte das Prinzip "partus sequitur ventrem", also die "Idee, dass die Mutter das für den Rechtsstatus des Kindes ausschlaggebende Elternteil sei", eine entscheidende Rolle, welches sich sukzessive in den englischen Kolonien ausbreitete (27) und hinsichtlich der Schicksale jener Kinder aus "Beziehungen" zwischen versklavten Frauen und Sklavenhaltern eine enorme Sprengkraft hatte. Mit dem Nachweis einer freien Vorfahrin konnte durchaus ein erfolgreicher Freiheitsprozess geführt werden, mit zum Teil weitreichenden Folgen: Im Falle eines positiven Urteils waren ganze Familien in der Lage, ihre Freiheit zu erstreiten, was für die Sklavenhalter empfindliche finanzielle Verluste mit sich bringen konnte. Daher war es nicht unübliche Praxis, freedom suits prophylaktisch zu verhindern, indem man beispielweise potentielle Kläger rechtzeitig in andere Staaten verkaufte.

Unter dem Topos der juridischen Freiheitsbegründungen eröffnet sich ein weiter Horizont an möglichen Argumentationen, die von unrechtmäßiger Versklavung über gebrochene Vereinbarungen (z.B. versprochene Freilassungen) bis hin zu Verstößen seitens des Sklavenhalters gegen bestehende Importregulierungen reichen. Ähnlich differenziert sind auch die jeweiligen Verhandlungsstrategien, die vor Gericht zum Einsatz kamen: Neben dem konkreten Sachverhalt wurden unter anderem auch religiöse, historische und philosophische Argumente angeführt, was den Quellenwert der vorhandenen Akten weit über ein ausschließlich rechtshistorisches Interesse hinaus verdeutlicht. In diesem Kontext thematisiert die Autorin auch die Rolle der Abolitionisten in den freedom suits, die häufig den Klägern, z.B. als Rechtsvertretung, zur Seite standen.

Als letzte Kategorie sind noch die politischen Gründe anzuführen. Zu jenen zählt die Autorin die Zugehörigkeit zu einer ausländischen Herrschaft, das Einklagen der versprochenen Freiheit für die aktive Teilnahme am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, an dem auf beiden Seiten Sklaven als Soldaten kämpften, sowie naturrechtliche Begründungen, die auf Freiheit und Gleichheit rekurrierten. Bei letzteren handelt es sich mit Sicherheit um eine Besonderheit, denn "[d]ie auf egalitären und naturrechtlichen Prinzipien basierende Argumentation stellt die einzige rechtliche Vorgehensweise von Versklavten dar, die nicht durch ihre Systemimmanenz eine indirekte Akzeptanz des Sklavereisystems beinhaltet" (179).

Die von der Autorin bearbeiteten freedom suits sind in mehrfacher Hinsicht von Interesse: Sie sind sowohl ein vortrefflicher Beleg für die "Agency" der Versklavten, die sich unter Inkaufnahme großer persönlicher Risiken für ihre Freiheit einsetzten, als auch ein wesentlicher Beitrag für das Verständnis der Abolition im Allgemeinen. Darüber hinaus sind sie ein weiterer Faktor, der die Komplexität des Sklavereisystems in den britischen Kolonien bzw. in den Vereinigen Staaten verdeutlicht. Auch wenn, wie an anderer Stelle bereits angemerkt, [2] manche Debatten rechtshistorischer Provenienz differenzierter hätten ausgeführt werden können und man an einigen Stellen noch mehr über die handelnden Akteure erfahren möchte, hat Carolin Retzlaff eine gut lesbare und wohl durchdachte Arbeit vorgelegt, die durch eine kluge und anregende Systematisierung ein nachvollziehbares Gesamtbild zeichnet. Die Lektüre wird daher nicht nur für den einschlägigen Rezipientenkreis von Interesse sein, sondern kann nachdrücklich einer breiteren Leserschaft mit Gewinn empfohlen werden.


Anmerkungen:

[1] Michael Zeuske: Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin / Boston 2013, 221-260.

[2] Siehe die Rezension von Birgitta Bader-Zaar in: Historische Zeitschrift 301 (2015), 237-238.

Florian Kerschbaumer