Rezension über:

Peter Knüvener (Bearb.): Mittelalterliche Kunst aus Berlin und Brandenburg im Stadtmuseum Berlin, Berlin: G & H Verlag 2011, 400 S., 811 Abb., ISBN 978-3-940939-20-3, EUR 69,00
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Rezension von:
Jan Friedrich Richter
Kunsthistorisches Institut, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Tobias Kunz
Empfohlene Zitierweise:
Jan Friedrich Richter: Rezension von: Peter Knüvener (Bearb.): Mittelalterliche Kunst aus Berlin und Brandenburg im Stadtmuseum Berlin, Berlin: G & H Verlag 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 5 [15.05.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/05/21630.html


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Peter Knüvener (Bearb.): Mittelalterliche Kunst aus Berlin und Brandenburg im Stadtmuseum Berlin

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Bestandskataloge gehören zu den gleichermaßen beliebten wie unbeliebten Projekten der kunsthistorischen Forschung. Beliebt, weil sie im Idealfall eine Vielzahl an Daten in kompakter Weise zur Verfügung stellen; unbeliebt, weil die Institutionen dafür drei Dinge benötigen, über die sie eigentlich nicht verfügen: Geld, Zeit und Fachleute. Umso bemerkenswerter erscheint daher die Publikation des Bestandes an mittelalterlicher Kunst der Stiftung Stadtmuseum Berlin, des ehemaligen Märkischen Museums, einer Sammlung, die der Öffentlichkeit und Forschung bisher größtenteils unbekannt war. 1874 als Märkisches Provinzialmuseum gegründet, erfolgte der Aufbau der Sammlung eher unsystematisch, konzentriert auf Berlin und seine Umgebung, später auch auf die Provinz Brandenburg, wo viele der kleineren Kirchengemeinden sich häufig dazu gezwungen sahen, Teile ihrer mittelalterlichen Ausstattung aus Kostengründen abzugeben. Die Erwerbungen waren dementsprechend stark vom Zufall abhängig, sodass sich Wilhelm Bode 1896 dazu veranlasst fühlte, die Sammlung etwas abfällig als "Rumpelkammer" zu bezeichnen. An der Dominanz des preußischen Kunstbesitzes hat sich in Berlin bis heute nichts geändert, wohl aber die Sichtweise auf den Wert regionalgeschichtlicher Sammlungen trotz ihrer disparaten Zusammensetzung.

Ein derartiger Bestand stellt hohe Anforderungen an den Wissenschaftler, zumal in Berlin, wo die Grundlage für die Bearbeitung eines Querschnittes märkischer Kunst - zumindest für das spätmittelalterliche Material - bisher weitgehend fehlte. Mit Peter Knüvener konnte dafür jedoch ein Kunsthistoriker gewonnen werden, der sich in den letzten Jahren fast ausschließlich mit der mittelalterlichen Kunst der Mark Brandenburg beschäftigt hat. Seine Forschungen wurden einer breiteren Öffentlichkeit kürzlich mit einem von ihm kuratierten Ausstellungsverbund präsentiert und mündeten jüngst in der Publikation seiner Dissertation. [1] Knüvener ist in der Brandenburg-Forschung bestens vernetzt, und so ist auch der Bestandskatalog des Märkischen Museums als Gemeinschaftswerk entstanden. Der Schwerpunkt der Sammlung - Altarretabel, Tafelmalereien und Skulpturen - wurde von Knüvener bearbeitet, die textile Kunst von Christa Jeitner und die Bauskulptur von Dirk Schumann, Kunsthistorikern, die in ihren Bereichen als ausgewiesene Fachleute gelten. Vor dem eigentlichen Katalogteil geben die Bearbeiter eine Einführung in ihren jeweiligen Sammlungsbereich, der dessen Geschichte erläutert und übergeordnetes Fachwissen vermittelt.

Der Katalogteil besitzt neben den Hauptsammlungsbereichen drei weitere Abschnitte - Kunstwerke, die nicht aus Orten der Mark Brandenburg stammen, liturgische Geräte und figürliche Keramik sowie Kriegsverluste -, womit der Gesamtbestand an mittelalterlicher Kunst fast vollständig abgedeckt und gleichzeitig ein guter Überblick über die Sammlungsgeschichte ermöglicht wird. Die Katalognoten sind in allen Bereichen systematisch aufgebaut und bieten neben grundsätzlichen Informationen ausführliche Angaben zum Zustand, zu kunsttechnologischen Aspekten und zur kunsthistorischen Einordnung samt Forschungsliteratur. Hier ist vor allen Dingen die Arbeit der beteiligten Restauratoren hervorzuheben, mit der die kunsthistorische Einordnung auf einer verlässlichen Grundlage fußt. Der Katalog ist großzügig in durchweg guter Qualität illustriert, sodass der Leser durch Text und Bild einen umfassenden Eindruck von den Objekten vermittelt bekommt. Literaturverzeichnis, Personen- und Ortsregister gewährleisten einen raschen Zugriff.

Der wissenschaftliche Gewinn dieser Publikation lässt sich nicht hoch genug einschätzen. Nicht allein, dass hier ein nahezu unbekannter Sammlungsbestand der Wissenschaft zugänglich gemacht wird, auch die damit verbundenen Erkenntnisse dürften den Forschungsschwerpunkt zur mittelalterlichen Kunst in Mitteldeutschland deutlich verschieben. Berlin und die Mark Brandenburg gehörten bisher zu den weißen Flecken auf dieser Landkarte, obwohl es in der Forschungsgeschichte, angefangen bei Theodor Fontane, nie an Bemühungen gefehlt hat, dieses Manko zu beheben. Auch vor dem Hintergrund früherer Veröffentlichungen des Autors stellt sich nun eine Region als durchaus in sich geschlossene "Kunstlandschaft" dar. Mir sei dieser umstrittene Begriff verziehen, da die Menge der damit vorgestellten Denkmäler es erlaubt, die regionale Kunstproduktion nicht nur an isolierten Einzelwerken, sondern in ihrer Gesamtheit zu überblicken. Natürlich stand auch Brandenburg unter einer Vielfalt von Einflüssen aus benachbarten Regionen (Hamburg, Lübeck, Stettin, Schlesien, Leipzig, Magdeburg und Braunschweig), die an den Grenzen zu einer deutlichen Vermischung von Stilformen führte. Der Kernbestand aber bietet in Brandenburg ein relativ eigenständiges Bild, über das bisher nur wenig bekannt war. Kunstzentren wie Salzwedel, Gardelegen, Stendal, Brandenburg und Berlin lassen sich jetzt als solche beschreiben, aber auch die Eigenart von ländlichen Regionen, wie der Mittelmark, der Prignitz, der Uckermark oder der Neumark. Hier muss man Knüveners andere Publikationen als Kontext im Blick haben, mit denen quasi ein Inventar mittelalterlicher Kirchenausstattung in Brandenburg erstellt wurde, das durch die daran beteiligten Historiker auch zeitgeschichtlich fundiert ist.

Aber auch die anderen Sammlungsbereiche bieten eine Fülle an neuen Erkenntnissen. Die Erfassung der textilen Kunstwerke reicht von einer akribischen Dokumentation des berühmten, zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstandenen Altartuchs aus dem Zisterzienserinnenkloster Zehdenick bis zur Vorstellung eines weitgehend unbekannten Werks, des ungewöhnlich prächtigen Antependiums aus der Dorfkirche von Hindenburg, einer um 1500 in Tourraine entstandenen Schlitzwirkerei. Diesen anschaulich präsentierten Prachtstücken steht bei der Bauplastik der fragmentarische Erhaltungszustand der Objekte entgegen. Gemessen an der weitgehenden Zerstörung des mittelalterlichen Berlins bietet Schumanns Besprechung der Bauskulptur jedoch ein ungewöhnlich anschauliches Bild der vorreformatorischen Architektur. Als spannend erweisen sich letztlich auch die rein zufällig aus anderen Regionen in die Sammlung gelangten Objekte. Genannt seien nur eine gegen Mitte des 15. Jahrhunderts entstandene Terrakottafigur des Heiligen Pantaleon, ein qualitätsvolles Werk, für das sich bisher kein vernünftiges Gegenstück anführen lässt, oder als 'Starstück' der Sammlung drei aus einem unbekannten Retabel stammende Reliefs mit Darstellungen aus der Petruslegende, gleichfalls Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden, vielleicht als überaus seltene Belege nordfranzösischer oder burgundischer Plastik zu bewerten.

Diese wenigen Schlaglichter sollen die Fülle von Anregungen erhellen, die der Bestandskatalog bietet und damit nicht nur die regionale Forschung in den nächsten Jahren stark beeinflussen dürfte. Als notwendige Voraussetzung dafür wird hier eine überaus gründliche Darstellung geliefert, von der man sich nur mehr wünschen kann.


Anmerkung:

[1] Clemens Bergstedt u.a. (Hgg.): Im Dialog mit Raubrittern und Schönen Madonnen. Die Mark Brandenburg im späten Mittelalter, Begleitband zum Ausstellungsverbund (= Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte; Bd. 6), Berlin 2011; Peter Knüvener: Die spätmittelalterliche Skulptur und Malerei in der Mark Brandenburg (= Forschungen und Beiträge zur Denkmalpflege im Land Brandenburg; Bd. 14), Worms 2011.

Jan Friedrich Richter