Rezension über:

Oliver Göbel: Die Fuldaer Katholiken und der Erste Weltkrieg. Zur konfessionellen Spezifik nationaler Integration am Beispiel der fuldischen katholischen Publizistik 1914-1918 (= Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte; Bd. 23), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011, 164 S., ISBN 978-3-631-61613-0, EUR 34,80
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Rezension von:
Joachim Schmiedl
Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Joachim Schmiedl: Rezension von: Oliver Göbel: Die Fuldaer Katholiken und der Erste Weltkrieg. Zur konfessionellen Spezifik nationaler Integration am Beispiel der fuldischen katholischen Publizistik 1914-1918, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 3 [15.03.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/03/20999.html


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Oliver Göbel: Die Fuldaer Katholiken und der Erste Weltkrieg

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Wie national waren die deutschen Katholiken im Kaiserreich? Wie verhielten sich ultramontane Ausrichtung am römischen Papst und Integration in den protestantischen Staat zueinander? Waren im Ersten Weltkrieg die Antagonismen des Kulturkampfs überwunden? Oliver Göbel beantwortet diese Fragen in seiner Frankfurter Magisterarbeit mit einem klaren Ja. Er konstatiert eine nationale Wende der Katholiken, die sich in den Mainstream der Kriegsbegeisterung und Kriegsbejahung zwischen 1914 und 1918 eingeschwungen hatten. Um die nationale Positionierung der mehrheitlich katholischen Fuldaer Bevölkerung zu belegen, zieht Göbel mehrere Periodika heran. Hauptquelle ist die zentrumsnahe Fuldaer Zeitung, die gut zwei Drittel der katholischen Haushalte erreichte. Der Bonifatiusbote, die Wochenzeitung des Bistums Fulda, war nahezu flächendeckend in den katholischen Haushalten vorhanden; zusätzlich wurden 20000 Exemplare per Feldpost an die Front versandt. Die dritte analysierte Zeitschrift sind die 22 Ausgaben der Kriegszeitung des Priesterseminars Fulda.

"Konfession und Nation" ist der große Fokus, unter dem Göbel die Zeitungsbeiträge gruppiert. Die Fuldaer Katholiken waren nach Ausweis ihrer Publizisten in die deutsche Nation integriert. Auch in Fulda herrschte zu Kriegsbeginn 1914 eine große Begeisterung, die jedoch schnell nachließ. Berichte über die Treue katholischer Soldaten und Geistlicher zogen sich jedoch durch die ganze Kriegszeit. Bischof Joseph Damian Schmitt und der Regens des Priesterseminars Christian Schreiber, der nachmalige Bischof von Berlin, förderten die nationale Integration und die Loyalität zur bestehenden Staatsform. Die Katholiken passten sich nahtlos an die nachmonarchischen Verhältnisse an.

Die Fuldaer katholische Presse nahm in ihren Motivationen für die nationale Integration an erster Stelle den naheliegenden Schutz und die Sicherheit für das Vaterland auf. Aber auch die Gleichberechtigung der Katholiken in Staat und Gesellschaft, also die endgültige Beseitigung der Kulturkampfmarginalisierung, wurde erwähnt. In der kirchlichen Presse spielten sittliche und religiöse Argumentationsstränge eine zusätzliche Rolle.

Und schließlich zieht Göbel eine Reihe von Argumentationsmustern heran, die er "katholizismusspezifisch" nennt. In ihrer theologischen Variante werden Treue und Gehorsam zu Kaiser und Nation mit alt- und neutestamentlichen biblischen Begründungen als ein Gebot der Religion bezeichnet. Die Kriegsschuldfrage wird eindeutig beantwortet: der Weltkrieg sei der deutschen Nation aufgezwungen, er sei gerecht und deshalb gottgewollt und erlaubt, freilich auch eine Prüfung der Menschen und ihrer Sündhaftigkeit. Gelegentlich wird in der Presse auch behauptet, Gott stehe auf der Seite der Deutschen. Auch jede noch so kleine Äußerung des Papstes, die eine deutschenfreundliche Parteinahme signalisieren könnte - wie die Kardinalserhebung des Münchener Nuntius Andreas Frühwirth 1915 - wird registriert und ausgewertet. Bezüge zu historischen Personen dienen als Matrix für die immer schon vorhandene nationale Haltung der deutschen Katholiken. Hierfür muss vor allem Bonifatius herhalten, aber auch der Gründerabt des Klosters Fulda, Sturmius, und der heilige Josef. Aber auch Kaiser Wilhelm II. dient bis in die letzten Kriegstage als Identifikationsfigur der Fuldaer Katholiken, sekundiert von Bismarck und negativ abgesetzt von Napoleon. In der Innenpolitik sind es trotz "Burgfrieden" die radikalen Sozialdemokraten, Freidenker und Freimaurer sowie auf der rechten Seite des politischen Spektrums der Alldeutsche Verband und die Deutsche Vaterlandspartei, von denen sich die katholische Publizistik absetzen. Dass Deutschland gegen das katholische Frankreich kämpft, wird mit der angeblich verlorenen Religiosität des Nachbarlandes und der dortigen Trennung von Kirche und Staat polemisch begründet.

Insgesamt kommt Göbel zu dem Ergebnis, dass die Fuldaer Katholiken ihre "nationale Aufgabe" erfüllt haben: "Das katholische Bekenntnis hat sie in keiner Weise daran gehindert, sich den Zielen des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg unterzuordnen." (143) Göbel stellt aber insgesamt eine große Kontinuität zur Vorkriegszeit fest: Die politischen Autoritäten blieben dieselben, auch das Zentrum behielt die Mehrheit der Stimmen. Das katholische Milieu wurde durch den Ersten Weltkrieg eher gestärkt. Göbels Regionalstudie ist ein weiterer Baustein zur Erhellung der Mentalitätsgeschichte der deutschen Katholiken. 40 Jahre nach dem Kulturkampf war der Erste Weltkrieg die Nagelprobe auf die nationale Integration. Ein Sonderverhalten der Katholiken lässt sich, so das Ergebnis der Studie, nicht feststellen. Die Argumentationsmuster nehmen jedoch auf konfessionelle Befindlichkeiten maßvoll Rücksicht.

Joachim Schmiedl