Rezension über:

Judith Matzke: Gesandtschaftswesen und diplomatischer Dienst Sachsens 1694-1763 (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 36), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2011, 463 S., ISBN 978-3-86583-499-7, EUR 62,00
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Rezension von:
Paul Friedl
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Paul Friedl: Rezension von: Judith Matzke: Gesandtschaftswesen und diplomatischer Dienst Sachsens 1694-1763, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2011, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 2 [15.02.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/02/19867.html


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Judith Matzke: Gesandtschaftswesen und diplomatischer Dienst Sachsens 1694-1763

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Die vorliegende Studie stellt das, geringfügig überarbeitete, Ergebnis der im November 2007 an der TU Dresden abgeschlossenen Dissertation der Autorin dar. Die Arbeit möchte "Formierung und Funktionsweise der diplomatischen Vertretungen Sachsens" untersuchen und dabei unter Verwendung des "Strukturmerkmals" (10) Gesandtschaft die europäische Stellung Kursachsens unter Berücksichtigung der Union mit Polen-Litauen darstellen.

Ambitioniert erscheint das Vorhaben, dabei mehrere methodische Ansätze in einer Studie zu vereinen, nämlich sowohl verwaltungs-, als auch sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte zu berücksichtigen. Damit ist ein Bogen gespannt von der sozialen Herkunft der Diplomaten, ihrer Besoldung, ihren Aufgaben und Kommunikationswegen bis hin zu ihren zeremoniellen und repräsentativen Aufgaben und Spielräumen am Einsatzort. Dem entspricht auch der Aufbau der Arbeit, der drei Kapitel (IV, VI, VII) der Behördengeschichte und dem institutionellen Aufbau des Gesandtschaftswesens widmet, denen ein Kapitel (V) zur sozialgeschichtlichen Betrachtung des Diplomatenpersonals zwischengeschaltet ist. Das letzte, kürzeste Kapitel ist dem kulturgeschichtlichen Blickwinkel gewidmet (VIII). Dem Ganzen vorangestellt sind zwei kürzere, einleitende Kapitel zu völker- und reichsrechtlichen sowie außenpolitischen Rahmenbedingungen des sächsischen Gesandtschaftswesens. Matzke zielt dabei nicht auf eine additive Geschichte der einzelnen Gesandtschaften, sondern auf eine makroperspektivische Geschichte aus Sicht des Zentrums (Steuerung und Aufbau der Diplomatie von Dresden aus) bzw. "von oben" (21) auf die sozialen und kulturellen Aspekte der Diplomatie. Um mit der Masse an Gesandtschaftskorrespondenz zurechtzukommen, wird die Quellenauswahl auf die Weisungen der zentralen Behörden sowie auf die Korrespondenz innerhalb des ersten Dienstjahres eines neu auf einen Posten bestellten Diplomaten beschränkt.

Ein biographischer Anhang informiert über alle in ständigen Gesandtschaften, auch in den niedrigeren Rängen der Agenten und Kanzleibediensteten, nachweisbar beschäftigten Personen. Ein zweiter Anhang informiert geographisch über alle im Untersuchungszeitraum nachweisbaren ständigen Gesandtschaften bzw. listet die dieser Gruppe nicht zugehörigen Sondergesandtschaften auf, falls keine ständige Gesandtschaft nachweisbar ist (insgesamt 41 Höfe bzw. Städte).

Die Zahlen zeigen, dass Kursachsen diesbezüglich Ende des 17. Jahrhunderts zu den Schlusslichtern unter den Reichsständen gehörte. Bis zum Regierungsantritt Friedrich Augusts I. hatte es ständige Vertretungen nur in Hamburg, Lübeck und Den Haag gegeben. Diese waren zudem nicht dem politischen Willen des Landesherren oder der Räte sondern fremder Initiative zu verdanken gewesen. Daneben existierten freilich die Residenten und Agenten am Reichstag und am kaiserlichen Hof bzw. beim Reichshofrat in Wien. Rat und Fürst sahen in ständigen Vertretungen keinen Vorteil, sondern lehnten diese oft sogar ausdrücklich ab, indem sie auf mögliche Probleme mit dem Zeremoniell oder der Geheimhaltung hinwiesen. In der Zeit des Großen Nordischen Krieges folgte eine von Matzke als "spontanes Wachstum" bezeichnete Phase. Aktuellen politischen Bedürfnissen folgend wurde das Gesandtennetz inner- und außerhalb des Reiches ausgebaut (Danzig, Breslau, Brandenburg, Generalstaaten, Russland, Großbritannien, Dänemark, Hannover, Kurpfalz, Mainz, Trier). Erstmals systematisch, nämlich auf Grundlage eines Gutachtens von Flemming, wurde um 1723 das Netzwerk auf einen für die restliche Augusteische Zeit gültigen Stand von etwa 30 Gesandten in ganz Europa einschließlich des Osmanischen Reiches gebracht. Nach einer Phase der Vernachlässigung einiger Posten wurden ab 1738/40 einige Posten wieder intensiver betreut.

Die eingesetzten Diplomaten stammten überwiegend aus Sachsen oder zumindest aus dem Reich; knapp die Hälfte der Gesandten im engeren Sinne kam dabei aus dem sächsischen Adel. Je niedriger der Posten, desto wahrscheinlicher war es, dass er mit einem Landfremden besetzt war. Ebenso verhält es sich bei der sozialen Herkunft: Je niedriger die Rangstufe, desto eher wurden auch Bürger eingesetzt; Nobilitierungen im Zusammenhang mit diplomatischen Diensten sind nicht eindeutig feststellbar. Unmittelbar auf die Ausbildung von Diplomaten abzielende Maßnahmen des Hofes lassen sich nicht identifizieren. 1709 wurden die Gesandten verpflichtet, an ihrer Seite adlige Assistenten gleichsam als "Praktikanten" zu beschäftigen und für ihren Unterhalt zu sorgen; größere Folgen dieser Anordnung sind jedoch nicht nachweisbar. Eine eigene diplomatische Akademie existierte zu keinem Zeitpunkt; an der 1725 eingerichteten Ritterakademie studierte anscheinend kein einziger Gesandter. Anders sah es bei Universitätsabschlüssen aus: Viele Diplomaten hatten Jura studiert. Hier lässt sich mit der Stiftung dreier Leipziger Jura-Lehrstühle 1710/11 der landesherrliche Wille feststellen, zumindest allgemein die Ausbildung der Beamten und somit vielleicht auch der Diplomaten zu verbessern. Ausbildung und tatsächliche Eignung der entsandten Personen überprüfte der Dresdner Hof nicht, obwohl er mit der Zuverlässigkeit einiger Gesandter negative Erfahrungen sammeln musste. Einmal auf einem ständigen Posten im Ausland angekommen verblieben die Gesandten dort eher (manchmal bis zu 30 Jahre), als auf einen Posten an einem anderen Hof zu wechseln oder den Gesandtenstatus als Sprungbrett für eine Karriere am Dresdner Hof zu nutzen. Aus diesen Befunden leitet Matzke ihr Urteil ab, das sächsische Gesandtschaftswesen sei insgesamt wenig professionalisiert gewesen. Die wohl wichtigste Aufgabe, die den neuen ständigen Gesandten an ihren Zielorten zukam, war die Durchsetzung des Anspruchs auf die zeremonielle Behandlung als nunmehr königliche und nicht mehr nur kurfürstliche Gesandte. Diesen Anspruch setzten sie überall erfolgreich durch, und wo sie dies nicht taten (in Neapel und Berlin) führt Matzke dies nicht auf mangelnde Durchsetzungskraft sondern auf die Spezifik des jeweiligen Hofes zurück.

"Sachsen besaß damit in seinen Grundzügen seit etwa 1710 und in seiner voll entfalteten Form seit dem Ende der 1720er-Jahre [...] einen außenpolitischen Organisationsgrad, der ein aktives Eingreifen an allen bedeutenden Höfen und Nachrichtenumschlagplätzen Europas ermöglichte" (316) - so das abschließende Urteil. Das Kurfürstentum falle damit nicht sonderlich aus der üblichen reichsständischen Praxis heraus, wo sich Veränderungen im Gesandtschaftswesen vor allem aus Statusveränderungen ergeben hätten. Die Diplomaten hätten es verstanden, sich räumlich und zeremoniell selbstbewusst zu platzieren. Die Schlussfolgerungen hinsichtlich der tatsächlichen Fähigkeiten der Gesandten und deren Anwendung im diplomatischen Geschäft müssen angesichts der Quellen aber vage bleiben: Ihr Wissen und ihre Fähigkeiten könnten in Folge verbreiteter Universitätsbesuche und der höfischen Sozialisation gut gewesen sein. Quellenmäßig feststellen lassen sich jedoch eher Mängel in der Praxis: Qualifikationen wurden vom Hof vor Abschickung nicht überprüft, die Ausbildung erfolgte kaum systematisch und auch die Zentrale selbst scheint manche Posten nur mangelhaft betreut zu haben, wie Beschwerden über unzureichende Finanzierung und ausbleibende Instruktionen zeigen (224, 275).

An diesem Punkt fällt das oben beschriebene Konzept der Arbeit besonders ins Gewicht, da eine eingehendere Betrachtung einiger weniger Höfe inklusive der Sondergesandtschaften, die ja weiterhin zu wichtigen Anlässen eingesetzt wurden, sicherlich zu pointierteren Antworten geführt hätte. [1] Durch die Kombination der drei Ebenen der zentralen Verwaltung, der Herkunft und Ausbildung der Diplomaten sowie kulturgeschichtlichen Aspekten ihre Tätigkeit entsteht dennoch ein rundes Bild des ständigen Gesandtschaftswesens. Was die Studie nicht ist, ist eine Geschichte der sächsisch-polnischen Diplomatie auf politischer Ebene: Dazu hätten die Sondergesandtschaften sowie die konkrete Aktivität ausgewählter Gesandtschaften berücksichtigt werden müssen. Obwohl also der Leser an manchen Stellen mit offenen Fragen zurückgelassen wird, hält er mit Matzkes Studie eine verdienstvolle Arbeit in Händen. Durch ihre detaillierte prosopographische Arbeit zu jedem Posten, die in den Anhängen über Quellen und Literatur Auskunft gibt, schafft sie nicht zuletzt selbst die Grundlage dafür, dass jenen Fragen künftig auf den Grund gegangen werden kann.


Anmerkung:

[1] Im Bereich des Zeremoniells böte sich hierfür etwa Berlin an. Für dessen Umgang u.a. mit den kursächsischen Gesandten macht die Edition der Schriften Johann von Bessers, des brandenburgisch-preußischen und später kursächsischen Zeremonienmeisters, seit kurzem reichhaltiges Quellenmaterial leicht zugänglich: Peter-Michael Hahn / Knut Kiesant (Hgg.): Johann von Besser (1654-1729). Schriften. 4 Bde, Heidelberg 2009/2010.

Paul Friedl