Rezension über:

Salvatore Bono: Piraten und Korsaren im Mittelmeer. Seekrieg, Handel und Sklaverei vom 16. bis 19. Jahrhundert, Stuttgart: Klett-Cotta 2009, 320 S., ISBN 978-3-608-94378-8, EUR 24,90
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Rezension von:
Werner Plumpe
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Werner Plumpe: Rezension von: Salvatore Bono: Piraten und Korsaren im Mittelmeer. Seekrieg, Handel und Sklaverei vom 16. bis 19. Jahrhundert, Stuttgart: Klett-Cotta 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 1 [15.01.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/01/17224.html


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Salvatore Bono: Piraten und Korsaren im Mittelmeer

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Piraterie hat Konjunktur. Nicht nur am Horn von Afrika oder im Kino; auch in der Geschichtsschreibung widmen sich in letzter Zeit zahlreiche Arbeiten dem Phänomen der Piraterie. Der Seeraub kommt der Forschung dabei entgegen. Er ist offenbar ein universalhistorisches Phänomen, das von der Antike bis zur Gegenwart in allen Weltmeeren eine Rolle spielte, zwar seine Gestalt wandelte, im Kern aber erstaunlich dauerhafte Strukturen aufweist. Diese Strukturen umfassen einerseits die rechtlichen Formen des Seeraubes von der scheinbar legitimen, auf jeden Fall aber legalen Kaperei bis hin zur ordinären Kriminalität. Andererseits korreliert das Seeräuberwesen stets mit der bestehenden Gesellschaft, die es in gewisser Weise seitenverkehrt spiegelt, eine Tatsache, die zahlreiche Forscher dazu verführt hat, in der Piraterie eine typische Form des sozialen Protestes zu vermuten. Schließlich ist der Seeraub ein Parasit des Seehandels, ohne den er nicht bestehen kann. Man findet ihn daher in der Regel an den großen Handelsstraßen, und zwar vor allem dort, wo sich imperiale Interessen aneinander reiben und die legale Kaperei dem Seeraub überhaupt erst zum Aufstieg verhilft.

Hat die jüngere Forschung sich vor allem mit der Piraterie im Atlantik beschäftigt und Mythos und Realität der karibischen Seeräuber recht genau untersucht, manchmal auch ein wenig den Mythos des Sozialrebellen gepflegt, so stand die Piraterie im Mittelmeer, die bis in das 19. Jahrhundert die Menschen am Nordrand des Mittelmeeres ebenso in Angst und Schrecken hielt wie sie den Seehandel bedrohte, lange nicht mehr im Mittelpunkt einer Gesamtdarstellung. Die Forschungslage ist insgesamt nicht schlecht; insbesondere die "christliche Seefahrt" findet sich in zahlreichen Archiven gut dokumentiert. Der Forschungsstand zur arabischen Welt ist deutlich schlechter; er erlaubt gleichwohl eine Summa zu ziehen, was Salvatore Bono 1993 auch tat. Diese Geschichte der Piraterie im Mittelmeer vom 16. bis zum 19. Jahrhundert liegt nun in erweiterter und überarbeiteter Form in deutscher Fassung vor.

Bono, ein in Tunis geborener Italiener des Jahrgangs 1932, ist für diesen Überblick wie kaum ein zweiter geeignet, steht doch die Welt der Barbaresken und ihrer "Staaten" seit den 1960er Jahren im Zentrum seiner von Fernand Braudel angeregten Interessen. Im Buch finden sich mithin stupende Archivkenntnisse und umfangreiche Literaturrecherchen zu einer sachlichen gegliederten Darstellung zusammen. Er beginnt mit einer Vorstellung der Protagonisten, zunächst der Barbaresken, ihrer "Staaten" in Algier, Tunis und Tripolis, sodann der "christlichen Korsaren", insbesondere der seefahrenden Ritterorden (Malteser und toskanischer Stephansorden). Daran anschließend schildert Bono die verwendeten Schiffe und Schiffstypen, geht auf die seemännischen und sozialen Bedingungen der Schifffahrt detailliert ein und beschreibt die "Hölle an Bord" der zumeist von Sklaven geruderten Galeeren. Den Seegefechten und den Beutezügen an Land ist ein weiteres Kapitel gewidmet, das sich ein wenig mit Entertechnik und Überfallsarten befasst, vor allem aber an zahlreichen Einzelbeispielen den Alltag des Seeraubs illustriert. Schließlich geht der Autor ausführlich den wirtschaftshistorischen Fragen nach; einerseits bedurfte der Seeraub einer wirtschaftlichen Basis an Land, andererseits spielte er eine Rolle bei der Entwicklung des mediterranen Seehandels überhaupt. Die von den Barbaresken gewerbsmäßig betriebene Versklavung von gefangenen Christen brachte diese Zusammenhänge vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck; aber auch Hehlerei und Bereicherungssucht waren nicht bedeutungslos.

So entsteht keine Geschichte des Seeraubs im Mittelmeer vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, aber doch ein facettenreiches Bild seiner wesentlichen Momente. War zu Beginn des 16. Jahrhunderts das westliche Mittelmeer noch unter spanischer Kontrolle, so führte die Expansion der Osmanen sukzessive zur Verdrängung der christlichen Herrschaft von den Küsten des Maghreb. Unter osmanischer Oberherrschaft entstanden nach und nach die Barbareskenstaaten in Algier, Tunis und Tripolis, zunächst militärische Basen für den Seekrieg der Osmanen, der von Anfang an auch als Kaperkrieg geführt wurde, nach deren Niederlage bei Lepanto dann nur noch als von Istanbul bestenfalls lose kontrollierte Piratengemeinschaften. Deren Ziel bestand in der Aufbringung von Beute einerseits, der Gefangennahme und Versklavung von Christen, die man als Arbeitskräfte einsetzen oder gegen hohes Lösegeld wieder freigeben konnte, andererseits. Genaue Zahlen und eine exakte Entwicklung gibt Bono nicht an; es dürfte aber auf der Basis von Einzelberechnungen wahrscheinlich gewesen sein, dass die Raubwirtschaft zu ihren guten Zeiten etwa 25% des Haushalts der Barbareskenstaaten beisteuerte. Entsprechend eng waren die Verbindungen von Obrigkeit an Land und Kapitänen auf See. Die Barbareskenstaaten handelten im Grunde wie die staatliche Vertretung der Raubwirtschaft, wenn etwa Verträge mit Frankreich geschlossen wurden, dessen Schiffe zu verschonen, oder wenn es um die Abwicklung des Loskaufs christlicher Sklaven ging. Das System war dabei einfach. Die Barbareskenstaaten dienten als Heimathafen und Umschlagplatz für die Piraten, die hier ihre Beute aus Seeraub und Menschenfang an den Küsten Spaniens und Italiens vermarkteten. Der Erlös wurde zwischen Obrigkeit, Kapitänen und Mannschaften aufgeteilt; die örtlichen Händler, unter ihnen nicht selten Christen, dienten als Hehler. Zwar gab es wiederholt Versuche, die Barbareskenstaaten auszuräuchern, doch waren diese militärisch zum Teil recht schlagkräftig, zum anderen waren die Vertreter der christlichen Staaten zumeist uneinig und neigten dazu, sich jeweils mit der gegebenen Lage zu arrangieren.

Der "christliche Seeraub" hatte eine andere Qualität, auch wenn Bono das unerwähnt lässt und hinter eher allgemeinen Floskeln versteckt. Zunächst ging es um die Abwehr der osmanischen Expansion, später dann um das Pressen von Galeerensklaven und um die Beutemacherei. Die sich hier hervortuenden Ritterorden, die Malteser und die Ritter des Ordens vom heiligen Stephan, lebten indes nicht von der Raubwirtschaft, sondern von umfangreichem Landbesitz. Die Erlöse des Seeraubs waren bestenfalls Zusatzeinnahme; zumeist zahlte sich der Seeraub aber nicht einmal aus. Die "private" Piraterie mag einträglicher gewesen sein und der Freihafen von Livorno war zweifellos ein übles Hehlerloch. Eine vergleichbare Raubwirtschaft aber gab es im Norden nicht; und als zunächst mit Napoleon, dann mit der französischen Kolonisation die Barbareskenstaaten aufhörten zu existieren, war es mit dem Seeraub im Mittelmeer vorbei, bei dessen Bekämpfung sich 1815 im übrigen auch die Marine der jungen USA aktiv beteiligte.

Für Bono sind die Barbaresken und Korsaren keine Sozialrebellen. Mit Hobsbawm oder den jüngsten Arbeiten etwa von Marcus Rediker hat er sich nicht auseinandergesetzt. Überhaupt scheint ihn die historiographische Einordnung des Phänomens der mediterranen Piraterie nicht sonderlich zu interessieren. Das Buch hat weder Einleitung noch Zusammenfassung; die Ergebnisse der Darstellung werden nicht vergleichend diskutiert oder in die Geschichte Europas eingeordnet. Bei Bono spricht die Piraterie für sich selbst, die indes auch nicht an sich transparent gemacht wird, sondern in der Fülle der überlieferten Ereignisse einfach erscheint. Das ist für den Leser zumeist unbefriedigend, weil der Anekdotenschatz Bonos vom 16. bis zum 19. Jahrhundert reicht und völlig unsystematisch präsentiert wird. Es ist schon klar, dass der Seekrieg im Mittelmeer bis zur Schlacht bei Lepanto etwas anderes war, als die sich danach etablierende Raubwirtschaft der Barbareskenstaaten. Nur klärt Bono den Leser nicht auf. Für die Barbaresken war der Seeraub an sich konstitutiv; die "christlichen Ritterorden" betrieben ihn aus Schutz und gelegentlich wohl aus Plünderungsgründen. Er hatte indes nie eine konstitutive Rolle für die Wirtschaft oder das soziale Gefüge der Nordanrainer des Mittelmeeres. Bonos politisch-korrekter Aussage, dass sich Christen und Muslime im Seeraub nicht großartig voneinander unterschieden, mag man im einzelnen vielleicht nicht widersprechen, auch wenn die Verheerungen an der Nordküste des Mittelmeeres im Süden wohl keine Parallele gehabt haben dürften. Systematisch freilich war die Raubwirtschaft der Barbaresken etwas völlig anderes als der Seeraub der christlichen Korsaren, der für ihre Wirtschaft stets völlig ephemer blieb. Und auch der Versuch, den Seeraub dadurch aufzuwerten, dass man ihm eine den Handel stützende Funktion zuschreibt, hätte etwas systematischer angegangen werden müssen. Allein die Faktizität der Räuberei und damit des Handels, der ja das "Wirtstier" der Seeräuber ist, wird man schlecht als positives Argument heranziehen können, ist doch ganz fraglich, wie sich der Handel ohne die bis zur Befriedung des Maghreb ubiquitäre Seeräuberei entwickelt hätte.

Schließlich fällt an Bonos Beispielen auf, dass bei Barbaresken und Korsaren keine Gegenwelt zur herrschenden Ordnung an Land entstand, diese bis zu den an den Ruderbänken angeschmiedeten Galeerensklaven vielmehr exakt kopiert und auch bei der Verteilung der Beute respektiert wurde. Im Mittelmeer war man von der "Freiheit" der karibischen Piraten offenbar weit entfernt. Der Leser hat den Eindruck, der mediterrane Seeraub sei nichts anderes als der verlängerte militärische Arm der stratifizierten Gesellschaft an Land gewesen - mit seiner harten Hierarchie an Bord und der ungleichen Beuteteilung. Bono differenziert hier nicht, obwohl es doch interessant gewesen wäre zu erfahren, ob der "private" Seeraub ähnlich organisiert war wie der obrigkeitlich lizensierte oder der unter der Aufsicht der Ritterorden. Aber Analyse und vergleichende Diskussion sind Sache des Autors nicht. Bono erzählt lose systematisch gegliederte Geschichten, die schon Licht auf den mediterranen Seeraub werfen, aber eben auch nicht mehr.

Werner Plumpe