Rezension über:

Rita Mazzei: La trama nascosta. Storie di mercanti e altro (secoli XVI-XVII) (= Collana Viaggi & Storia; 8), Viterbo: Sette Città 2006, 304 S., ISBN 978-88-7853-057-7, EUR 22,00
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Rezension von:
Heinrich Lang
Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Lang: Rezension von: Rita Mazzei: La trama nascosta. Storie di mercanti e altro (secoli XVI-XVII), Viterbo: Sette Città 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 3 [15.03.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/03/15876.html


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Rita Mazzei: La trama nascosta

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Bei "La trama nascosta" (wörtl.: die verborgene Handlung) handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen, die die profilierte Sozial- und Wirtschaftshistorikerin Rita Mazzei in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen veröffentlicht hat (1990, 1994; 2002-2005) und hier leicht überarbeitet mit einer Einleitung vorlegt. Das Spezialgebiet der Autorin sind die italienisch-polnischen Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert und das Verhältnis merkantiler zu religiösen Bewegungen im Zeitalter der Gegenreformation. In den hier präsentierten Aufsätzen greift Mazzei die Fäden vorheriger Forschungsergebnisse, insbesondere von ihren "Itinera mercatorum" (1999), auf und verfeinert sie durch biographisch orientierte Fallstudien. Dabei verfolgt sie das Ziel, den Vorgang kultureller Vermittlung an wenig bekannten Einzelpersonen zu exemplifizieren (46). Abgesehen von einigen Redundanzen, die der Aneinanderreihung von Aufsätzen geschuldet sind, gelingt dieses Vorhaben plastisch und erhellend.

In einer knapp 40-seitigen Einleitung formuliert Rita Mazzei 'nachträglich' eine Art Programmatik ihrer sieben Aufsätze: Ihr dient die Mobilität italienischer Kaufleute, Diplomaten und Gelehrter seit der Verheiratung Bona Sforzas an Sigismund I. 1518 im polnischen Königreich der Jagiellonen und der nachfolgenden Königshäuser als Dispositiv, um die Rolle von Kaufleuten für kulturelle Diffusion, die Vielseitigkeit von Agenten kultureller Vermittlung sowie die Vielschichtigkeit von Austauschprozessen in der frühneuzeitlichen Gesellschaft zu charakterisieren. Ihren methodischen und thematischen Hintergrund stellt sie an einzelnen Figuren dar, die größtenteils in den anschließenden Aufsätzen behandelt werden, und verzichtet gänzlich auf theoretische Erläuterungen - obwohl sie in voller Bandbreite auf die aktuellen Tendenzen der Forschung zum "kulturellen Transfer" Bezug nimmt und insbesondere mit ihrem Verweis auf den Wandel des Polenbildes in Italien, stimuliert auf verschiedenen Kontaktebenen sowie durch Rezeption diverser Kommunikationsmedien, eine Thematik mit europäischem Gegenwartsbezug anschneidet.

Der erste Aufsatz widmet sich Ludovico Monti aus Modena (gest. 1571), der 1548 erstmals Polen erreichte und als Sekretär Bona Sforzas und ihres Sohnes Sigismund Augusts fungierte. Der humanistisch hoch gebildete Monti verfügte nicht nur über ausgezeichnete Verbindungen zum Florentiner Handels- und Bankhaus Soderini, das Luxusgüter an den Hof in Krakau lieferte und dessen Kredite bei der Königswahl Henri III. von Valois zum polnischen König 1572 eine förderliche Rolle spielen sollten, sondern knüpfte auf den diplomatischen Missionen, die er im Namen Sigismund Augusts übernahm, ein eigenes Netzwerk. Monti ist dem Umfeld Modeneser "Accademici" (eine Gruppe von Freigeistigen) zuzurechnen, so dass sein Aufbruch nach Krakau, ein Sammlungsort für zahlreiche italienische Glaubensflüchtlinge vom 16. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, eine konfessionelle Komponente erhält. Er verweilte allerdings nicht dauerhaft in Polen, sondern kehrte öfters in seine Heimat zurück, von wo aus ihn Ercole II. d'Este, Herzog von Ferrara, 1555 zum Reichstag nach Augsburg schickte. Ludovico Monti illustriert den Typus des facettenreichen Diplomaten mit kleinstaatlicher Provenienz, stets auf der Suche nach einem verlässlichen Geldgeber. Auf der Basis seiner Verbindungen zu verschiedenen Höfen sowie zu herausragenden Einzelpersönlichkeiten erlangte Monti die Stellung eines gefragten Informanten über die Situation der Glaubensflüchtlinge in Polen.

Im zweiten Aufsatz greift Mazzei die Aufenthalte Ludovico Montis in Polen und dessen Berichte an verschiedene Fürsten auf, um die Beschreibung des polnischen 16. Jahrhunderts in den Staatsarchiven in Modena, Mantua und Parma zu referieren. Dabei verweist sie auch auf die Schreiben von toskanischen Kaufleuten in der Funktion von diplomatischen Informanten.

Der dritte Aufsatz widmet sich dem Luccheser 'capitano' Lorenzo Cagnoli (1540-1604) im Dienst Sigismunds III. Wasa. Cagnoli, der auf schwedischer Seite an den Kriegen in Litauen gegen Russland teilnahm, wurde vom schwedischen König Johann III. Wasa wiederholt auf diplomatische Missionen nach Italien (Florenz, Rom, Neapel) gesandt. Seit seinem Aufenthalt am Fürstenhof der Medici stand er in schriftlichem Kontakt mit den Großherzögen Francesco I. und Ferdinando I., deren besondere Vorlieben er bediente (z. B. Import von Elchen).

Im vierten Aufsatz analysiert Mazzei die Rolle der Schriftlichkeit bzw. Verschriftlichung von Informationen durch Kaufleute. Die meisten der Kaufmannssöhne, die nach Polen kamen, erlebten eine gedoppelte Ausbildungsphase, indem sie Fremdsprachenerwerb und das Erlernen merkantiler Praxis zu kombinieren hatten. Sie entwickelten sich nicht nur zu Vertretern ihrer Handelsgesellschaften, sondern drangen in das vielseitige Milieu im höfischen Ambiente aus Sekretären, Diplomaten sowie Spionen vor und übernahmen ihrerseits diplomatische Aufgaben für die Regierungen ihrer Heimatländer. Die von Mazzei zitierten Beispiele wie das des Luccheser Girolamo Pinocci im 17. Jahrhundert, der sich während seines Polenaufenthalts eine außergewöhnlich reichhaltige Bibliothek erwarb, illustrieren nicht nur den vielseitigen Schriftgebrauch von Kaufleuten in der Diaspora, sondern charakterisieren zudem die Rolle der Kaufleute als Agenten kulturellen Transfers.

Der fünfte Aufsatz thematisiert den Zusammenhang von merkantilen Netzwerken und dem im Krakau des 16. und 17. Jahrhunderts blühenden Interesse für Alchemie, deren Beherrschung in die Nähe der Kunst des Kaufmanns gerückt wurde. Dabei steht neben der Auflistung von alchemistischen Werken, die im Ambiente des polnischen Königshofes entstanden, der über Nürnberg nach Krakau gekommene Kaufmann und polnische Postmeister Sebastiano Montelupi im Zentrum der Überlegungen. Montelupis eigener Bildungshintergrund determinierte seine Büchereinkäufe und seine Verbindungen zu Alchemisten wie dem Kalabresen Annibale Rosselli.

Im sechsten Aufsatz beschreibt Mazzei das Fallbeispiel der Florentiner Bandinelli, Nachfahren des bekannten Bildhauers Baccio B. (Herkules und Kakus vor Florentiner Stadtpalast, 1543). Angelo Maria (1624-1693) verbrachte sein Leben zwischen Warschau und Florenz. Nach der schwedischen Invasion von 1654 verschlechterten sich die wirtschaftlichen Aussichten zusehends, so dass sich die Geschäftsinteressen der florentinischen Kaufleute nach Amsterdam und Cadiz verlagerten.

Der letzte Aufsatz zeichnet diese grundlegende Verlagerung in der Mitte des 17. Jahrhunderts am Beispiel der Luccheser Familie Sardi nach. Bartolomeo Sardi beerbte nicht nur Angelo Maria Bandinelli als polnischer Postmeister, sondern fungierte als Lieferant des nach Warschau übergesiedelten Königshofes und bereiste die Messen in Leipzig. Cesare Sardi setzte seine Ausbildung in Amsterdam fort, wo er bei Francesco Mollo, dem Cousin der Frau seines Bruders und Faktor des polnischen Königs, arbeitete. Beide waren durch ihre Verbindungen zwischen Amsterdam und Warschau an der Finanzierung des Handels mit dem Baltikum beteiligt. Die Korrespondenzen der beiden Brüder sammelte der dritte, in Lucca verbliebene Bruder, Ottavio, so dass diese reichhaltige Quelle im Familienarchiv der Sardi beim Staatsarchiv in Lucca überliefert ist.

In dieser Synopse mehrerer Aufsätze zeichnet Rita Mazzei einfühlsam die Lebensläufe interessanter Figuren sowie ihrer diversifizierten Rollen in der Florentiner Diaspora nach. Besonders die Vielseitigkeit der beschriebenen Kaufleute, Diplomaten und Gelehrten wird durch die Verknüpfung kultureller Hintergründe mit wirtschaftlich orientiertem Handeln verständlich. Traurig ist, dass das vorliegende Buch "La trama nascosta" ebenso wie andere Veröffentlichungen Rita Mazzeis im deutschen Sprachraum kaum rezipiert werden - allein die konkrete Beschaffung dieses Buches hier gestaltet sich schwierig. Damit wird zugleich ein grundlegendes Problem angeschnitten, das auch die Aufsatzsammlung Mazzeis kennzeichnet: Rita Mazzei verfügt zwar über Kenntnisse des Polnischen, zitiert Nürnberger Fälle, aber kennt die deutsche Literatur kaum. Dennoch wäre diesem detailreich und intelligent geschriebenen Buch eine weitere Verbreitung zu wünschen.

Heinrich Lang