Katerina Zacharia (ed.): Hellenisms. Culture, Identity, and Ethnicity from Antiquity to Modernity, Aldershot: Ashgate 2008, xvi + 473 S., ISBN 978-0-7546-6525-0, GBP 60,00
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Was ist Hellenismus und was heißt es griechisch zu sein, ob für eine Kultur, Literatur, Geschichte, eine Nation, oder ihre Individuen? Wer entscheidet, darüber hinaus, wer oder was griechisch ist? Diese Fragen sind in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl in den Altertumswissenschaften, als auch in der Byzantinistik und Neogräzistik neu gestellt worden, vor allem unter den Rubriken Ethnizität und (nationale) Identität. Das Verdienst des vorliegenden Bandes ist, repräsentative neuere Forschung aus allen drei Bereichen in einem Buch zu verbinden, um damit einen neuen Dialog anzustoßen.
Katerina Zacharia, die Herausgeberin, hat ganze Arbeit geleistet, die zwölf Autoren ihre Beiträge mit Querverweisen und Rückverweisen auf ihren eigenen einleitenden Beitrag über Herodots Kriterien griechischer Identität (Blutsverwandtschaft, Sprache, Religion, Bräuche) versehen zu lassen. Über diese viel versprechende, wenn auch in der Praxis sehr dominante editorische Geste hinaus ist festzuhalten, dass die meisten der Beiträge tatsächlich Zacharias programmatischen Anspruch, oft subtil, modifizieren. Während Zacharia allem Anschein nach von einer zwar historisch flexiblen Identitätsbestimmung ausgeht, aber doch auf dem exzeptionellen Charakter des Griechischen, wie auch immer definiert, besteht, so konstatiert ein großer Teil der hier versammelten Aufsätze die große Fluidität und Hybridität dessen, was Identität stiftet, definiert, und in Frage stellt.
Simon Hornblower, Stanley Burstein und Ronald Mellor problematisieren genau die Frage, wie die wechselnde Autorität der Identitätsbestimmung als "moving target" (119) in der griechischen und römischen Antike geschaffen wird. Definitionen des Griechischen sind keineswegs monolithisch. Für die archaische und klassische Periode ist die Frage nach Ethnizität in den letzten zehn Jahren besonders intensiv gestellt worden (zum Beispiel in den Arbeiten Jonathan Halls, der hier erstaunlicherweise kaum referiert wird [1]); die Beiträge von Burstein und Mellor über die hellenistische und römisch-imperiale Zeit legen mit großer Klarheit dar, wie sehr ein "klassisches" Griechenland mit seiner Kultur eine Konstruktion bereits der Antike ist (siehe dazu auch, hier nicht erwähnt, den Band von James I. Porter über den Klassikbegriff in der Antike [2]). Dazu passend gibt Claudia Rapp einen exzellenten Aufriss sowohl der Materie als auch der Forschungsdebatte zum Spannungsdreieck Griechenland, Romanitas und Christentum als Referenzpunkte in Byzanz.
Ähnlich aufschlussreich und zugleich mit einer wunderbar klaren Übersicht über historische Ansätze versehen sind die Beiträge von Dimitris Livanios, über das Verhältnis von griechischer Selbstbeschreibung, Nationalismus und Religion 1453-1913, sowie Antonis Liakos' nicht weniger kluge tour de force, die die Parameter und ihre Kontexte sowohl der kulturellen und sozialen Eigenreferenz als auch der akademischen Untersuchung von Griechentum und Identität im modernen Nationalstaat zusammenfasst. Beide Beiträge unterstreichen dazu die Lücken, die sich zwischen der im griechischen Nationalstaat stark privilegierten Rhetorik einerseits und den tatsächlichen flexiblen kulturellen und sozialen Praktiken der Identitätsverhandlung andererseits öffnen.
Olga Augustinos' Verdienst ist, die spannungsreiche Triangulierung von Antike, modernem Europa und griechischem Nationalstaatsgedanken ab 1800 am Beispiel des Mediziners, Gelehrten und Aufklärers Adamantios Korais vorzustellen, und ein intellektuelles Porträt ohne jeden Biografismus zu zeichnen. Korais, in Paris angesiedelt, der zur Refamiliarisierung seiner Landsleute noch ohne Land mit den Texten der Antike aufrief und eine große Zahl von Textausgaben selber ediert, steht für die Dialektik von Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung des Griechischen, die für den Hellenismus bis auf Weiteres kennzeichnend bleiben würde.
Ähnlich weit reichend in diesem zweiten Teil des Bandes stößt Glenn Most, der gerne aber immer mit Gewinn polemisiert, erneut die Frage an, ob Hellenismus und Philhellenismus per definitionem an die Kennzeichnungen des Nationalismus gebunden sind. Seine Schlussfolgerung ist, dass trotz der plakativen, aber oberflächlichen Verbindung von europäischem Hellenismus und verschiedenen europäischen Nationalismen, die komplexe Annäherung an das Griechische als Wert erstaunlich immun geblieben ist gegen einseitig nationalistische Vereinnahmung.
Der dritte Teil bewegt sich vornehmlich im 20. Jahrhundert. Der Anthropologe Charles Stewart untersucht das Bewusstsein historischer Kontinuität im Bezug auf individuelle und kollektive Identität am Beispiel von Berichten über Traumerscheinungen und Traumvorhersagen. Stewarts eigene Feldstudien auf der Insel Naxos sind Teil seiner Aussagen, aber sein Ansatz gehört zu denen in diesem Band, die am ehesten den Transfer in Forschungsgebiete außerhalb des Hellenismus erleichtern.
Peter Mackridges Beitrag ist eine elegante Zusammenfassung der Parameter griechischer nationaler Identität an der Wende zum 21. Jahrhundert. Katerina Zacharia steuert noch einen weiteren eigenen Beitrag bei zur Darstellung Griechenlands im Film. Yorgos Anagnostou und Artemis Leontis schließlich eröffnen die Perspektive auf die Erfahrung und die wissenschaftliche Aufarbeitung der griechischen Emigration. Obwohl beide über den griechischen Fall hinausweisende kulturwissenschaftliche Ansätze vorstellen, ist es schade, dass Migration in diesem Band fast ausschließlich als Phänomen vorgestellt wird, das sich auf den amerikanischen Raum bezieht. Das ist vor allem in Anbetracht der Tatsache bedauerlich, dass Griechenland in den letzten 15 Jahren de facto ein Ziel der Immigration geworden ist; eine Entwicklung, die die fast komplette Homogenität des griechischen Nationalstaats nachhaltig verändert hat (rund 10% der griechischen Bevölkerung hat heute einen Migrationshintergrund), noch verändert, und weiterhin verändern wird. [3] Auf diesem Hintergrund ist der Band besonders aktuell, und könnte in einem globalen Kontext tatsächlich über den griechischen Fall hinaus neue, und methodologisch neue Fragen stellen. Solche Fragen aus dem griechischen Zusammenhang zu extrapolieren liegt weitgehend in der Verantwortung des Lesers.
Anmerkungen:
[1] Jonathan M. Hall: Ethnic Identity in Greek Antiquity, Cambridge 1997; ders.: Hellenicity. Between Ethnicity and Culture, Chicago 2002.
[2] James I. Porter (ed.): Classical Pasts. The Classical Traditions of Greece and Rome, Princeton 2006.
[3] Zur erweiterten Kulturgeschichte der griechischen Migration siehe den hilfreichen Band von Dimitris Tziovas (ed.): Greek Diaspora and Migration since 1700. Society, Politics and Culture, Aldershot 2009.
Constanze Güthenke