Rezension über:

Wolfgang Petz: Die letzte Hexe. Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frankfurt/M.: Campus 2007, 204 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-593-38329-3, EUR 19,90
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Rezension von:
Katrin Moeller
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Katrin Moeller: Rezension von: Wolfgang Petz: Die letzte Hexe. Das Schicksal der Anna Maria Schwägelin, Frankfurt/M.: Campus 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 3 [15.03.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/03/13285.html


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Wolfgang Petz: Die letzte Hexe

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Die Frage nach Beginn und Ende geschichtlicher Entwicklungen beschäftigt uns oft intensiver als die eigentliche Dynamik, das Potenzial von langfristigen Ereignissen. So auch im vorliegenden Buch von Wolfgang Petz. Die Suche nach der letzten Hexe, nach den letzten Ewiggestrigen, die dem Hexenglauben so erbärmlich lange anhingen und auf die man dann mit dem Finger zeigen konnte, hat schon manchen frühneuzeitlichen Zeitgenossen oder späteren Forscher beschäftigt, zugleich aber in diesem Sinne verleitet. Dieser Verführung entgeht Wolfgang Petz weitgehend in seiner unprätentiösen, für ein breites Zielpublikum offenen Darlegung neuer Erkenntnisse zum immer wieder gern zitierten "letzten" Hexenprozess gegen Anna Maria Schwägelin (Fürstabtei Kempten). Es ist nun das Verdienst von Wolfgang Petz die Akten zu diesem Fall, die sich heute in Privatbesitz befinden, aufgefunden und gedeutet zu haben.

Den Anfang des Buches vom Ende der Hexenverfolgung bilden einige grundlegende Ausführungen zur Hexenverfolgung (Kapitel I: Das Elend der Hexenprozesse). Stark gerafft gibt der Autor einen Überblick über Verfolgungsbeginn, Wesen und Wirken des Hexenhammers, die Carolina, konfessionelle Nuancen, Dämonologie, populären Hexenglauben sowie die Rolle von Inquisitionsprozess und Folter. Hier gerät manches arg knapp und rückt manchmal in die Nähe des Missverständlichen, etwa wenn das Hexereiverbrechen in Form des crimen exceptum als singuläres Verbrechen bezeichnet wird (20), was dem Charakter des Hexereiverbrechens als Sektenverbrechen widerspricht. Ausführlicher werden die Kritiker des Hexenprozesses behandelt, die in der klassischen Reihung Spee - Bekker - Thomasius abgehandelt werden. Originell wirkt auf jeden Fall die Kontrastierung dieser Kritiker mit späten Verfolgungsbefürwortern und ihrer Rezeption (26).

Ob die Vorstellung des Autors von der Alltagsrelevanz magischer Praktiken und Glaubensvorstellungen sich in dieser Form tatsächlich zeichnen lässt, würde ich sehr kritisch hinterfragen. Generell gehört die mittlerweile häufiger entwickelte Vorstellung von einem alltäglichen magischen und rituellen Charakter der Frühen Neuzeit auf den Prüfstand der Hexen-, Magie- und Religionsforschung. Noch lange ist nicht ausgemacht, ob es sich hier eher um ein (Rezeptions-)Relikt der Forschungen des 19. Jahrhunderts handelt oder ob es tatsächlich Abbild alltäglicher Handlungen war, auch wenn dies neuere Forschungen zur Performanz und zu Ritualen mittlerweile stark suggerieren.

Ganz nebenbei malt Wolfgang Petz ein quellensattes Bild frühneuzeitlichen Lebens, das vor allem im zweiten Kapitel eine Beschreibung der großen Welt im Kleinen bietet, viele lokale Beispiele bringt und dann eben doch etwas einseitig das Bild einer von der "Aufklärung" weit entfernten lokalen Gesellschaft präsentiert. Gerade die neuere Aufklärungsforschung könnte man jedoch gegen dieses Stimmungsbild ins Feld führen, hat sie doch gezeigt, dass Aufklärung keineswegs eine gradlinige Entwicklung zur säkularisierten Gesellschaft bedeutete, sondern gleichzeitig über ein vielschichtiges wie differenziertes Potenzial magisch-esoterischen Wissens verfügte, zu dem Wolfgang Petz mit der Darstellung des späten Hexenprozesses von 1775 hier schließlich selbst einen Beitrag leistet.

Nur allmählich nähert sich Petz dem eigentlichen Prozess und dem Problem der späten Hexenverfolgungen, die "nur noch selten als konkreter Verdacht [...], sondern als diffuses Gefühl der Bedrohung" gewertet werden können (33). Nach einem kurzen Exkurs zur Besessenheit sowie kirchlich-religiösen Formen des Wunderglaubens schildert Wolfgang Petz ausführlich späte Hexenverfolgungen in und um Memmingen, dem Schauplatz des späteren Prozesses gegen Anna Maria Schwägelin. Diese werden sowohl als konkurrierende Deutungsoptionen der Obrigkeit (psychische und physische Erkrankungen, Besessenheit oder Hexerei, 45) wie auch als individualpsychologische Handlungen (Autoaggression) interpretiert (48). Insgesamt dienen diese Ausführungen weniger einer systematischen Suche nach Faktoren der späten Hexenverfolgung, als vielmehr der Vorstellung von Akteuren und Agenten der Verfolgung, wobei vor allem den rechtlichen Voraussetzungen ein breiterer Raum gewährt wird.

Insgesamt bleibt Wolfgang Petz auf der Basis einer sehr detailgenauen, manchmal überbordenden und etwas vom Fall wegführenden Rekonstruktion, die sorgfältig zwischen Vermutungen und Fakten zu scheiden versucht, sich immer wieder erfolgreich bemüht, Quellen-Realitäten als Fiktionen zu verunsichern. Weitgehend vergibt der Autor Chancen, die wissenschaftliche Literatur (die er durchaus rezipiert hat) auch zur Einordnung und Erklärung des Prozesses zu nutzen. Stattdessen schildert er im lockeren, durchaus unterhaltenden Stil, teilweise schon fast in Form eines Panoptikums seinen Fund.

Mit Seite 65 (Kapitel III) beginnt dann das Leben der eigentlichen Hauptfigur Anna Maria Schwägelin, und hier gewinnt das Buch durch einen interessanten methodischen Versuch erheblich an Spannung: Wolfgang Petz spaltet das Leben der Protagonistin virtuell in zwei Sphären auf. Auf der einen Seite präsentiert er das scheinbar rationale, echte Leben der Dienstmagd, auf der anderen Seite wird das fiktive Leben der glaubensabtrünnigen Teufelsbündnerin entfaltet. Hier nähert sich Wolfgang Petz den zahlreichen Diskussionen um die Möglichkeit von Rekonstruktionen des Alltags an, zieht die "Echtheit der Erinnerungen" im Rahmen des Verhörs immer wieder erfolgreich in Zweifel und weist so auf die Schwierigkeiten der Quelleninterpretationen hin.

Blicken wir auf das Leben Nr. 1, finden wir eine sorgfältig rekonstruierte Fallstudie frühneuzeitlicher Verelendung, die den frühen Tod der Eltern (74) als zentrales Kriterium des weiteren Abstiegs des Waisenkindes markiert und sich in späteren Lebensstationen mit einer geplatzten Heirat und einer intensiven Krankheitsgeschichte manifestierten.

Das Leben Nr. 2 dagegen deutet den Religionswechsel vom katholischen zum protestantischen Glauben (motiviert durch das Heiratsversprechen, 97ff.) als Angelpunkt der Glaubensunsicherheit, die sich mit dem Bruch der Heiratsverbindung als individuelle Lebenskatastrophe ausnimmt und gemeinsam mit der unerfüllten Sexualität der Dienstmagd (115) nur wenig später zur Imagination einer Teufelserscheinung führte. Der Fall liefert damit eines der wenigen Beispiele der populären Imagination von Teufelsbuhlschaft und Teufelspakt, der nicht nur durch die Angeklagte, sondern später auch durch die Anklägerin bestätigt wurde und gleichzeitig vom bekannten Motiv des Teufelspaktes zum Erwerb von materiellen oder geistigen Reichtümern abweicht.

Mit Kapitel V (Vexierbilder des Teufels) beginnt der eigentliche Prozess, der vor allem die mentalen Verwirrungen im Armenhaus, mittlerweile die Wohnstatt der Schwägerlin, deutet. Dieses Leben wird kontrastiert mit den Mentalitäten der Richter und Gutachter des Falles, vor allem mit einer ausführlichen Darlegung der rechtlichen Erwägungen und eine Aufzählung anderer später Hexenprozesse (149f.). Daran anschließend erörtert Wolfgang Petz, eher ein wenig unvermutet, ausführlich die Auseinandersetzungen um Ferdinand Sterzinger (Bayerischer Hexenkrieg) und das Wirken von Johann Joseph Gaßner. Die Aufklärung zu diesem Brückenschlag folgt dann gemeinsam mit der Pointe des Buches wie des letzten Hexenprozesses im Alten Reich, die hier nicht vorweggenommen werden soll.

Insgesamt legt Wolfgang Petz ein sehr lesbares Buch vor, das eine Neubewertung des Falles erlaubt und so einen schönen Beitrag zu den in der Forschung noch immer wenig untersuchten späten Hexenprozessen liefert. Petz argumentiert methodisch wie quellenkritisch ausgewogen und sorgsam überlegt. Gerade aus diesem Blickwinkel heraus ist es für die wissenschaftliche Diskussion fast schon bedauerlich, dass Petz seinem Anliegen weitgehend treu bleibt, ein breites Publikum anzusprechen.

Katrin Moeller