Rezension über:

Angelika Messner / Konrad Hirschler (Hgg.): Heilige Orte in Asien und Afrika. Räume göttlicher Macht und menschlicher Verehrung (= Beiträge des Zentrums für Asiatische und Afrikanische Studien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Bd. 11), Schenefeld: EB-Verlag 2006, XV + 280 S., ISBN 978-3-936912-19-7, EUR 23,00
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Rezension von:
Stephan Conermann
Institut für Orient- und Asienwissenschaften, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Conermann: Rezension von: Angelika Messner / Konrad Hirschler (Hgg.): Heilige Orte in Asien und Afrika. Räume göttlicher Macht und menschlicher Verehrung, Schenefeld: EB-Verlag 2006, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 3 [15.03.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/03/10571.html


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Angelika Messner / Konrad Hirschler (Hgg.): Heilige Orte in Asien und Afrika

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Dieser Sammelband geht aus einer Ringvorlesung hervor, die das Zentrum für Asiatische und Afrikanische Studien (ZAAS) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Sommersemester 2004 veranstaltet hat. Von den zwölf Vorträgen konnten zehn publiziert werden, von denen hier aus Platzgründen sieben näher vorgestellt werden. Die Präsentation erfolgt entlang der sehr guten und überaus sinnvollen englischen Abstracts zu Beginn des Bandes. Im Anschluss an eine ganz ausgezeichnete Einleitung, in der Angelika Messner die methodischen Probleme erörtert, die sich mit dem Phänomen von "Heiligen Orten" verbinden, beginnt Ulrich Hübner (1) mit einer Beschreibung von drei Personen bzw. Personengruppen, die in Transjordanien auf unterschiedliche Art und Weise auch heute noch von Juden, Christen und Muslimen verehrt werden. 1. Muslime pilgern nach ar-Ragib und zu einer 'Höhle' (al-kahf) südlich von Amman, da man dort die aus einer christlichen Tradition stammenden 'Siebenschläfer' vermutet. 2. Johannes der Täufer wird in Machaerus und in der Nähe des Südteils des Jordans sowie in Samaria, Damaskus und an anderen Orten von Muslimen und Christen verehrt. 3. Christen und Muslime begeben sich schließlich auf den Harunsberg in der Nähe von Petra, der mit dem Aaronsgrab verbunden wird.

Josef Wiesehöfer (2) stellt dann den Tacht-i Sulaiman in seiner dreifachen Funktion vor: 1. als einen Ort des 'herrscherlichen Feuers' in sassanidischer Zeit, d.h. also als einen Kontaktpunkt zwischen weltlicher und göttlicher Macht; 2. als den "Thron Salomons" im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Iran, d.h. als den Arbeitsplatz eines weisen, göttlich inspirierten Herrschers und Heilbringers; 3. als iranisches Weltkulturerbe, d.h. als einen Ort kultureller Wichtigkeit, den es zu beschützen gilt.

In einem weiteren Aufsatz geht Anja Pistor-Hatam (3) den Fragen nach, welche Heiligen Stätten schiitische Pilger im 19. Jahrhundert im Irak besuchten und welche Bedeutung sie diesen Orten beimaßen. Eine Reihe von Pilgerberichten aus der Zeit von 1803 und 1898 dienen der Verfasserin als Quellen. Diese Texte zeigen sehr gut, dass viele Autoren entsetzt waren sowohl über den Zustand der Orte wie auch über viele ihnen fremde Riten vor Ort. Neben den bekannten Plätzen in Najaf, Kerbala, Kazimain und Samarra suchte man ebenso weniger berühmte Pilgerzentren auf. Wie die letzten Ruhestätten der Imame hatten aber auch diese lokalen Wallfahrtsorte einen großen Einfluss auf die osmanisch-irakische Gesellschaft. Unter den kleineren Zentren befanden sich neben den Gräbern der Prophetengenossen vor allem die letzten Ruhestätten vorislamischer biblischer und koranischer Propheten und der Gefährten Husains in der Schlacht von Kerbala. Anhand ihres Materials kann Frau Pistor-Hatam eine sehr schöne Topografie schiitischer heiliger Orte des 19. Jahrhunderts im Irak erstellen.

Konrad Hirschler (4) gelingt es in seinem Text nachzuweisen, dass die religiöse Landkarte des spät-mittelalterlichen Ägyptens und Syriens eine große Zahl Heiliger Orte kennzeichnet. Er diskutiert insbesondere diejenigen Orte, die auf Friedhöfen lagen. Die Wallfahrt zu diesen Plätzen rief unter den Gelehrten der Zeit eine große Kontroverse hervor. Vor allem Ibn Taymiyya (gestorben 1328) wetterte gegen diese Praktiken. Seine sehr ablehnende Position war allerdings eine Minderheitenmeinung. Die meisten Gelehrten hatten keine religiösen Bedenken, vielmehr stießen sie sich an den sozialen Praktiken. Man fürchtete in erster Linie den illegitimen Kontakt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen und zwischen Frauen und Männern. Auf der Grundlage normativer Texte, Pilgerführern, Chroniken und biografischer Literatur, kann von Konrad Hirschler eindrucksvoll gezeigt werden, dass diese kleinen Pilgerorte von großen Teilen der Bevölkerung besucht wurden.

In seinem Artikel "Zentrum und Peripherie im heiligen Raum: Territoriale Sakralisierung durch Wallfahrt in Indien und Nepal" kommt Horst Brinkhaus (5) auf die Situation in Südasien zu sprechen. Individuen können, ihm zufolge, mit der göttlichen Sphäre durch ihr Innerstes in Kontakt kommen oder sie können sich der Außenwelt zuwenden und von der Macht der als Heilige Orte von der Gemeinschaft anerkannten Zentren profitieren. Auf dem Subkontinent sind beide Varianten sehr verbreitet, wobei Mandalas wohl eher dem ersten Verhaltensmuster entsprechen. In der vedischen Religion spielte die Tempelverehrung und die Wallfahrt keine Rolle. Die ältesten Spuren eines Pilgerwesens finden sich im Mahabharata. Hier wie auch in der älteren Dharmasastra-Literatur entdeckt man eine gewisse Skepsis von Seiten der Brahmanen gegenüber diesen Bräuchen. Dennoch setzte sich die Pilgerfahrt durch. In vielen Mahatmyas gibt es Beschreibungen regionaler Traditionen. Die Ähnlichkeit der Rituale ist bemerkenswert, zumal sie sich auch in der nepalesischen Mahatmya-Literatur reflektiert, in der die Praktiken beschrieben werden, die im Kathmandu-Tal bei dem Hauptheiligtum von Pasupathinata vollzogen werden.

Achim von Oppen und Chanfi Abdallah Ahmed (6) skizzieren Sufi-Heiligtümer in Ostafrika als Schauplätze translokaler Erinnerung. Ihr Aufsatz beschäftigt sich mit den Heiligen Orten einer der wichtigsten muslimischen Sufi-Bruderschaften in Ostafrika, der Shadhiliyya-Yashrutiyya. Sie liegen um die Gräber von zweien ihrer Gründer und bedeutendsten Gelehrten - das eine auf dem Komoren, das andere an der südlichen Küste von Tansania. Lokale Praktiken sind in die Pilgerfahrten eingebunden worden und haben im Laufe der Zeit neue Formen und Bedeutungen angenommen. Dies gilt ganz besonders für den Schrein in Tansania, dessen Zeremonien im Kontext neuerer historischer Entwicklungen (etwa: Landflucht, regionale Disparitäten, Zusammenstöße mit islamistischen Bewegungen) deutlich modifiziert worden sind.

Um die Schreine und Wallfahrtsstätten der Zoroastrier in Iran geht es schließlich in der Studie von Robert Langer (7). Die meisten Schreine, die die Bezeichnung piran (Sg.: pir) tragen, werden von den Gläubigen mit einem göttlichen Wesen oder mit mythischen Figuren verbunden. Im Gegensatz zu den muslimischen Heiligen Orten bezieht sich kein pir auf eine heilige Person. Historisches Datenmaterial ist rar, in den Quellen werden allein zwei Pilgerzentren aus dem 17. bzw. 19. Jahrhundert erwähnt. Ein Versuch, alle historischen und neuen zoroastrischen Schreine zu erfassen, ist von dem Autor während eines Feldforschungsaufenthaltes im Jahre 2001 unternommen worden. Die Daten dienen dazu, die piran in einen sozialgeschichtlichen Kontext einzubetten und ihre Rituale (individuelle Verehrung, gemeinsame Feste, Pilgerfahrten) besser regional analysieren und einordnen zu können.

Der rundum gelungene und in seiner Interdisziplinarität wegweisende Band wird ergänzt und abgerundet durch die ebenfalls substantiellen Beiträge von Hermann Kulke ("Der umkämpfte 'Herr der Welt': Jaghanatha und die ostindische Tempelstadt Puri"), Herrmann Schmitz ("Wie kann ein Ort heilig sein?") und Angelika C. Messner: "Heilige Berge und heilige Menschen im chinesischen Kontext").

Stephan Conermann