Rezension über:

Ingo Knecht: Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803. Rechtmäßigkeit, Rechtswirksamkeit und verfassungsgeschichtliche Bedeutung (= Schriften zur Verfassungsgeschichte; Bd. 77), Berlin: Duncker & Humblot 2007, 238 S., ISBN 978-3-428-12213-4, EUR 88,00
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Rezension von:
Karl Härter
Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Karl Härter: Rezension von: Ingo Knecht: Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803. Rechtmäßigkeit, Rechtswirksamkeit und verfassungsgeschichtliche Bedeutung, Berlin: Duncker & Humblot 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 12 [15.12.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/12/12832.html


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Ingo Knecht: Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

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Die vorliegende Arbeit, eine Marburger juristische Dissertation, unternimmt erneut den Versuch, den Reichsdeputationshauptschluss (RDH) von 1803 auf seine "verfassungsrechtliche" Qualität und "Rechtmäßigkeit" hin zu untersuchen und knüpft damit an die 1969 publizierte Arbeit von Hömig und Forschungen des Rezensenten zum Immerwährenden Reichstag (1789-1806) an. [1] Nach einer denkbar knappen Einleitung (21 f.), die allgemein Bedeutung und Aktualität des RDH unterstreicht, allerdings ohne Forschungsstand, Quellen, Methode und Fragestellungen näher zu entwickeln, folgt zunächst eine Darstellung der "Verfassungslage" des Alten Reiches in seiner Spätphase sowie des Zustandekommens und der wesentlichen Inhalte des RDH. Überwiegend auf der Basis einschlägiger Gesamtdarstellungen und einiger Werke der Reichspublizistik zeichnet der Verfasser ein systematisches institutionengeschichtliches Bild des Reiches nach und fasst Genese, Inhalte und Auswirkungen des RDH meist treffend zusammen, freilich ohne zusätzliche Quellen auszuwerten oder neue Ergebnisse präsentieren zu können.

Im Hauptteil prüft Knecht dann detailliert die formelle und materielle "Rechtmäßigkeit" des RDH am Maßstab der Reichsverfassung bzw. des Reichsrechts und der Reichsgesetzgebung (Gesetzgebungsverfahren im Immerwährenden Reichstag ), wobei auch "Staatsnotstand", "revolutionärer Akt" und "normative Kraft des Faktischen" als juristische Figuren und Erklärungsansätze herangezogen werden. Die zeitgenössische Beurteilung des RDH durch die späte Reichspublizistik oder die beteiligten Funktionsträger des Reiches (z. B. Kaiser/Reichskanzlei, Reichstagsgesandte, Reichskammergerichtsassessoren) klammert Knecht dabei allerdings aus.

Im dritten Teil folgt dann eine Darstellung der "staatsorganisatorischen", "gesellschaftlich-sozialen" und modernisierenden Folgen und Auswirkungen des RDH bzw. der Mediatisierungen und Säkularisationen. Gebündelt behandelt werden dabei so unterschiedliche Themen wie Schwächung der Reichsstruktur, Etablierung moderner territorialer Staatlichkeit, Entstehung des Föderalismus, das Verhältnis von Staat und Kirche/Staatskirchenrecht, der "Sozialstaatsgedanke", die mikro- und makroökonomischen Folgen der Säkularisationen, die Veränderung der Gesellschaftsstrukturen und der wirtschaftlichen Situation des Adels, die Schaffung moderner Grundrechte, die gesellschaftspolitischen Vorstellungen Napoleons und die Gesellschaftsreformen in den Rheinbundstaaten.

Bereits die Auflistung macht deutlich, dass hier moderne-juristische Kategorien mit sozialhistorischen und politisch-verfassungsrechtlichen Ansätzen vermischt werden, ohne dass ein stringentes erkenntnistheoretisches Modell zugrunde liegt. Insofern bietet auch dieser dritte Schwerpunkt nicht viel mehr als eine deskriptive Auflistung - im Detail meist korrekt referierter - bekannter, aber sehr unterschiedlicher Forschungsergebnisse. Freilich befindet sich der Verfasser dabei nicht durchgängig auf der Höhe des Forschungsstands [2], sondern stützt sich häufig auf ältere Gesamtdarstellungen und vernachlässigt zentrale Probleme wie z. B. die Reform der politischen Partizipation der Reichsmitglieder über die Stimmenverteilung im Reichstag oder die Frage der protestantischen Mehrheit im Kurfürstenrat mit seinen Konsequenzen für das katholische Haus Habsburg.

Ein neues Bild des RDH kann Knecht folglich nicht zeichnen, zumal keine neuen Quellen herangezogen wurden (wobei nach wie vor die eigentlichen Akten der Deputation, die diplomatische Korrespondenz der Beteiligten oder die politischen Akten Frankreichs und Russlands bislang nicht zusammenfassend für eine monographische Darstellung genutzt worden sind). In der knappen Zusammenfassung (276-278) bestätigt der Verfasser dann auch zunächst die bisherige Forschungsmeinung, dass dieses letzte Reichsgrundgesetz in den entsprechenden Deputations- und Reichsberatungen formell rechtmäßig zustande gekommen sei und letztlich durch die "normative Kraft des Faktischen" Rechtswirksamkeit gewonnen habe.

Materiellrechtlich hält Knecht den RDH allerdings für problematisch bzw. bezweifelt die Rechtmäßigkeit, da es sich beim Alten Reich um einen "Bundesstaat" gehandelt habe, in dem eine "Existenzgarantie" als "ungeschriebener Grundsatz des Verfassungsrechts" gegolten habe (277). Hier offenbart sich ein weiteres Problem dieser Arbeit: Mit formal-juristischer Methodik und Begriffen arbeitend, behandelt Knecht Reichsverfassung und Reichsrecht mit modernen staatsrechtlichen Kategorien. Auch wenn die kaiserlichen Wahlkapitulationen eine Garantie der reichsständischen Rechte enthalten, so war das Alte Reich kein "Bundesstaat" und die Reichsstände waren keine "Gliedstaaten", sondern durch komplexe lehens- und verfassungsrechtliche Beziehungen in das Reichssystem integriert. Und dieses Reichssystem kannte sehr wohl den Entzug und die Übertragung von Reichsstandschaften (bzw. Land, Leuten und Herrschaftsrechten) - denn diese wurden ja durch den RDH nicht aufgelöst, sondern nur an neue Lehensträger übertragen -, und es konnte ebenso auf eine lange, lehens- und verfassungsrechtlich legitimierte Tradition von Mediatisierungen, Säkularisationen und auch Abtretungen von Reichsgebiet bzw. dem Ausscheiden von Reichsmitgliedern zurückblicken.

Die bloß formal-juristische Betrachtungsweise der Arbeit, die anachronistisch moderne staats- und verfassungsrechtliche Begriffe und Kategorien auf ein lediglich normativ-institutionell aufgefasstes Altes Reich appliziert, wird daher weder dem RDH noch der komplexen Verfassung des Alten Reiches gerecht.


Anmerkungen:

[1] Klaus Dieter Hömig: Der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 und seine Bedeutung für Staat und Kirche unter besonderer Berücksichtigung württembergischer Verhältnisse, Tübingen 1969; Karl Härter, Reichstag und Revolution 1789-1806. Die Auseinandersetzung des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Alte Reich, Göttingen 1992; Karl Härter, Der Hauptschluss der außerordentlichen Reichsdeputation vom 25. Februar 1803: Genese, Dynamik und Ambivalenz der legalen "Revolutionierung" des Alten Reiches, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003), 484-500.

[2] Vgl. beispielsweise Karl Härter, Zweihundert Jahre nach dem europäischen Umbruch von 1803: Neuerscheinungen zu Reichsdeputationshauptschluß, Säkularisationen und Endphase des Alten Reiches, in: Zeitschrift für historische Forschung 33 (2006), 89-115; FORUM: Die Säkularisation der Reichskirche und das Ende des Alten Reichs, in: sehepunkte 7 (2007) Nr. 9, http://www.sehepunkte.de/2007/09/forum/die-saekularisation-der-reichskirche-und-das-ende-des-alten-reichs-33/[19.10.2007].

Karl Härter