Rezension über:

Luise Schorn-Schütte (Hg.): Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte; Beiheft 203), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005, 524 S., ISBN 978-3-579-01762-4, EUR 49,95
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Rezension von:
Axel Gotthard
Institut für Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Redaktionelle Betreuung:
Christine Roll
Empfohlene Zitierweise:
Axel Gotthard: Rezension von: Luise Schorn-Schütte (Hg.): Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/13177.html


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Luise Schorn-Schütte (Hg.): Das Interim 1548/50

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Auch wenn sich Horst Rabe der Entstehungsgeschichte des Texts annahm [1]: Jenes Augsburger Interim, das in der Mitte des 16. Jahrhunderts so Furore gemacht hat, führt in der neueren Historiographie doch ein Schattendasein. Es liegt auch am Text selbst, der eher nach theologisch versierten Exegeten denn nach Historikern zu rufen scheint. Vor allem aber litt die Beschäftigung mit dem Interim unübersehbar daran, dass eben überhaupt die letzte Dekade vor dem Augsburger Religionsfrieden seit jeher im toten Winkel historiographischer Bemühungen lag. Auch den Religionsfrieden selbst überließ man ja ausschließlich den Theologen, und noch Handbücher der allerjüngsten Zeit behandeln die Dekade davor, wie seit eh und je, als kümmerlichen Anhang zur 'eigentlichen' Reformationsgeschichte, während die Kollegen, die das Konfessionelle Zeitalter bearbeiten, erst nach 1555 einsetzen. Kurz, der Verein für Reformationsgeschichte widmete sein Symposium zum Interim im Oktober 2001 - der Sammelband dokumentiert die dort gehaltenen Vorträge - einem traditionell vernachlässigten Thema. Etwas besser geworden ist unser Kenntnisstand freilich seitdem: durch eine 2003 von Thomas Kaufmann [2] vorgelegte Monographie über den Magdeburger Widerstand gegen das Interim und zweier "Reichstagsakten"-Bände und zweier Studien von Ursula Machoczek [3] und Erwein Eltz [4], welche ausgiebig die sich um das Interim rankenden Verhandlungen zwischen Karl und den Reichsständen an den Reichstagen von 1547/48 und 1550/51 berücksichtigen.

Was wir über die Entstehungsgeschichte wissen können, wird im Tagungsband von ihrem besten Kenner, Horst Rabe, bündig zusammengefasst. Lässt uns hier die schwierige Quellenlage an manche Grenzen stoßen, sind die kurz- und mittelfristigen Folgen des Interims einfach noch nicht systematisch untersucht. Von den fünf Beiträgen zur Wirkungsgeschichte in den Reichsterritorien befassen sich drei mit nord- und mitteldeutschen Stadtgemeinden (Rainer Postel, Heinz Schilling, Günter Wartenberg), einer inspiziert den reichsunmittelbaren Adel (Horst Carl). Mit Kurbrandenburg (Bodo Nischan) wird nur ein einziges Kurfürstentum beleuchtet, die Fürstentümer werden gar nicht gestreift. Mehr als einige Mosaiksteine zu einer noch zu schreibenden politischen Wirkungsgeschichte des Interims liegen also nicht vor uns, doch das ist bezeichnend für den Forschungsstand. Die Reaktion an der Spree lässt sich rasch zusammenfassen: große Empörung, fast einhellige Ablehnung, man suggeriert nach außen, zumal Karl gegenüber, ernsthaftes Bemühen und belässt es doch im Inneren bei der (liturgisch sehr konservativen) Kirchenordnung von 1540.

Ein sehr interessanter Aufsatz zur Haltung des nichtfürstlichen Hochadels kündet ebenfalls vom Scheitern der kaiserlichen Absichten, ja, vermag überzeugend zu zeigen, dass das Interim von Regenten, die bislang an den altgläubigen Zeremonien festgehalten hatten, indes schon mit der Reformation sympathisierten, als Hebel für eine Hinwendung des Territoriums zur Reformation genutzt wurde. Dass der Kaiser die Ausschüsse der Ritterviertel anschrieb, wertete die korporative Organisation der Ritterschaft auf, auch sprach Karl "die Ritter ausdrücklich als Obrigkeiten an" - dass von da "ein direkter Weg zur reichsrechtlichen Anerkennung des Jus reformandi der Reichsritter im Augsburger Religionsfrieden" führe (163), kann man allerdings nicht sagen, denn ob Reichsrittern dem Religionsfrieden zufolge ein solches zustünde, war im ganzen Konfessionellen Zeitalter strittig, der Text von 1555 lässt hier wie so oft zwei Lesarten zu.

Für das Kollektivgedächtnis reichsunmittelbarer Adelskreise war das Interim offenbar peripher - ganz anders als für die von ihm betroffenen Stadtgemeinden. Suchten die Ratsherren außenpolitische Rücksichten zu nehmen, waren sich Geistliche, offensichtlich die eigentlichen Motoren des Widerstands, und Bürgerschaften jedenfalls norddeutscher Städte in ihrer empörten Ablehnung einig - was zu kritischen Rückfragen ans tradierte Bild vom notorisch obrigkeitstreuen lutherischen Geistlichen und ans Klischee vom "Ende der Reformation als Volksbewegung" seit 1525 animieren könnte. Scheitern auf der ganzen Linie also - nur in Nuancen unterscheiden sich die Befunde der den Stadtgemeinden gewidmeten Beiträge. So betont Postel die "Festigung des Protestantismus", das "kirchenpolitische Zusammenrücken" (192), während Schilling vor allem die "Selbstbehauptung städtischer Autonomie und hansestadtbürgerlicher Identität" (217) ins Auge sprang. Ob sie tatsächlich erst die "Mäßigung des Kaisers in seinem Triumph" (208) möglich gemacht hat? Hätte Karl den Nordwesten wirklich, wie den Süden des Reiches, mit leichter Hand nehmen können? Dass wir solche vermeintlich einfache Fragen nicht konsensfähig beantworten können, illustriert, wie viel für die letzte Dekade vor dem Religionsfrieden selbst in traditioneller politikgeschichtlicher Hinsicht noch zu tun wäre.

Blicke auf theologische Traktate und Gutachten (Joachim Bauer, Irene Dingel, Ernst Koch, Inge Mager) erbringen den eigentümlichen, scheinbar widersprüchlichen Befund einhelliger Ablehnung bei just jetzt aufbrechenden gravierenden innerlutherischen Differenzen. Die Verdikte eines ringsum nur Kompromisslerei witternden Flacius erweisen sich im Lichte dieser Studien als wissenschaftlich unhaltbare Polemik, doch Nuancen zwischen fundamentalem und taktisch geschmeidigerem Widerstand wirkten offensichtlich als Katalysator für Lehrdifferenzen nach dem Tod der vordem lange unstrittigen theologischen Führungsgestalt. Die formalen (Zuständigkeit des Konzils) wie inhaltlichen Einwände der geistlichen Reichsstände analysiert Rolf Decot; dass auch die das Interim flankierende "Formula reformationis" nahezu wirkungslos blieb, zeigt Eike Wolgast. Die verfassungspolitisch und aus evangelischer Warte so brisante "Interimskrise" ist aus der Sicht der katholischen Kirchengeschicht eine fast belanglose Episode.

Auch unmittelbare Wechselwirkungen mit anderen und andersartigen politischen Systemen Europas lassen sich nicht ausmachen, das Interim war "ein deutsches Ereignis" (Ronald Asch, 47). In Frankreich (G érald Chaix) war die Resonanz schwach, in der Eidgenossenschaft (Thomas Maissen) wurden immerhin die Theologen aufmerksam, die Separation der niederländischen Nordprovinzen (Martin van Gelderen) fußt nicht auf interimistischen Widerstandsdebatten; lediglich in Polen (Janusz Mallek) gab es einen zeitnahen, doch rasch vorübergehenden Widerhall der deutschen Diskussion.

Diese Diskussion könnte freilich in anderer Hinsicht langfristig auch außerhalb des Reiches eine gewisse Rolle gespielt haben: Inwiefern sich die damals schon seit knapp zwei Jahrzehnten geführte deutschen Debatte um ein Widerstands- oder Notwehrrecht durch das Interim intensiviert und wie sich das wiederum auf die europäische Kommunikation über Herrschaft ausgewirkt hat, fragen Beiträge Roberts von Friedeburg und Georg Schmidts, von Gabriele Haug-Moritz, Merio Scattola und Angela De Benedictis. Friedeburg wie Scattola betonen, dass die simple Gegenüberstellung lutherische Folgsamkeit vs. calvinistische (oder anglo-französische) Aufmüpfigkeit, damit auch die Vorstellung eines aus lutherischer Obrigkeitstreue erwachsenen deutschen Sonderwegs nicht mehr haltbar sei: Es gab einerseits europaweit konfessionsübergreifende, römisch- und naturrechtlich abgeleitete Prinzipien, aus denen die je aktuellen Widerstandslehren erwuchsen (Scattola), andererseits waren die politischen und verfassungsrechtlichen Herausforderungen in den verschiedenen europäischen Ländern so disparat, dass darauf viele je und je sehr spezifische Antworten zu entwickeln waren - so Friedeburg. Aber warum werden dann seit 1608 vor allem die calvinistischen Mitglieder der evangelischen Union auf einen militanten Kurs drängen?

Friedeburg betont, es herrsche mittlerweile "Einigkeit" darüber, "dass einerseits die religiösen Konflikte in ganz Europa den eigentlichen Grund der politischen Konflikte bildeten" (399), dass andererseits häufig nahe lag, den religiös motivierten Widerstand anders zu legitimieren. Etwa durch die "teutsche libertät" - diesem Topos ist Georg Schmidt in der Flugschriftenliteratur der Jahre 1546 bis 1552 auf der Spur. Ob solche evangelischen Pamphlete wirklich "alle Deutschen zu mobilisieren" (so 173), nicht nur, in ihrer ganzen polemischen Einseitigkeit, die evangelischen Reihen schließen sollten? Ging es damals wirklich darum, eine neue "politische Kultur in Deutschland" (189) zu verfestigen? Thomas Kaufmann hat mittlerweile den zutiefst apokalyptischen Grundzug der damaligen Flugschriften herausgearbeitet, schon der Tagungsbeitrag von Irene Dingel betont, dass sich die Autoren dieser Elaborate in der "Endzeit" (306) wähnten - wie verträgt sich das mit zukunftsgerichteter publizistischer Aufbauarbeit im Dienste libertärerer Verfassungsstrukturen und protonationaler Identität? Darüber sind sicher noch interessante Diskussionen zu führen. Zumal im Sammelband auch anderswo Akzentunterschiede aufscheinen: Betonen Scattola und Haug-Moritz naturrechtliche Herleitungen des Widerstandsrechts, werden solche von Friedeburg marginalisiert; lässt Scattola die philosophische Idee eines Naturgesetzes in juristische Argumentationszusammenhänge einschmelzen, unterscheidet Haug-Moritz deutlich zwischen "theologisch-naturrechtlichen Begründungen der Gegenwehr" (509) und einem "eigenständig politisch-juristischen" Argumentationsstrang (vasallitische Treue, erst danach Reichsrecht und Ius commune), der 1546 wichtig gewesen sei, dann beim Magdeburger Widerstand gegen das Interim nicht wieder aufgegriffen werde. Auch, ob und inwiefern um 1550 der soziale Numerus clausus für die Ausübung legitimen Widerstands abgesenkt wurde, scheint noch nicht unstrittig zu sein. Es ist nicht das geringste Verdienst des Tagungsbandes mit überwiegend sehr gehaltvollen Beiträgen auf viele Desiderate aufmerksam zu machen.


Anmerkungen:

[1] Horst Rabe: Reichsbund und Interim. Die Verfassungs- und Religionspolitik Karls V. und der Reichstag zu Augsburg 1547-48, Köln/Wien 1971.

[2] Thomas Kaufmann: Das Ende der Reformation. Magdeburg "Herrgotts Kanzlei" 1548-1551/2 (= Beiträge zur historischen Theologie; 123), Tübingen 2003; vgl. hierzu die Rezension von Susan Karant-Nunn in sehepunkte 4 (2004), Nr. 11 (http://www.sehepunkte.de/2004/11/5716.html).

[3] Ursula Machoczek (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1547/48 (= Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe; Bd. 18), München 2006, 3 Bde; Vg. Hierzu die Rezension von Anja Moritz in sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 (http://www.sehepunkte.de/2007/04/12236.html).

[4] Erwein Eltz (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1550/51 (=Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe XIX. Band), München 2005.

Axel Gotthard