Rezension über:

Uwe Israel (Hg.): Vita communis und ethnische Vielfalt. Multinational zusammengesetzte Klöster im Mittelalter (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter; Bd. 29), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, XV + 267 S., ISBN 978-3-8258-9726-0, EUR 29,00
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Rezension von:
Christine Kleinjung
Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Christine Reinle
Empfohlene Zitierweise:
Christine Kleinjung: Rezension von: Uwe Israel (Hg.): Vita communis und ethnische Vielfalt. Multinational zusammengesetzte Klöster im Mittelalter, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/12966.html


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Uwe Israel (Hg.): Vita communis und ethnische Vielfalt

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Der Sammelband "Vita communis und ethnische Vielfalt" ist aus einem internationalen Studientag am Deutschen Historischen Institut in Rom hervorgegangen. Die neun Aufsätze befassen sich mit dem mittelalterlichen Franziskanerorden (Thomas Ertl), Klöstern in Südtirol (Emanuele Curzel), spätmittelalterlichen Mendikantenkonventen in Zentralitalien (Thomas Frank), einer Florentinischen Laienbruderschaft (Lorenz Böninger), dem römischen Hospitalorden von S. Spirito in Sassia (Andreas Rehberg), Mönchen aus der Ferne in Subiaco (Uwe Israel), dem Mönchtum des normannischen Süditaliens (Francesco Panarelli), dem deutschen Orden auf Sizilien (Kristijan Toomaspoeg) und orientalischen Mönchen in der Fremde (Dorothea Weltecke). Die Zusammenfassung übernahm Daniela Rando.

Aus der Forschungsausrichtung des DHI Rom ergeben sich zwei Schwerpunkte, die allerdings auch als Beschränkungen wahrgenommen werden können. Einerseits beziehen sich außer einer Ausnahme alle Beiträge auf das Gebiet des heutigen Italiens, ein Umstand, der dann auch im Titel erwähnt werden sollte. Andererseits - und dies ist in gewisser Hinsicht gewichtiger - möchte der Herausgeber die Beiträge in erster Linie in der Tradition der historischen Migrationsforschung eingeordnet wissen.

Uwe Israel betont diesen Zusammenhang in seinen Vorbemerkungen und nennt als Anknüpfungspunkt besonders die (am DHI Rom weit voran getriebene) Erforschung Fremder in Rom und in Italien, so der transalpinen Migranten wie Pilger, Geistliche, Kaufleute und Scholaren. Diese Migration von Nord nach Süd schlug sich Israel zufolge auch im Klosterwesen nieder: In jenen Fällen nämlich, in denen überhaupt etwas über die Zusammensetzung der italienischen Männerklöster bekannt sei, stelle sich häufig heraus, dass sie aus Religiosen unterschiedlicher Herkunft bestanden.

Uwe Israel formuliert wichtige Leitfragen, etwa die Frage danach, was es für eine religiöse Gemeinschaft im Mittelalter grundsätzlich bedeutete, wenn sie aus Religiosen verschiedener Herkunftsländer zusammengesetzt war. Er zielt besonders auf die Aspekte der inneren Organisation und der Außenwirkung sowie auf die Untersuchung der Begriffe "multinational" und "multiethnisch" in ihren mittelalterlichen Bedeutungszusammenhängen. Die beträchtliche innovative Leistung einer Untersuchung, die diese Leitfragen zu berücksichtigen weiß, wird von Israel selbst allerdings nur unvollständig gewürdigt.

Die von ihm aufgeworfenen Fragen berühren nämlich nicht nur die Migrationsforschung, sondern auch zentrale Punkte der sozialgeschichtlich vergleichenden Ordensforschung. [1] Neben Aspekten wie der Bedeutung von sozialer Herkunft in Männer- und Frauenklöstern beschäftigt sich die Ordensforschung seit längerem mit dem Verhältnis von Norm und Praxis im Bezug auf die postulierte Gleichheit und faktische Ungleichheit der Klostergemeinschaft. Das für diese Fragestellung bislang kaum berücksichtigte Kriterium der regionalen Herkunft vermag hier neue Erkenntnisse zu liefern, indem danach gefragt wird, welche Auswirkungen eine "multinationale" oder "multiethnische" Differenzierung innerhalb eines Konvents im Verhältnis zu anderen Faktoren hatte. Zu klären ist allerdings vorab, was wir überhaupt über die Anzahl und Größe solcher "multinationalen" Konvente wissen.

In diesem Zusammenhang und in Bezug auf die von Israel formulierten Leitfragen sind besonders vier methodisch überzeugende Beiträge sowie die hervorragende Zusammenfassung hervorzuheben: Thomas Ertl bietet grundlegende Überlegungen zum Spannungsverhältnis eines überregional organisierten Ordensverbands (Franziskaner) zu regionalen Kräften, aus denen sich die Mitglieder rekrutierten (1-34). Er kommt zu dem Ergebnis, dass das regionale und nationale Element im Laufe des Spätmittelalters immer mehr an Bedeutung gewann, daher warnt er auch vor einer "Europäisierung" der Franziskaner in der modernen Forschung.

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt Thomas Frank, der die "multinationale Zusammensetzung" von Mendikantenkonventen in Mittelitalien untersucht (51-72). Er betont die Dominanz lokaler Bindungen. Von "nationaler" oder "ethnischer" Vielfalt könne kaum gesprochen werden. Der Beitrag überzeugt vor allem aufgrund der Reflexionen zur Quellen- und Überlieferungsproblematik, die durch einen erheblichen Mangel an zuverlässigen Informationen über Gesamtgröße eines Konvents und über die Herkunft der jeweiligen Fratres gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zu anderen Faktoren wie der sozialen Herkunft und dem Bildungsstand hätten ethnische Unterschiede eine geringere Rolle gespielt. Allerdings sei der Umstand hervorzuheben, dass zahlreiche nicht-italienische Brüder mit Klosterreformen betraut gewesen seien.

Diesem Zusammenhang widmet sich Uwe Israel ausführlich (157-178). Er kommt zu dem Schluss, dass ein enges Wechselspiel zwischen Fremdheit und Reform bestand. Besonders die Benediktinerabtei Subiaco habe aufgrund ihrer Vorbildfunktion als Wirkungsstätte des Heiligen Benedikt viele Mönche aus der Fremde angezogen. Diese galten als besonders geeignet, observantes Leben zu garantieren. Im Laufe des 15. Jahrhunderts habe die Präsenz vor allem deutscher Mönche so stark zugenommen, dass die Italiener in die Minderheit gerieten. Bei der Ämterbesetzung dominierte die jeweils stärkste Herkunftsgruppe. Die vita communis einte also nicht zwangsläufig Mönche unterschiedlicher Herkunft.

Andreas Rehberg kann durch die Auswertung von Anniversarbüchern einen bedeutenden Anteil nicht-italienischer Brüder in dem römischen Hospital S. Spirito in Sassia im 14. und 15. Jahrhundert nachweisen (98-155). Auch er untersucht die Integration und die Machtverhältnisse innerhalb des Konvents anhand der Ämterbesetzungen, bei denen die "Ausländer" zwar nicht dominierten, aber doch Erfolge erzielen konnten.

Die Beiträge belegen, wie groß die Unterschiede innerhalb der vita religiosa sein konnten, und bieten viele Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen. Auch die Quellenproblematik wird bei diesen Beiträgen besonders deutlich: nur selten hatten die Zeitgenossen ein Interesse, Namen und Herkunft zu spezifizieren. In den zahlreichen Fällen, in denen noch nicht einmal bekannt ist, wie viele Mitglieder ein Konvent zählte, lassen sich auch keine quantitativen Angaben über nationale Zusammensetzung oder Verhältnis von "Einheimischen" und "Fremden" machen. Zusätzliche Probleme wirft die Terminologie auf: Nationalität im modernen Sinne entspricht nicht mittelalterlichen Kategorien. Daniela Rando spricht vieles davon in ihrer klugen Zusammenfassung an. Sie weist auch darauf hin, dass Frauenklöster die großen Abwesenden des Studientages waren - dies sollte in Zukunft nicht so bleiben. Leider ist die Zusammenfassung nur auf Italienisch abgedruckt; warum sie nicht wie die übrigen italienischen Aufsätze übersetzt worden ist, bleibt unklar.

Der Sammelband bietet Beiträge zu wichtigen Themen: zu nationalen Vorstellungen im Mittelalter, zur Distinktion und Differenzierung in der vita communis, zur Diskrepanz zwischen universellem Anspruch und regionaler Verhaftung. Aber nicht immer wird deutlich, in welchem Zusammenhang die Einzelergebnisse zu der übergreifenden Fragestellung stehen. Mehr als die Hälfte der Beiträge behandelt nicht die vita communis im engeren Sinne, sondern das Verhältnis von Konventen oder Mönchen zu einer Umwelt, die von verschiedenen "Nationalitäten" oder "ethnischen" Gruppen geprägt war. Weitere Forschungen zu vita communis und ethnischer Vielfalt sind dringend nötig - auch über die Grenzen Italiens hinweg. Wünschenswert wären weitere Überlegungen zur Relevanz des Herkunftsfaktors in der Praxis, zu theoretischen Erörterungen der Zeitgenossen und eine stärkere Einbindung in die aktuelle Ordensforschung.


Anmerkung:

[1] Klaus Schreiner: Spätmittelalterliches Zisterziensertum im deutschen Südwesten. Spiritualität, gesellschaftliche Rekrutierungsfelder, soziale Verhaltensmuster, in: Peter Rückert/Dieter Planck (Hg.): Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland. Politik, Kunst und Liturgie im Umfeld des Klosters Maulbronn, Stuttgart 1999 (Oberrheinische Studien 16), 43-77; Ders.: Mönchsein in der Adelsgesellschaft des hohen und späten Mittelalters. Klösterliche Gemeinschaftsbildung zwischen spiritueller Selbstbehauptung und sozialer Anpassung, München 1989 (Schriften des Historischen Kollegs, Vorträge 20); Gert Melville (Hg.): Methodische Ansätze für eine komparatistische Ordensgeschichte (Vita regularis. Abhandlungen 33) Münster u.a. 2007 (im Druck).

Christine Kleinjung