Rezension über:

Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Aus dem Englischen von Yvonne Badal, München: Siedler 2007, 926 S., 16 Tafeln Abb., ISBN 978-3-88680-857-1, EUR 44,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Tim Schanetzky
Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität, Jena
Redaktionelle Betreuung:
Michael C. Schneider
Empfohlene Zitierweise:
Tim Schanetzky: Rezension von: Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Aus dem Englischen von Yvonne Badal, München: Siedler 2007, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 10 [15.10.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/10/12876.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung

Textgröße: A A A

Auf den in Cambridge lehrenden und in Heidelberg aufgewachsenen britischen Wirtschaftshistoriker Adam Tooze ist die deutsche Öffentlichkeit vor zwei Jahren aufmerksam geworden, als dieser Götz Alys Interpretation der nationalsozialistischen "Gefälligkeitsdiktatur" widersprach. Das monumentale Ergebnis seiner damals bereits kurz vor dem Abschluss stehenden Arbeiten liegt jetzt bereits ein knappes Jahr nach der englischen Ausgabe in deutscher Übersetzung vor. In gewisser Weise ist deren Titel allerdings irreführend, denn Tooze' Anspruch ist weitaus höher, als "nur" eine Gesamtdarstellung der Wirtschaft im Nationalsozialismus zu schreiben. Ihm geht es vielmehr darum, den seines Erachtens in den vergangenen Jahren vernachlässigten ökonomischen Argumenten bei der Interpretation der NS-Herrschaft wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Ohne Betrachtung der wirtschaftlichen Handlungsoptionen sei Hitlers Politik gar nicht vollständig zu analysieren. Gleichzeitig meidet er aber die Fallstricke eines plumpen Materialismus und bezieht die Ergebnisse der jüngeren Forschung zur rassistischen und weltanschaulichen Fundierung des NS-Staates stets in seine Interpretation mit ein.

Um seine zentrale These anschaulich zu machen, hat Tooze einen literarisch glänzend gelösten Einstieg gewählt. In einer Doppelbiographie stellt er Hitler und dessen Ideologie von Lebensraum, Antisemitismus und nationaler Autarkie die Person Stresemanns und dessen Politik einer gezielten Verflechtung der deutschen mit der amerikanischen Wirtschaft gegenüber. Beide Protagonisten hatten erkannt, dass ein "amerikanisches Jahrhundert" angebrochen war, und sie zogen aus dieser Einsicht völlig konträre Schlüsse. Tooze macht mit dieser Gegenüberstellung einerseits die Handlungsalternativen zur Zeit der Weltwirtschaftkrise anschaulich. Andererseits entfaltet er hier sein wichtigstes Argument: Deutschland war wirtschaftlich gegenüber den USA, aber auch gegenüber Großbritannien in einer so schwachen Position, dass der Zweite Weltkrieg von Anfang an nie zu gewinnen war. Gleichzeitig ist die Weltwirtschaftskrise als Ausgangspunkt auch deshalb besonders wichtig, weil das Festhalten am überbewerteten Reichsmarkwechselkurs Handlungszwänge schuf, welche die gesamte Phase der Aufrüstung prägten.

In diesem ersten Teil, der bis zum Beginn des Krieges reicht, setzt Tooze sein Forschungsprogramm auf beeindruckende Weise um: Ihm gelingt eine packende Darstellung, die chronologisch erzählend angelegt ist und dabei aus der Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung auch politische Erklärungskraft ableiten kann. So erzwangen die Zahlungsbilanzprobleme und der deutsche Wettbewerbsnachteil auf den Exportmärkten bereits den frühzeitigen Einstieg in das Autarkieprogramm. Anders war eine Aufrüstung unmöglich, und Tooze zeigt eindrücklich, dass deshalb von einer "zivilen" Phase der Arbeitsbeschaffung während der ersten Jahre nationalsozialistischer Herrschaft überhaupt keine Rede sein kann. Seit 1933 hatte die Rüstung allerhöchste Priorität, und ihr wurden alle übrigen wirtschaftlichen Ziele untergeordnet. Dies hatte desaströse Folgen für die deutsche Bevölkerung, so dass von einer "Gefälligkeitsdiktatur" wahrlich nicht die Rede sein kann: Das Regime mobilisierte sämtliche verfügbaren Ressourcen für die Rüstung, beschnitt den zivilen Bedarf und nahm einen im internationalen Vergleich geradezu ärmlichen Lebensstandard in Kauf. Die Infrastruktur verkam, und auch die notwendigen Investitionen in eine entgegen aller Propaganda völlig rückständige Landwirtschaft unterblieben, so dass die Lebensmittelversorgung mangels Importen unzureichend war. Tooze geht auch auf die Handlungsspielräume der Unternehmen ein, betont, dass die Priorität der Rüstung nur Teile der Privatwirtschaft am NS-Aufschwung partizipieren ließ. Die Folge war eine von Beginn an militärisch geprägte Verzerrung der Industriestruktur, verstärkt von den Problemen natürlicher Rohstoffknappheit und chronischen Devisenmangels. Tooze erklärt den Angriff auf Polen auch mit der prekären wirtschaftlichen Lage des Jahres 1939: Zahlungsbilanzprobleme, eine verstärkte Aufrüstung der potentiellen Kriegsgegner und deren diplomatische Bemühungen um eine Isolation Deutschlands, schließlich die mit dem deutsch-sowjetischen Pakt in höchster Not verbesserte Rohstoffversorgung ließen Hitler zu dem Schluss gelangen, dass sich das Kräfteverhältnis bei längerem Abwarten zu seinen Ungunsten verändern würde.

Das ist zugleich ein Wendepunkt für Tooze' Darstellung. Im Folgenden schildert er den Kriegsverlauf und relativiert dabei die modernen Elemente des "Blitzkrieges". Panzer und Flugzeuge spielten bei den militärischen Erfolgen keine so große Rolle wie die NS-Propaganda Glauben machen wollte. Nach dem Sieg über Frankreich erwies sich bald, dass die deutsche Wirtschaftskraft keineswegs ausreichte, um das von den USA unterstützte Großbritannien in Verhandlungen zu zwingen. Ein Ausweg lag im Angriff auf die Sowjetunion, wobei auch deren dringend benötigte wirtschaftliche Ressourcen den Ausschlag gaben. Spätestens seit dem Wendepunkt des Krieges im Winter 1941/42 war jedoch klar, dass Deutschland einem haushoch überlegenen Wirtschaftspotential gegenüberstand. Tooze zeigt besonders deutlich, dass von einem deutschen "Rüstungswunder" keine Rede sein konnte: Er entlarvt Speers Marketing in eigener Sache, betont die bereits unter Fritz Todt ins Werk gesetzten organisatorischen Veränderungen und interpretiert die gesteigerte Waffenproduktion weniger als Erfolg einer "Rationalisierung", sondern vielmehr als rücksichtslose Mobilisierung der letzten Ressourcen. Dies schloss auch die rassistisch legitimierte Ausplünderung der besetzten Gebiete sowie die Ausbeutung von Zwangsarbeitern, ja selbst die ökonomische Ausnutzung des Judenmordes ein. Am Ende sei ein "Rüstungswunder" allenfalls für die Sowjetunion zu konstatieren, während die deutschen Produktionssteigerungen bereits im Frühjahr 1943 mit den verstärkten alliierten Luftangriffen beendet waren. Auch die immer engere Zusammenarbeit zwischen Speer und Himmler und die damit verbundene Radikalisierung von Ausbeutung und Unterdrückung konnten am Ausgang des Krieges nichts mehr ändern.

Dieser zweite Teil des Buches lässt den Leser freilich etwas weniger euphorisch zurück: Die im ersten Teil beeindruckend ausgespielten Stärken der Darstellung führen hier nun zu deutlichen Schwächen. Da ist zum einen die chronologisch-ereignisgeschichtliche, oft auch personalisierte Erzählstruktur. Aus der Dichte der Kriegsereignisse folgen nun langatmige Ausführungen über Waffentechnik, militärische Taktik und einzelne Schlachten, die nicht zwingend zum Verständnis der Wirtschaft des Nationalsozialismus beitragen. Zum anderen ist Tooze' Erzählung nun fast ausschließlich auf die militärisch-politische Führung und deren Mobilisierungsversuche fokussiert. Angesichts der umfangreichen jüngeren Literatur zur Geschichte von Unternehmen und Zwangsarbeit ist es doch etwas überraschend, dass die hierin liegenden Chancen eines Perspektivwechsels von oben nach unten nicht genutzt werden. Insgesamt kann diese Kritik den überaus positiven Gesamteindruck aber kaum schmälern: Tooze ist eine beeindruckende Gesamtdarstellung gelungen, die zum Teil über eine Synthese der vorhandenen Literatur hinausgeht. Sie ist sicher keine streng systematisch angelegte Wirtschaftsgeschichte des Nationalsozialismus im engeren Sinne. Aber sie löst den hohen Anspruch, die NS-Herrschaft in ökonomischer Perspektive zu interpretieren, auf jeden Fall ein. Mehr noch: Sie tut dies im Rahmen einer mitunter spannend geschriebenen Erzählung, die auch ein Publikum jenseits des engeren fachwissenschaftlichen Zirkels ansprechen dürfte.

Tim Schanetzky