Rezension über:

Michael Borgolte (Hg.): Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen (= Stiftungsgeschichten; Bd. 4), Berlin: Akademie Verlag 2005, 297 S., ISBN 978-3-05-004159-9, EUR 69,80
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Rezension von:
Jan-Peter Hartung
Islamwissenschaft, Universität Erfurt
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Jan-Peter Hartung: Rezension von: Michael Borgolte (Hg.): Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen, Berlin: Akademie Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/10734.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 6 (2006), Nr. 12

Michael Borgolte (Hg.): Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne

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In einem viel beachteten Aufsatz zum Stand der Dinge in der Untersuchung islamischer frommer Stiftungen wies Miriam Hoexter (Jerusalem), die grande dame auf diesem Gebiet, bereits 1998 auf den transkulturellen Vergleich mit ähnlichen Institutionen als eine der heute zentralen erkenntnisleitenden Fragestellungen hin (cf. JESHO 41, 484). Der Nestor dieser Forschungsperspektive war ihr Lehrer Gabriel Baer, der bereits im Jahre 1981 einen ersten solchen Versuch unternommen hatte. An dessen Überlegungen knüpfte nun eine im Juni 2003 am Institut für Vergleichende Geschichte Europas im Mittelalter der Berliner Humboldt-Universität durchgeführte internationale Tagung an, aus der der vorliegender Band hervorging. "Stiftungen sind ein Phänomen der Universalgeschichte", mit diesem Satz beginnt denn der Herausgeber, der Mediävist Michael Borgolte, auch seine einleitenden Bemerkungen (9). Dabei scheint - und dies verweist auf die große Problematik der gesamten Unternehmung - 'Universalgeschichte' jedoch nicht entsprechend neuerer, poststrukturalistisch geprägter europäischer Überlegungen zum Konzept der in den 1960er Jahren aufgekommenen 'Global History' verstanden zu sein. Vielmehr erscheint es eher in der Gestalt der früheren US-amerikanischen Diskussion, die bis heute fragwürdige Begrifflichkeiten wie 'Zivilisation' und 'Hochkultur' wenig reflektiert ins Zentrum stellt.

Ausgehend von der am Lehrstuhl des Herausgebers intensiv betriebenen Studien zum lateinischen Stiftungswesen zielte die Tagung auf das Überprüfen dreier zentraler Begrifflichkeiten an Stiftungen oder stiftungsähnlichen Institutionen in anderen kulturellen Kontexten: memoria, caritas, und mæcenata. Die ersten beiden Begriffe scheinen denn auch den formalen Rahmen des Bandes vorzugeben, innerhalb dessen die zum Teil weltweit führenden Autoritäten ihre Gedanken zum Stiftungswesen in anderen religiösen Kontexten vorstellen, während Mäzenatentum beide großen Themenblöcke immer wieder durchzieht.

Der erste Teil des vorliegenden Sammelbandes, der im groben der 'Memoria als Motiv' betitelten Sektion der o.g. Tagung zu entsprechen scheint, versammelt sieben deutsch- und englischsprachige Beiträge, die einen problemorientierten Bogen vom vorchristlichen Rom (Susanne Pickert), über das christliche Byzanz (John Thomas, Peregrine Horden) bis hin zur Untersuchungen des Totengedächtnisses im mamlukischen Ägypten (Johannes Pahlitzsch) und dem muslimischen Andalusien (Ana María Carballeira-Debasa) schlagen. Besondere Erwähnung mögen dabei die etwas außerhalb stehenden Beiträge von Ralf Lusiardi, einem ehemaligen Mitarbeiter des Herausgebers, und Adam Sabra finden. Letzterer nämlich bringt am Beispiel der Stiftungspraxis im mamlukischen Ägypten in überzeugender Weise den Aspekt des komplizierten Verhältnisses von mæcenata und caritas in die Diskussion. Lusiardi hingegen versucht sich an der anspruchsvollen Aufgabe einer transkulturellen Untersuchung des Zusammenhanges von theologisch begründeter Eschatologie und dem Moment der Vergegenwärtigung einer (abwesenden oder toten) Person im Medium der frommen Stiftung. Es verwundert etwas, dass dieser Beitrag nicht den Themenblock eröffnet, sondern etwas unvermittelt erst an dritter Stelle erscheint. Problematischer jedoch erscheint der Umstand, dass das ambitiöse Vorhaben des Mediävisten Lusiardi - nicht zuletzt aufgrund des sehr asymmetrischen Forschungsstandes zum Gegenstand in den jeweiligen Einzeldisziplinen, dessen korrekte Beurteilung von einem Fachfremden auch gar nicht zu erwarten ist - in gewisser Weise misslingen muss und so an Erklärungskraft einbüßt.

Sechs weitere Beiträge umfasst der zweite thematische Teil des vorliegenden Bandes, der wohl grob dem 'Wohltätigkeit als Aufgabe' betitelten Themenfeld der Tagung zugeordnet werden kann, auch wenn die Aspekte von Gedenken und Mäzenatentum hier ebenfalls einfließen - Beleg für die wohl eher triviale Einsicht, dass eine Trennung der drei Bereiche lediglich analytischen Wert haben kann. Die Kontexte, in denen sich die Artikel der zum Teil führenden Fachvertreterinnen und Fachvertreter bewegen, reichen vom mittelalterlichen Byzanz (Dionysios C. Stathakopoulos), der Kiewer Rus' (Ludwig Steindorff), den jüdischen Gemeinschaften im mittelalterlichen Kairo (Mark R. Cohen) und im Deutschland und Spanien des 13. Jahrhunderts (Judah D. Galinsky), bis hin zum Osmanischen Reich (Suraiya Faroqhi). Von besonderem Interesse sind hierbei die beiden Beiträge von Cohen und Faroqhi: Ersterer macht uns bisher unbeachtetes hebräisches oder judeo-arabisches Material aus der berühmten Kairiner ganīzā, dem Depositorium der alten Synagoge zu al-Fusṭāṭ, zugänglich, das mittlerweile allerdings auch in umfassenderer Form (Monographie und Text-Edition) publiziert worden ist. Faroqhis Beitrag hingegen bietet, ähnlich wie der eingangs erwähnte Aufsatz von Miriam Hoexter, eine gute Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstandes mit Bezug zur osmanischen frommen Stiftung und eröffnet so Perspektiven für weitere Untersuchungen innerhalb einer sozial- und kulturgeschichtlich orientierten Osmanistik.

Es ist erneut der Beitrag eines Mitarbeiters des Herausgebers, der etwas außerhalb der anderen Aufsätze im zweiten Teil des vorliegenden Bandes stehend wirkt. Benjamin Scheller untersucht, "inwieweit die Geschichte der mittelalterlichen Stiftung [im lateinischen Europa, JPH] auch einen Zugang zur Geschichte der Staatlichkeit ermöglicht" (205). Hierfür setzt er sich kritisch mit dem in der Mediävistik seit den 1930er Jahren etablierten Konzept der 'Kommunalisierung' auseinander, das den Prozess der zunehmenden Etablierung städtischer Oberhoheit über Bereiche, die nicht zuletzt in kirchliche Zuständigkeit fielen, beschreibt, und setzt diesem eine interessante Deutung des Weber'schen Typus' vom 'Pfründefeudalismus' entgegen. Positiv sei hier zunächst angemerkt, dass der Autor innerhalb des Bereiches seiner eigenen Expertise - der europäischen Mediävistik - bleibt und dadurch seiner Argumentation die entsprechende Substanz zu verleihen vermag. Darüber hinaus besticht der Beitrag durch eine analytische Fragestellung und Argumentation, die man sich im vorliegenden Band deutlich häufiger gewünscht hätte, auch wenn dies nicht zwangsläufig dem komparatistischen Ansinnen des Herausgebers entspräche. Der Gewinn aus diesem aber ist und bleibt, zumindest für mich, nicht selbstevident; das kann insbesondere auch der den Band beschließende posthum veröffentlichte Beitrag von Gabriel Baer aus dem Jahr 1981 zum "Muslim Waqf and Similar Institutions in Other Civilisations" nicht leisten - ganz im Gegenteil bestärkt mich dieser in meiner Skepsis gegen den transkulturellen Vergleich des Phänomens der frommen Stiftung.

Baers Ansinnen, "to find out the particular characteristics of the Muslim waqf, and to derrive from these findings some more general conclusions" (258), bedarf keinesfalls eines - da zwangsläufig auf Sekundärmaterialien beruhenden - oberflächlichen Rittes durch das Stiftungswesen zwischen karitativen Einrichtungen der europäischen Antike und religiösen Landstiftungen im frühneuzeitlichen Nepal. Vielmehr könnte (und sollte) er, wie die beiden Beiträge zum Stiftungswesen bei den Mamluken zeigen, durchaus innerhalb des eigentlichen Objektbereiches bleiben. Dies ist und bleibt wohl auch ein Hauptmanko des vorliegenden Bandes insgesamt, da dieser letztlich zwar aktuelle Beiträge zur Stiftungspraxis in verschiedenen kulturellen Kontexten v.a. des Mittelalters versammelt, jedoch keine übergreifenden analytisch fruchtbaren Ergebnisse zeitigt, die zu einen besseren Verständnis des Phänomens in den jeweils einzigartigen Kontexten beitragen könnten.

Anmerkung der Redaktion:

Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php

Jan-Peter Hartung