Rezension über:

Kurt Andermann / Clemens Joos (Hgg.): Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis ins 17. Jahrhundert (= Kraichtaler Kolloquien; Bd. 5), Epfendorf: bibliotheca academica 2006, 240 S., 1 Farbtafel, ISBN 978-3-928471-67-1, EUR 29,00
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Rezension von:
Julia Eulenstein
Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Harald Winkel
Empfohlene Zitierweise:
Julia Eulenstein: Rezension von: Kurt Andermann / Clemens Joos (Hgg.): Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis ins 17. Jahrhundert, Epfendorf: bibliotheca academica 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 11 [15.11.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/11/11246.html


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Kurt Andermann / Clemens Joos (Hgg.): Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis ins 17. Jahrhundert

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"Phänomene aus der Geschichte der Kraichgauer Landschaft im überregionalen Vergleich zu erörtern" und das Ziel, "das Interesse der Forschung erneut auf [...] [das] Themenfeld [des Dynastenadels] zu lenken" (11), bewogen die Veranstalter des 5. Kraichtaler Kolloquiums (7.-9. Mai 2004), sich 'Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis 17. Jahrhundert' zu widmen und in Folge Band 5 der Kraichtaler Kolloquien zu publizieren.

Gemäß dieser Prämisse werden in acht Aufsätzen zumeist an (mehreren, vergleichenden) Fallbeispielen besonders verfassungs-, aber auch sozial-, mentalitäts-, wirtschafts- und kirchengeschichtliche Aspekte nichtfürstlich-hochadeligen Handelns fokussiert. Geografisch werden dabei Grafen und Herren von der Eidgenossenschaft bis hin zum südlichen Oberrhein betrachtet; Enno Bünz richtet zu Vergleichszwecken den Blick auch nach Norddeutschland. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf dem späten Mittelalter, teilweise, wie bei Uli Steiger oder Kurt Andermann, wird fast der gesamte Zeitraum vom 12. bis zum 17. Jahrhundert behandelt.

Karl-Heinz Spieß, Peter Niederhäuser und Horst Carl haben sich verschiedener Aspekte des politischen Handelns von Grafen und Herren angenommen. So verdeutlicht Spieß das politische Beziehungssystem dieser Adelsgruppe zwischen Familie, angeheirateter Verwandtschaft, Fürsten und König am Beispiel derer von Hohenlohe. Die teilungsfreudige Familie entwickelte mithilfe von Bündnissen und Hausverträgen Schutzmechanismen gegenüber Gefahren für die eigene Herrschaft, versuchte nicht immer ganz erfolgreich eine zu starke Anbindung an einen Fürsten zu verhindern und hielt - wie Spieß entgegen der bisherigen Forschungsmeinung zeigt - engen Kontakt zu den Königen. Gerade das Verhalten gegenüber dem Reichsoberhaupt brachte den Hohenlohern viele Privilegien ein, und es entsteht der Eindruck, dass besonders dieses Verhalten den Erfolg der Adelsfamilie gewährleistete. Peter Niederhäuser richtet seinen Blick auf das Verhältnis von Grafen und Herren zu Städten im Gebiet der Schweizer Eidgenossenschaft. Nach einer Phase der Stadtgründungen im Zuge eines Herrschaftsausbaus scheinen Grafen und Herren diese Gründungen kaum noch privilegiert bzw. in irgendeiner Weise gefördert zu haben. So wurde verhindert, dass diese über den Status abhängiger Kleinstädte hinauswuchsen und die adeligen Herrschaftsrechte gefährden konnten, zumal dem nichtfürstlichen Hochadel bescheidenere Zugriffsmöglichkeiten als den Fürsten zur Verfügung gestanden hätten. Dagegen konnte die Beziehung der Grafen und Herren zu den Reichsstädten der Umgebung zwischen Konkurrenz (Konflikte um Herrschaftsrechte) und Partnerschaft (Bündnisse, Burgrechte, wirtschaftliche Beziehungen) pendeln. Der Beitrag von Horst Carl behandelt Beweggründe und Rolle der Grafen und Herren bei der Formierung des Reichsgrafenstandes. Carl führt die "Anfänge adeliger Einigungspolitik" (103) im Südwesten auf standesübergreifende Landfriedenseinigungen zurück, die in anderen Regionen aber eine geringere Bedeutung hatten. Ständische Differenzierung im Schwäbischen Bund ging vom Reich aus, wurde aber in der Folge auch durch genuin standes- und familienpolitische Interessen getragen. Diese Erfahrung mit Grafeneinigungen brachte ihnen im Rahmen der sich verfestigenden Reichsverfassung Vorteile.

Adeliges Unternehmertum, also eine auf Höchstgewinn orientierte Nutzung der (eigenen) Güter, zum Teil verbunden mit Risikobereitschaft, sieht Enno Bünz vornehmlich an Beispielen entlang des Rheines und in der Eifel bereits im späten Mittelalter; allerdings lasse die momentane Forschungslage nur Einzelpersonen allzu lückenhaft hervortreten. Bünz spricht sich für die Nutzung neuer Quellengruppen, insbesondere Rechnungen, aus, um diese Lücke zu schließen.

Dass sich gegenwärtiges Ansehen auch in der Vergangenheit widerspiegeln musste, kann Clemens Joos anhand von bewusst kreierten, auch dem zeitlichen Gelehrtendiskurs entsprechend veränderten Chroniken über das Herkommen einzelner Familien nachweisen. Dieses nur im engsten Familienkreis rezipierte Wissen um das Herkommen legitimierte wiederum die standesgemäße Darstellung in der Gegenwart.

Der Bedeutung von Kirche und Klostervogtei für die "Mittelschicht des Adels" (168) widmet sich Thomas Zotz anhand von Beispielen aus dem südlichen Oberrhein. Die Kirche konnte über Mitgliedschaft im Domkapitel und Bischofsamt zu einem Frei- und Handlungsspielraum freiherrlichen und gräflichen Adels werden, wenn eine standesgemäße Abschottung nach unten gelang und von fürstlicher Seite kein Interesse an kirchlichen Pfründen bestand. Gelang dies nicht, konnten die einheimischen Ministerialenfamilien ebenso wie Grafen und Herren Bischofsdynastien ausbilden. Zwar waren Vogteien für Grafen und Herren attraktiv; am Oberrhein boten sie ihnen aber weniger dauerhaft herrschaftlichen Einfluss, da sich die Klöster oftmals mithilfe des Reiches oder des Landesherrn aus einer solchen Umklammerung befreien konnten.

Soziale Aufsteiger aus dem Niederen Adel behandelt am Beispiel der Schenken von Erbach Uli Steiger. Anfänglich gestützt auf Königsdienst und Bischofsamt in Hildesheim, gelang den Schenken von Erbach besonders Ende des 13. Jahrhunderts während pfälzisch-mainzer Auseinandersetzungen der soziale Aufstieg. Außen- und Eigenwahrnehmung schlug sich in hochkarätigem Konnubium und Grabdenkmälern nieder. Zu der rechtlichen Stellung der Schenken zur Zeit des (gelungenen) sozialen Aufstiegs äußert sich Steiger nicht, obwohl ein weiterhin rechtlich unfreier Status sich negativ für die Familie auswirken konnte. [1]

Im abschließenden Aufsatz versteht es Kurt Andermann, alle im Band angesprochenen Aspekte bei seiner Betrachtung der Grafen von Eberstein einfließen zu lassen. Und so wird plastisch die Mehrdimensionalität, Verwobenheit und gegenseitige Bedingung verschiedener, heute unter verfassungs-, sozial-, mentalitäts-, wirtschafts- und kirchengeschichtlich aufgegliederter Aspekte adeligen Handelns deutlich, die "Glanz und Niedergang" von Grafen und Herren ausmachen konnten. Gleichzeitig wird nochmals augenscheinlich, wie wichtig ein verschiedene Aspekte berücksichtigender Ansatz ist, um die Gruppe des nicht-fürstlichen Hochadels adäquat charakterisieren zu können. Eine Verbindung mehrerer Aspekte zu einem Gesamtbild ist - wenn auch nicht so umfassend wie bei Andermann - ebenfalls bei anderen Beiträgen des Bandes zu finden.

Insgesamt reiht sich das Werk gerade durch den Facettenreichtum in eine Reihe von Tagungspublikationen und neueren Werken zum "Adel" ein. [2] Ein weiterer Schritt wäre - bei vorherigen Tagungen zum Thema "Adel" als fruchtbar beurteilt - ein interdisziplinärer Ansatz, der beispielsweise auch Aspekte wie Architektur mit einbezieht. Bei dem besprochenen Werk erweist es sich als gewinnbringend, den Fokus nur auf eine Adelsschicht zu richten. Manchmal wäre allerdings ein pointierterer Vergleich zu anderen Adelsgruppen wünschenswert gewesen, um so ein noch besser abgegrenztes Bild zeichnen zu können, was denn 'Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis ins 17. Jahrhundert' ausmachte. Andererseits muss betont werden, dass der Forschungsstand vieler dieser Familien momentan sehr schlecht bzw. sehr veraltet ist; ein Vergleich zu anderen Adelsschichten also teilweise erst der zweite Schritt sein kann. Umso mehr ist zu hoffen, dass die Intention der Herausgeber, erneut die Forschung auf dieses Themenfeld zu locken, in Erfüllung geht.


Anmerkungen:

[1] Vgl. hierzu Karl Heinz Spieß: Ständische Abgrenzung und soziale Differenzierung zwischen Hochadel und Ritteradel im Spätmittelalter, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 56 (1992), 181-205.

[2] Sönke Lorenz / Stefan Molitor (Hg.): Herrschaft und Legitimation. Hochmittelalterlicher Adel in Südwestdeutschland (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 36), Leinfelden-Echterdingen 2002; Jörg Rogge / Uwe Schirmer (Hg.): Hochadelige Herrschaft im Mitteldeutschen Raum (1200-1600). Formen, Legitimation, Repräsentation (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, Bd. 23), Stuttgart 2003; vgl. auch die Rezensionen von Oliver Auge und Joachim Schneider: Oliver Auge: Rezension von: Lorenz, Sönke; Molitor, Stefan (Hg.): Herrschaft und Legitimation. Hochmittelalterlicher Adel in Südwestdeutschland, Leinfelden-Echterdingen 2002, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), 446-447; Joachim Schneider: Rezension von: Rogge, Jörg; Schirmer; Uwe (Hg.): Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600). Formen - Legitimation - Repräsentation. Stuttgart 2002, in: H-Soz-u-Kult [24.07.2003], URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-3-054.

Julia Eulenstein