Rezension über:

Astrid Dössel: Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5. - 3. Jahrhundert v. Chr. (= Europäische Hochschulschriften. Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Bd. 954), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003, 311 S., ISBN 978-3-631-50759-9, EUR 51,50
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Rezension von:
Katharina Weggen
Historisches Institut, Universität Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Klaus Freitag
Empfohlene Zitierweise:
Katharina Weggen: Rezension von: Astrid Dössel: Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5. - 3. Jahrhundert v. Chr., Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2003, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/6299.html


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Astrid Dössel: Die Beilegung innerstaatlicher Konflikte in den griechischen Poleis vom 5. - 3. Jahrhundert v. Chr.

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Die Dissertation von A. Dössel ordnet sich in eine Reihe von Arbeiten ein, die in der letzten Zeit zum Thema 'Konflikte in den griechischen Poleis' erschienen sind. Die vom Titel geweckte Erwartung einer breit angelegten Untersuchung wird allerdings nur zum Teil erfüllt.

Dössel beginnt mit Definitionsversuchen des Begriffs 'Stasis' und der soziologischen sowie politischen Erklärung des Begriffs 'Konflikt'. In Abgrenzung zu Gehrke [1] will sie Konflikt nicht nur als gewaltsamen politischen Kampf verstehen, sondern "in dem umfassenderen Sinne des Interessengegensatzes oder Widerspruchs zwischen Individuen oder durch sie geformte Gruppen" (12). Zudem erweitert sie ihren Gewaltbegriff auf strukturelle Gewalt, z. B. "willkürliche Machtausübung einer herrschenden Gruppe in Form von illegalen Urteilen" (13). Dössel betont, dass sich ihr Thema auf die Konflikte beschränken muss, bei denen eine Beilegung überhaupt möglich war: Entweder mussten beide Gruppen ungefähr gleich stark sein oder die überlegene die unterlegene Gruppe anerkennen. Dies kann gerade auch im Falle des Eingreifens einer dritten Macht (besonders einer Hegemonialmacht) zustande kommen.

Da in den letzten Jahren von der Forschung vor allem nach den Ursachen von Konflikten in den griechischen Städten gefragt worden sei, legt Dössel ihren Schwerpunkt auf Lösungsmöglichkeiten: Welche Maßnahmen ergriffen die Städte, um einen Konflikt beizulegen und waren sie dabei erfolgreich?

Dössels Untersuchung liegen hauptsächlich Inschriften zugrunde. Im Falle des Beispiels Athen nach 411/10 und 404/03 v. Chr. wird auf literarische Quellen zurückgegriffen (vor allem Reden). Die Verfasserin merkt an, dass für die überwiegende Zahl der Fälle eine ergänzende Überlieferung fehle, was eine gründliche Interpretation der Quellen erfordere, um zu verwertbaren Aussagen zu kommen. Sie präsentiert dann bereits in ihrer Einleitung ein Ergebnis ihrer (Vor-)Untersuchung, dass sich nämlich bei der Durchsicht der Quellen Textgruppen herausgestellt hätten, denen typologische Gemeinsamkeiten zu Eigen seien. Diese Gruppen werden durch Fallbeispiele vertreten. Es wird jedoch weder begründet, warum die Untersuchung anhand von Fallbeispielen stattfindet, noch werden Auswahlkriterien für diese genannt. Zudem wird nicht deutlich gemacht, welches Material genau die Autorin vor Auswahl ihrer Fallbeispiele gesichtet hat. Die Textgruppen werden gebildet durch allgemeine Bürgereide (Teos, Anfang 5. Jahrhundert v. Chr. und Chersonesos Taurica, ca. 300 v. Chr.), Dekrete Athens zur Wiedereingliederung aufständischer Bündnerstädte (Erythrai, Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. und Iulis / Keos, 4. Jahrhundert v. Chr.), Dekrete zur Rückführung von Verbannten ( Mytilene, 324 v. Chr.) sowie Ehreninschriften für fremde Richter (Kalymna, 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr.). Dann stellt die Verfasserin das Kernstück ihrer Arbeit vor - zwei Studien zu den Reaktionen der Athener nach 411/10 und 404/03 v. Chr. Den hier ergriffenen Maßnahmen werden zwei weitere Beispiele beigestellt - ein Amnestiebeschluss (Alipheira, 273 v. Chr.) und ein Gesetz gegen Tyrannis und Oligarchie (Ilion, ca. 281 v. Chr.). Keiner Gruppe zugehörig ist das interessante Beispiel aus Nakone / Westsizilien (nach 254 v. Chr.) - hier sollte ein Konflikt durch die Zusammenlosung von "Bruderschaften" beendet werden.

Mit ihrer zeitlichen Eingrenzung hebt die Verfasserin sich von üblichen Einteilungen ab, da sie - im 5. Jahrhundert v. Chr. beginnend - ihre Untersuchung bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. fortsetzt (knapp die Hälfte ihrer Beispiele ist hier angesiedelt). Sie begründet ihre Entscheidung mit der Aussage, dass sich die Strukturen in den Städten erst mit dem Auftreten der Römer im 2. Jahrhundert v. Chr. gravierend verändert hätten.

Im nun folgenden Hauptteil der Untersuchung wird die eingangs angesprochene Gruppeneinteilung der Dokumente zugunsten einer rein chronologischen Reihenfolge aufgegeben, ohne dass dies in der Einleitung vermerkt worden wäre. Die einzelnen Inschriften werden nach Präsentation von Text und Übersetzung einer genauen Analyse unterzogen, wobei die Verfasserin oft zwischen Kommentar, Interpretation, Rekonstruktion der Ereignisse und dem Vergleich mit anderen Fällen schwankt. Diese Uneinheitlichkeit erschwert nicht nur den Vergleich der Dokumente untereinander, sondern das Lesen insgesamt. Ferner zeigt sich, dass fast alle Inschriften an einer oder mehreren Stellen Verständnisprobleme bereiten und / oder Teile fehlen. Hier ist wiederum die Frage nach den Auswahlkriterien der Fallbeispiele zu stellen. Auffällig ist des Weiteren, dass der Athenteil (55-146) fast die Hälfte der Untersuchung einnimmt und somit unverhältnismäßig groß erscheint, bedenkt man zum einen den Titel der Arbeit und zum anderen, dass diese spezielle Zeit bereits sehr gut untersucht worden ist. Auch ändert Dössel hier ihr ganzes Bearbeitungsmuster, zugleich werden die Quellen nicht mehr so gründlich vorgestellt wie in den anderen Beispielen, es werden auch keine Inschriften untersucht, sondern Teile aus Reden, die sich auf bestimmte Dekrete beziehen, sowie andere literarische Quellen. Dieser spezielle Teil verliert sich in einer Fülle von Einzeluntersuchungen, wobei oft nicht darauf eingegangen wird, warum etwas und was gerade untersucht wird.

Die Ergebnisse der Fallstudienanalyse werden im vorletzten Kapitel im Hinblick auf die Fragestellung ausgewertet. Dabei arbeitet die Verfasserin drei Kategorien der Beilegung von Konflikten heraus: Zum einen juristische Maßnahmen (die Bestrafung der Verantwortlichen, die Ausnahme der weniger Verantwortlichen, Aufhebung oder Aufrechterhaltung von juristischen Maßnahmen wie Urteilen oder Regelung von Vermögensfragen), sodann Maßnahmen zur Verpflichtung auf ein bestimmtes Verhalten (Loyalitätseid, Schwurgemeinschaften, Ächtung einer Verfassungsform). Eine dritte Kategorie sind längerfristige institutionelle Veränderungen: Diese konnten oft eher von einer (hellenistischen) Hegemonialmacht durchgesetzt werden.

Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit sich überhaupt grundlegende Aussagen treffen lassen: Wie die Verfasserin selbst bemerkt (281), handelt es sich bei ihren Beispielen mit Ausnahme Athens durchweg um aus dem historischen Kontext gelöste Ausschnitte - ob die intendierten Maßnahmen erfolgreich waren oder überhaupt durchgeführt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Ein Teil ihrer Fragestellung kann also gar nicht beantwortet werden.

So bietet die Arbeit nur eine Analyse einiger weniger Inschriften und eine Untersuchung der Ereignisse in Athen nach 411/10 und 404/03 v. Chr. sowie das Fazit, den Griechen sei es schwer gefallen, ihre Konflikte richtig zu analysieren. Sie hätten Konflikt als ein ethisches Problem gesehen, "für das Lösungsmöglichkeiten daher auch zunächst im Bereich des Verhaltens der Bürger gesucht wurden" (291).


Anmerkung:

[1] Hans-Joachim Gehrke: Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., München 1985.

Katharina Weggen