Rezension über:

Andreas Krieckhaus: Senatorische Familien und ihre patriae (1./2. Jahrhundert n. Chr.) (= Studien zur Geschichtsforschung des Altertums; Bd. 14), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2006, XI + 247 S., ISBN 978-3-8300-1836-0, EUR 85,00
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Rezension von:
Peter Eich
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Peter Eich: Rezension von: Andreas Krieckhaus: Senatorische Familien und ihre patriae (1./2. Jahrhundert n. Chr.), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/11347.html


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Andreas Krieckhaus: Senatorische Familien und ihre patriae (1./2. Jahrhundert n. Chr.)

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Die Machteliten des Römischen Reichs unterschieden sich nach Hippolyt (In Danielem 4,8,7) darin wesentlich von denen anderer antiker Weltreiche, dass sie in der Kaiserzeit keiner engen, exklusiven ethnischen Beschränkung unterlagen, sondern sich mit fortschreitender Zeit aus der ökonomischen Elite des ganzen Imperiums konstituierten, wobei die Partizipationschancen von Region zu Region allerdings erheblich differierten. Italien wurde jedenfalls in seinen Kernregionen nach dem Bundesgenossenkrieg rasch auch in sozio-politischer Hinsicht römisch. Doch auch aus den Provinzen der alten Mittelmeerwelt drangen nach der sukzessiven Ausgestaltung der römischen Alleinherrschaft provinzialrömisch akkulturierte und akkulturierende Italiker, aber auch romanisierte indigene Führungsgruppen in den römischen Senat ein und konnten dort zumindest seit dem späteren 1. Jahrhundert n. Chr. auch durchaus Führungsrollen übernehmen, wenn das höchste Gremium des Imperiums im Prinzipat auch stets ein italisch-westliches Gepräge behielt. Die Auswirkungen des Zuflusses prominenter Familien oder sozial eminenter Einzelpersonen aus ihren jeweiligen Heimatgemeinden müssen in den betroffenen urbanen Agglomerationen in unterschiedlicher Form spürbar gewesen sein. In der älteren Forschung hatte eine These dominiert, nach der zumindest die ökonomischen Nachteile solcher als Abwanderungsbewegungen gedeuteter Schwerpunktverlagerungen in den Heimatgemeinden der Neusenatoren überwogen hätten; daneben seien auch regionale politische Autoritätsverluste zu verzeichnen gewesen. Diesem Modell hatte Werner Eck einen Ansatz entgegengestellt, der auf Beispiele von kontinuierlich in unterschiedlicher Form auch noch in ihren Heimatgemeinden präsenten (römischen) Senatoren verweist: Die ältere Position wird durch solche Exempel zwar nicht vollständig widerlegt, die Folgen der skizzierten Drift werden jedoch relativiert. In diese neuere Forschungsrichtung schreibt sich die Dissertation von Andreas Krieckhaus "Senatorische Familien und ihre patriae (1./2. Jahrhundert n. Chr.)" ein.

Wie Krieckhaus richtig vermerkt, kann eine statistische Analyse des relevanten Gesamtmaterials angesichts der fraktalen Natur der Überlieferung keine tragfähigen Resultate erbringen (8 f.). Dazu stellt sich, dass diese Überlieferung zum größten Teil aus Steininschriften besteht und damit zumeist den hermeneutischen Problemen unterliegt, die eine hochgradige Stereotypisierung der Sprache mit sich bringt. Krieckhaus geht daher kasuistisch vor und präsentiert eine prosopografische Analyse von acht (relativ) gut bezeugten senatorischen Familien beziehungsweise Einzelpersonen, die aus einigen ausgewählten urbanen Zentren der Kernregionen des Imperiums in den römischen Senat gelangt sind. Es sind dies Plinius der Jüngere aus Comum / Como, die Ummidii aus Casinum / Cassino, die Caesernii aus Aquileia, die Rutilii und Glitii aus Augusta Taurinorum / Turin, die Minicii aus Barcino / Barcelona, die Antistii aus Thibilis / Announa, die Cuspii aus Pergamon / Bergama und die Caristanii aus Antiocheia in Pisidien / Yalvaç. Drei Appendizes mit weiteren Ausführungen zur Herkunftsbestimmung von Senatoren (169 ff.), einer näheren Betrachtung der Aristidesbelege für die Pergamonaufenthalte eines der Cuspii (176 ff.) und Überlegungen zu der Inschrift Altertümer von Pergamon VIII 3 Nr. 2 schließen sich an. Eine Bibliografie, ein Personenindex und ein Katalog für die Fallstudien der zentralen inschriftlichen Texte runden das Buch ab.

Die Einzeluntersuchungen sind sehr materialreich. Krieckhaus' These ist, dass die Überlieferung in vielen Fällen die klare Tendenz erkennen lasse, dass senatorische homines novi und, deutlich seltener, auch noch Vertreter nachfolgender Generationen in ihren Heimatgemeinden engagiert blieben, wie etwa Ehrungen vor Ort, Euergetismus, das Pflegen überkommener sozialer Kontakte oder auch bezeugte Anwesenheit suggerierten (48 ff.; 112 ff.; 147 ff. und passim). Eine Verifizierung dieser These lässt, wie der Autor selbst konzediert, selbst die relativ reichhaltige Dokumentation zu den gewählten Fallbeispielen nicht zu (64 f.; 78; 92 f.; 128; 163 und speziell 166 f.). Die genannten Merkmale etwa bilden sich nur selten alle gemeinsam im Quellenmaterial ab, sodass stets Unsicherheitsmargen bestehen bleiben. Generell wird man gegenüber dem Versuch, auch affektiv-emotionale Bindungen mithilfe von so stark genormten Texten wie den für das senatorische Milieu charakteristischen Inschriften ermitteln zu wollen, Skepsis anmelden. Den Quellenwert seines einzigen (potenziellen, aber nicht tatsächlichen) Korrektivs, Plinius' Briefe, relativiert Krieckhaus aufgrund höherer Subjektivismusrisiken und einer meines Erachtens überzogenen Einschätzung der Fallen genrespezifischer Darstellungstypen über Gebühr (32 ff.).

Krieckhaus verfügt über eine tiefe Kenntnis der einschlägigen Überlieferung und ihrer Behandlung in der modernen Forschung. Zur Untermauerung seiner Position stützt er sich häufig auf die Arbeiten und Ergebnisse seiner Vorbilder und Lehrer, Géza Alföldy, Anthony Birley (der Betreuer der Arbeit), Werner Eck und Ronald Syme. Dass den Aussagen dieser Autoritäten bisweilen fast schon Quellencharakter zugeschrieben wird, findet seine Begründung in der Dürftigkeit der Überlieferung, die den Autor immer wieder einengt und zu Spekulationen oder eben derartigen Rückbezügen zwingt. Sprache, Stil und Aufbau nähern das Buch gelegentlich einem RE-Artikel an, ein Phänomen, das natürlich ebenfalls durch Themenwahl und Quellenlage mitbestimmt ist. Diesem Grundmuster fügt sich indes, dass die Verwendung der Induktion als Methode, deren Effektivität für den vorliegenden Kontext entscheidend ist, mit einem lapidaren Satz gerechtfertigt wird (9). Die bereits ausführlich in der Forschung diskutierte und angewandte Kriteriologie, mittels derer die Herkunft eines Senators bestimmt wird, wird dagegen ausführlich reproduziert (17-25; 169-175). Hier wäre ein ausgewogeneres Verhältnis der Teile wünschenswert gewesen.

Krieckhaus' Dissertation ist eine reiche prosopografische Materialsammlung. Der Autor unternimmt es, die These, senatorische Neulinge aus außerrömischen Kontexten hätten jedenfalls oftmals engere Kontakte zu ihrer sozialen patria bewahrt, einer Verifizierung anzunähern. Dieses Unternehmen kann als gelungen bezeichnet werden.

Peter Eich