Rezension über:

Frank Berger (Hg.): Glaube Macht Kunst. Antwerpen - Frankfurt um 1600, Frankfurt: Societätsverlag 2005, 208 S., ISBN 978-3-7973-0970-9, EUR 22,80
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Rezension von:
Eckhard Leuschner
Institut für Kunstgeschichte, Universität Passau
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Eckhard Leuschner: Rezension von: Frank Berger (Hg.): Glaube Macht Kunst. Antwerpen - Frankfurt um 1600, Frankfurt: Societätsverlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/10990.html


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Frank Berger (Hg.): Glaube Macht Kunst

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Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Verfasser dieser Besprechung hat die zum Buch gehörende Ausstellung nicht gesehen. Die folgenden Zeilen beziehen sich also exklusiv auf die angezeigte Publikation. In ihr geht es um die niederländische Zuwanderung nach Frankfurt zwischen ca. 1550 und 1600 und deren soziale, wirtschaftliche und kulturelle Resultate für die Stadt und ihr Umland. Wie schon die Gruß- und Vorworte anzeigen, ist die raison d'être des Buchs der löbliche Versuch, an einem zentralen Beispiel den Gewinn zu dokumentieren, den die Stadt Frankfurt von alters her durch Zuzug von 'Fremden' hatte. Wegen der Herkunft eines Großteils der Migranten aus der Handelsmetropole Antwerpen wurde das Projekt auf eine Gegenüberstellung der beiden Städte in ihrer Entwicklung von 1550 bis 1630 fokussiert. Flankiert von Bestandsaufnahmen der historischen Situation von Antwerpen und Frankfurt an den gewählten Fixpunkten (Verfasser: Sabine Denissen und Frank Berger) stehen Kapitel, in denen verschiedene Autoren Einzelaspekte, z. B. die von den Zuwanderern mitgebrachten Fertigkeiten und Gewerbe, erörtern. Jedes Kapitel besteht aus dem Textbeitrag und einer nachfolgenden Auflistung der zugehörigen Ausstellungsobjekte, von denen leider nicht alle abgebildet und nur einige mit elementaren prosopografischen oder ikonografischen Erläuterungen versehen sind. Fußnoten gibt es nicht, der Bezug auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse beschränkt sich auf einige Literaturhinweise zwischen Text und Objektliste.

Alle Teile des Bandes, besonders aber der Beitrag "Glaube" von Roman Fischer, demonstrieren, dass die konfessionellen Konflikte überragender Faktor für das Verständnis der Epoche und so auch der beiden miteinander konfrontierten Stadtgeschichten sind: Es war das religiöse Bekenntnis, das die meisten der nach Frankfurt gekommenen Niederländer zur Auswanderung bewogen hatte. Der größte Migrationsschub ereignete sich um 1585: Nach der habsburgischen Rückeroberung Antwerpens hatten die ca. 40.000 protestantischen Einwohner, fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung, zu wählen, ob sie sich zum Katholizismus bekennen oder die Stadt verlassen wollten. Mit den lutheranischen und reformierten Auswanderern verlor die Handelsmetropole an der Schelde nicht nur einen beträchtlichen Teil ihrer Einwohner, sondern viel handwerkliche und wirtschaftliche Kompetenz. Neben Hamburg, Köln, Nürnberg und Emden bot sich das protestantische, aber als Stadt der Kaiserkrönungen auf gute Kontakte zu den katholischen Reichsteilen bedachte Frankfurt zahlreichen dieser Glaubensflüchtlinge wegen seiner guten Verkehrslage und der Handelsmessen als Zielort an. Da im Laufe des 16. Jahrhunderts Handwerk und Handel in Frankfurt deutlich an Bedeutung verloren hatten, kam die Zuwanderung der mit aktuellsten Formen des Wirtschaftens vertrauten Antwerpener einem Innovationssprung gleich. Frankfurt wurde durch den niederländischen brain drain zu einem wichtigen Ort des Handels mit Textilien, Gold und Diamanten und von deren Weiterverarbeitung. Maler, Kupferstecher und Buchverleger kamen in die Stadt. Nicht zuletzt die 1605 erstmals so bezeichnete Frankfurter Börse, die aus den Versammlungen der Kaufleute zur Überprüfung der Münzkurse während der Messen hervorging, muss als maßgeblich von den niederländischen Immigranten geprägt gelten. Gut ein Viertel der ca. 20.000 Einwohner Frankfurts bestand in den späten 1580er-Jahren aus Exulanten. Ironischerweise hatte sich mancher Neu-Frankfurter aber erneut mit religiöser Intoleranz auseinanderzusetzen, da die lutheranisch geprägte Administration Mitgliedern der Reformierten Gemeinde zwar die Möglichkeit bot, das Bürgerrecht zu erwerben, diese jedoch keine öffentlichen Ämter bekleiden und zeitweise nicht einmal Gottesdienst halten durften. Schon in den 1560er-Jahren wanderten deshalb zahlreiche Reformierte aus Frankfurt ab: zuerst bevorzugt in den ihnen durch Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz zur Verfügung gestellten Ort Frankenthal, der zu beträchtlicher Größe und Wirtschaftskraft heranwuchs, später in die Grafschaft Hanau, wo mit Neu-Hanau ab 1597 die Gründung einer reformierten Stadt betrieben wurde, die darauf angelegt war, Frankfurt als Handelsstandort zu überrunden. Beiden Orten ist je ein eigenes Kapitel gewidmet (Edgar Hürkey und Roman Fischer).

"Glaube Macht Kunst" war gemäß der mit dem Projekt verbundenen Intentionen eine kulturhistorische Ausstellung, für die Kunst nur ein Teilinteresse darstellte - wobei allerdings der doppelsinnige Titel gerade diesen Aspekt herausstreicht: Die Attraktion von "Glaube Macht Textilhandel" oder "Glaube Macht Münzkurse" auf ein größeres Publikum hätte sich tatsächlich wohl in Grenzen gehalten. Wie stellt sich die solchermaßen instrumentierte Kunst im Rahmen der Publikation dar? Innerhalb der einführenden historischen und der auf bestimmte Wirtschafts- und Sozialaspekte bezogenen Kapitel sind Gemälde, Kupferstiche, Feinschmiedeobjekte und Textilien als historische Quellen zwischen gedruckten Titelblättern, Archivalien und Landkarten abgebildet; technische oder stilistische Erörterungen solcher Werke findet man so gut wie nicht. Das Kapitel über die "Abwanderung nach Frankenthal" enthält zahlreiche Hinweise auf die in der reformierten Neugründung tätigen Gold- und Silberschmiede, Textilwerkstätten sowie auf Maler wie Gillis van Coninxloo und Anton Mirou, die einst - wohl zu Unrecht - unter dem Etikett der "Frankenthaler Malerschule" geführt wurden. Auch hier gibt es zu Stil und Themenwahl bestenfalls Andeutungen, während (sozialgeschichtlich sicher instruktiv) vor Ort tätige, aus den Niederlanden stammende Kunsthandwerker aufgelistet werden, denen oft kein einziges erhaltenes Werk zuweisbar ist.

In den beiden mit "Kunst" und "Druck" (Autor in beiden Fällen: Kurt Wettengl) überschriebenen Kapiteln findet man auf 30 Seiten eine gedrängte Zusammenstellung von Daten und Fakten der flämisch-frankfurtischen Kunstbeziehungen seit der Zeit um 1500, die sich in den 1580er-Jahren aus den genannten Gründen intensivierten. 1585 erhielten Martin van Valckenborch d. Ä. und dessen Schwiegersohn, Hendrik van Steenwijk d. Ä., das Bürgerrecht. 1586 kam der Kaufmann, Maler und Bildhauer Daniel Soreau in die Stadt; später ging er nach Neu-Hanau. In Soreaus Werkstatt lernten seine Zwillingssöhne Isaak und Peter sowie Sebastian Stoskopf und Peter Binoit das Malerhandwerk. Zu den Zuwanderern gehörten außerdem Joos van Winghe und sein Sohn Jeremias und - als Dreijähriger - der spätere Maler Hendrik van der Borcht. Lucas van Valckenborch kam, zusammen mit Georg Flegel, Anfang 1593. Joris Hoefnagel hielt sich zwischen 1591 und 1594 in Frankfurt auf. Kurz weist Wettengl auf die vom Protestantismus mit-bestimmte Herausbildung neuer Gattungen der Malerei und ihre Frankfurter Ausprägungen, etwa Still-Leben und Genreszenen. Die Markt- und Küchenstücke von Lucas van Valckenborch und Jeremias van Winghe seien flämischen Vorbilder des Pieter Aertsen und Jan Beuckelaer verpflichtet. In der von ähnlichen Bildern des Daniel Seghers beeinflussten "Kartusche mit Blick auf Frankfurt" des Jacob Marrel (1651), der als Kind niederländischer Exulanten in Frankenthal aufgewachsen war, ist für Wettengl das Ende der Phase niederländischen Einflusses auf die Frankfurter Kunst bezeichnet. Im "Druck"-Kapitel geht es um den substanziellen Beitrag von aus den Niederlanden und Frankreich zugewanderten Druckern, Kupferstechern und Verlegern zur um 1600 in Frankfurt blühenden Buch- und Grafikproduktion und zum Buchhandel; Letzterer fand wesentlich auf den Frühjahrs- und Herbstmessen statt. Neben auch druckgrafisch tätigen Malern wie Hoefnagel sind u. a. die reformierten französischen Verlagsbuchhändler Johann Aubry und Claude de Marne sowie der ab 1588 vor Ort tätige Theodor de Bry genannt, welcher entscheidend zur Durchsetzung der Kupferstichillustration anstelle des Holzdrucks beigetragen habe. Nach dessen Tod 1598 setzte sein Sohn Johann Theodor de Bry den Verlag fort. Matthäus Merian war Johann Theodors Schwiegersohn und übernahm 1623 das Unternehmen. Wie die meisten Sparten der von den Einwanderern zum Florieren gebrachten städtischen Wirtschaft musste auch die Kunst im Dreißigjährigen Krieg einen Bedeutungsverlust erleben.

Man darf von dem besprochenen Band nicht zu viel erwarten. Er soll ein breites Publikum mit den elementaren Fakten und Folgen der niederländischen Einwanderung nach Frankfurt vertraut machen. Einem Vergleich mit ähnlich stadt- und kulturgeschichtlich angelegten Publikationen wie dem grandiosen, durch Jan van der Stock kuratierten Katalog "Antwerpen. Verhaal van een Metropool" von 1993 kann das Büchlein nicht standhalten; offenbar wurde dergleichen auch nicht ernsthaft angestrebt. Kunstwerke dienen in "Glaube Macht Kunst" als Illustrationen, werden aber nur selten auf ihre Evidenz für das behandelte Thema hin untersucht. Selbst das gleich zweifach abgebildete Gemälde "Mictio von Chalchis [!] vor den Senatoren" (dargestellt ist der Auftritt des euböischen Gesandten Micythion von Chalkis vor dem römischen Senat im Jahre 170 v. Chr. gemäß Livius XLIII, 7-8) von Hendrik van der Borcht dem Älteren, eine wohl singuläre Darstellung des Themas, wird mit keiner Zeile erläutert. Selbstredend ist die formale und ikonografische Analyse solcher Werke keine müßige Kunsthistorikerpedanterie, denn erst sie kann bezüglich der genaueren Bestimmung von Funktion und Publikum ernstzunehmende Resultate bieten: Wie sehr passten sich die zugezogenen Künstler und Kunsthandwerker den am Ort üblichen visuellen Konventionen an, wie sehr betätigten sie sich als Innovatoren oder unterschieden in der formalen Gestaltung ihrer Produkte zwischen einzelnen (konfessionell differenzierten) Kundengruppen, zwischen Werken für den lokalen Markt und für den Export? Gerade die Beschäftigung mit der stilistischen Position der Frankfurter Kunstproduktion zwischen den ästhetischen Polen der niederländischen und der "altdeutschen" Tradition, dem rudolfinischen Hofstil, der späten Maniera in Fontainebleau und Italien kann Auskunft geben über die politische und kulturelle Befindlichkeit der Stadt im nationalen und internationalen Kräftespiel. Es spricht in dieser Hinsicht Bände, dass die alte These eines prägenden Einflusses der Neu-Frankfurter Niederländer auf den genau in jenen Jahren der starken Immigration ausgebildeten Adam Elsheimer inzwischen revidiert und dessen Abhängigkeit von Stil und Kompositionslösungen Dürers und der Dürerschule herausgestrichen wird. [1] Es steht also noch an, die in der vorliegenden Publikation durchaus eindringlich geschilderten sozialen und konfessionellen Konflikte zwischen den Alt- und Neubürgern Frankfurts in Beziehung zum Bereich der Bilder zu setzen. Wie das besprochene Buch gezeigt hat, ist das visuelle Material dafür vorhanden. Es wartet auf seine weitere Befragung. Ernsthaft betriebene Kunstgeschichte ist so gesehen kein Paralleldiskurs zur Kulturgeschichte, sondern ihr unverzichtbarer Kernbestandteil.


Anmerkung:

[1] Rüdiger Klessmann: Adam Elsheimer, sein Leben und seine Kunst, in: Ausst. Kat. Im Detail die Welt entdecken. Adam Elsheimer 1578-1610, Frankfurt am Main 2006, 11-41, bes. 11-14.

Eckhard Leuschner