Rezension über:

Thomas Widera: Dresden 1945-1948. Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung; Bd. 25), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 469 S., ISBN 978-3-525-36901-2, EUR 44,90
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Rezension von:
Thomas Schaarschmidt
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Schaarschmidt: Rezension von: Thomas Widera: Dresden 1945-1948. Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/10607.html


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Thomas Widera: Dresden 1945-1948

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Nachdem die Untersuchungen zum Aufbau der kommunistischen Diktatur in Sachsen deutlich gemacht haben, wie stark regionale und kommunale Ebenen in Dresden miteinander verzahnt waren, schließt die Dissertation Thomas Wideras über die Geschichte der Stadt in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine wichtige Forschungslücke. Über den Rahmen einer gängigen lokalgeschichtlichen Untersuchung hinaus ist seine Studie auch deshalb besonders interessant, weil in Dresden richtungsweisende Maßnahmen der Herrschaftsetablierung ergriffen wurden, die Entwicklungen in anderen Regionen der SBZ vorwegnahmen.

Dass Widera seinen Untersuchungszeitraum von 1945 bis 1948 sehr knapp bemisst und sich dabei faktisch auf die Jahre 1945 und 1946 konzentriert, begründet er damit, "dass die entscheidenden Weichenstellungen der Transformation - Kontrolle des Verwaltungsapparates, Einrahmung der politischen Parteien, unumkehrbare Eingriffe in die Eigentumsstrukturen - bis zum Sommer 1946 erfolgten" (424). Diese für eine Arbeit von 427 Seiten starke zeitliche Beschränkung birgt alle Chancen einer dichten Beschreibung, angefangen von der Möglichkeit, Mikroprozesse der Transformation zu analysieren, aber auch alle Risiken, die in Detailverliebtheit und Wiederholungen zu Tage treten.

Das Werk ist teils chronologisch, teils sachthematisch gegliedert. Geht es in den Kapiteln II (Der Weg aus dem Krieg), III (Neubeginn nach dem 8. Mai 1945) und IV (Der Beginn der politischen Säuberungen) um den Übergang von den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges zu den unkoordinierten Anfängen der "antifaschistisch-demokratischen Umwälzung", so behandeln Kapitel V ("Sicherheit": Eine politische Polizei für Dresden), VI (Transformationspolitik "entsprechend den Instruktionen"), VII (Die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung) und VIII (Festigung der Macht) den Aufbau der verschiedenen Machtsäulen der kommunistischen Diktatur in Dresden.

Die Darstellung orientiert sich an dem vom früheren Direktor des Hannah-Arendt-Instituts Klaus-Dietmar Henke geprägten Interpretationsansatz der "Diktaturdurchsetzung". Wie Widera in seiner Einleitung schreibt, impliziert dieser Begriff, "dass zur Errichtung einer Diktatur die Bereitschaft einer Gesellschaft herbeigeführt werden musste, nicht legitimierte Herrschaft hinzunehmen" (13). Wenn er auch an anderer Stelle konstatiert, dass es sich bei der Dresdner Bevölkerung "nicht ausschließlich" um "hilflos Beherrschte" gehandelt habe, sondern durchaus um Akteure, "auf deren Erwartungen und Wünsche" die "Herrschenden" teilweise eingehen mussten, um "Reibungsverluste bei der Durchsetzung der Herrschaft zu minimieren" (383), birgt der Ansatz der "Diktaturdurchsetzung" doch die grundsätzliche Gefahr, die Gesellschaft vornehmlich als Objekt diktatorischen Handelns wahrzunehmen und voreilig von der Intention auf die Wirkung politischer Maßnahmen zu schließen. Dabei wissen wir aus der Kommunismusforschung der letzten 15 Jahre, wie weit Wunsch und Wirklichkeit oft auseinander lagen, und dass nicht intendierte Nebenwirkungen in einigen Fällen größeren Einfluss hatten als manche von ideologischer Verblendung bestimmte Maßnahmen des SED-Regimes.

In Anbetracht des gewählten Ansatzes liegt es nahe, dass sich die Ausführungen Wideras auf die Herrschaftsstrukturen und -techniken konzentrieren. Im Vordergrund steht für ihn der Auf- und Ausbau des Herrschafts- und Repressionsapparats, den er in seiner Genese detailliert und äußerst beeindruckend schildert. Überzeugend beschreibt er, wie deutsche Kommunisten und sowjetische Besatzungsoffiziere die Entnazifizierung als universellen Hebel benutzten, um den Elitenwechsel und die gesellschaftliche Transformation auf verschiedenen Ebenen so weit voranzutreiben, dass sie auf mittlere Sicht keine ernsthafte Gefährdung ihrer Herrschaft zu befürchten hatten. Gerade die lokale Fallstudie eröffnet hier aufschlussreiche Einblicke in das Zusammenspiel von Partei, Verwaltung, Polizei und Entnazifizierungskommissionen. Vorbildlich sind die Detailanalysen Wideras zum Verhältnis zwischen den deutschen Funktionären und den Vertretern der sowjetischen Besatzungsmacht. So belässt er es nicht dabei, auf die Konzeptionslosigkeit und Widersprüchlichkeit der sowjetischen Besatzungspolitik hinzuweisen, sondern er zeigt deutlich, wie und in welchem Umfang es den deutschen Kommunisten gelang, ihre Vorstellungen einer Diktatur gegenüber dem großen Verbündeten durchzusetzen.

Weitaus weniger überzeugend sind Wideras Erklärungsversuche für das Phänomen, wie es einer verhältnismäßig schmalen Besatzungsverwaltung und einer zwar hoch motivierten, aber doch zahlenmäßig kleinen Gruppe von KPD-Funktionären innerhalb weniger Monate gelang, eine ihnen potenziell feindlich gesinnte Öffentlichkeit nicht nur zur Hinnahme ihrer Parteidiktatur zu bewegen, sondern die Gesellschaft - trotz zahlloser dysfunktionaler Maßnahmen - funktionsfähig zu erhalten. Ohne die Wirkung von Repression, Integrationsangeboten und Opportunismus gering schätzen zu wollen, hätte es an dieser Stelle doch einer fundierteren Analyse bedurft, die auch sozialgeschichtlich argumentiert und damit den vom Autor selbst erhobenen Anspruch einlöst. Erst wenn die politische Entwicklung in Beziehung zu den Kontinuitäten und Wandlungen der städtischen Milieus, ihren Strukturen und Netzwerken gesetzt wird, lässt sich ermessen, in welchem Ausmaß der umfassende kommunistische Transformationsanspruch tatsächlich realisiert wurde. Andernfalls bleibt man auf Spekulationen angewiesen, die teilweise regelrecht in die Irre führen. Obwohl außer Frage steht, dass es Besatzungsmacht und KPD/SED schon bis 1948 gelungen war, eine gesellschaftliche Transformation durch personelle Säuberungen und Enteignungen zu erzwingen, lässt das starke Protestpotenzial in der Bevölkerung, das sich 1953 auch in Dresden Bahn brach, doch Zweifel daran aufkommen, wie gefestigt die Diktatur in den späten 1940er-Jahren schon war.

Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass Widera seine Untersuchung nicht erst mit dem 7. Mai 1945 als dem Tag der Besetzung Dresdens durch die Rote Armee beginnt, sondern auch die Endphase des Zweiten Weltkriegs einbezieht. Wenn er allerdings anstrebt, die "Wirkungsmechanismen der Diktaturtransformation vom nationalsozialistischen zum kommunistischen Regime" (12) zu erfassen, greift eine Begrenzung auf die Zeit ab dem 13. Februar 1945 zu kurz. Ohne in Abrede stellen zu wollen, wie wichtig die Bombardierung Dresdens für die Erinnerungskultur der Stadt bis heute ist, hätte der von Widera formulierte Anspruch etwas genauere Ausführungen über die politischen und gesellschaftlichen Strukturen in der Zeit des Nationalsozialismus verlangt. Der pauschale Hinweis, dass die Politik des NS-Regimes bis Anfang 1945 "bei einem großen Teil der Bevölkerung" (30) Zustimmung gefunden habe, hilft hier kaum weiter.

Widera hat mit seiner Dissertation eine exzellente Fallstudie zum Aufbau des kommunistischen Herrschaftsapparats auf kommunaler Ebene vorgelegt. Trotzdem lässt seine Darstellung viele Fragen offen, die für die Bewertung der Diktaturdurchsetzung in Praxis und Auswirkung wichtig gewesen wären. Die zukünftige Forschung hat hier die Aufgabe, die Funktionsmechanismen im Alltag der Diktatur durch eine Verschränkung politik- und sozialgeschichtlicher Ansätze genauer zu erschließen.

Thomas Schaarschmidt