Rezension über:

Klaus Herbers: Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt (= C.H. Beck Wissen; Bd. 2394), München: C.H.Beck 2006, 128 S., ISBN 978-3-406-53594-9, EUR 7,90
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Rezension von:
Bernhard Schneider
Theologische Fakultät, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Schneider: Rezension von: Klaus Herbers: Jakobsweg. Geschichte und Kultur einer Pilgerfahrt, München: C.H.Beck 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/10358.html


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Klaus Herbers: Jakobsweg

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Seit rund zwei Jahrzehnten erlebt Santiago de Compostela eine bemerkenswerte Renaissance, und zwar in doppelter Hinsicht: als Ziel von Pilgern und als Forschungsgegenstand. In die Millionen geht die Zahl derer, die nun wieder jährlich nach Santiago kommen, darunter im Heiligen Jahr 2004 immerhin knapp 180.000, die förmlich als Pilger anerkannt wurden, weil sie nachweislich mindestens 100 Kilometer zu Fuß oder 150 Kilometer per Fahrrad nach Santiago unterwegs waren. Seit 1993 gilt der so genannte Jakobsweg offiziell als Weltkulturerbe. Als Forschungsgegenstand haben Santiago und der Weg dorthin nicht minder Konjunktur, wie etwa die stattliche Reihe der Jakobus-Studien ausweist (16 Bände seit 1988). Eigene Bibliographien (Dunn / Davidson, New York / London 1994) helfen, die Flut an Titeln zu erschließen.

Der Haupttitel dieses Bändchens lässt an einen der zahlreichen Bildbände zu Santiago oder an einen der nicht minder verbreiteten heutigen "Pilgerberichte" denken. Beides trifft nicht zu, vielmehr hat Herbers sein Buch für ein breites Lesepublikum als kompakten Überblick zur Genese und Entwicklung der Pilgerfahrten nach Santiago konzipiert. Er kann aus der Fülle eigener Forschungen und einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit der Literatur schöpfen, gleichzeitig die jüngste Entwicklung als Augenzeuge und engagierter Mitgestalter der Santiago-Renaissance nachzeichnen. Im deutschsprachigen Raum ist der Verfasser einer der maßgeblichen Protagonisten dieser Richtung, als Mitherausgeber der Jakobus-Studien wie als führender Repräsentant der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft. Herbers hat sich auch durch die Übersetzung und Publikation wichtiger Quellen zu Santiago einen Namen gemacht.

Von der Entdeckung des Grabes und der frühen Jakobustradition in Santiago ausgehend, wird die Entwicklung der Jakobusverehrung und der Pilgerfahrt über die Jahrhunderte hin verfolgt, werden Pilger mit ihren unterschiedlichen Motiven und ihrem Unterwegssein vorgestellt. Im Mittelpunkt steht für den Mediävisten Herbers das Mittelalter, jedoch geht ein eigenes Kapitel auf die spätmittelalterliche, humanistische und reformatorische Kritik ein (Kapitel 6, 79-90), während ein weiteres die Geschichte vom Niedergang in der frühen Neuzeit über die Wiederentdeckung des Grabes 1879 bis zur aktuellen Renaissance beschreibt (101-114). Ein Spezialkapitel geht dem Motiv des Schlachtenhelfers nach (91-100). Dieses Kapitel 7 steht allerdings wie ein Fremdkörper zwischen den Kapiteln 6 und 8, die eine stärker chronologische Perspektive in die Neuzeit hinein entfalten. Da viele Inhalte von Kapitel 7 bereits in Kapitel 2 anklingen, hätten sie meines Erachtens dort besser ihren Platz gefunden. Auch sonst wirft die Stoffverteilung für den Rezensenten die eine oder andere Frage auf (Feinabstimmung zwischen Kapitel 3, 4 und 5). An den Inhalten selbst gibt es nichts zu rütteln. Alles ist solide recherchiert, im vorgegebenen Rahmen informationsreich und gut lesbar, weil auf fachsprachliches Wortgeklappere konsequent verzichtet wird. Der Reihe und ihrem anvisierten Publikum entsprechend werden kaum Forschungskontroversen angesprochen (Ausnahme 58-60 die Diskussionen um Pilgerstraßen und die Entstehung der epischen Dichtung oder des romanischen Baustils), auch wird auf einen Anmerkungsapparat verzichtet. Meist zwischen den Zeilen macht Herbers mit mancherlei Tücken der Quellen vertraut und schärft das Geschichtsbewusstsein seiner Leser und Leserinnen. Wohltuend ist seine Zurückhaltung gegenüber einer allzu naiven Santiago-Euphorie, wodurch er davor bewahrt, aus jedem Jakobuspatrozinium und jeder Jakobusstatue gleich auf lange Pilgertraditionen zurückzuschließen. Sehr prägnant verdeutlicht er, wie die Jakobustradition in Santiago und darüber hinaus immer wieder neu gelesen und gedeutet wurde, über den Helfer Asturiens und Galiciens in der Zeit der islamischen Expansion, den Schlachtenhelfer und Pilgerpatron im hohen Mittelalter bis hin zur Neuentdeckung des Nationalheiligen durch Franco im Rahmen seines Spanienbildes oder zur Europäisierung Santiagos und der Pilgerfahrt seit dem EU-Beitritt Spaniens 1986.

Wer eine schnelle, wissenschaftlich fundierte Erstinformation zu einem der faszinierendsten Gegenstände der Geschichte will, der bis in die Gegenwart hineinragt, der ist mit diesem Bändchen bestens bedient, zumal das Literaturverzeichnis zu einer großen Zahl speziellerer deutschsprachiger Forschungen hinführt.

Bernhard Schneider