Rezension über:

Inger Marie Okkenhaug / Ingvild Flaskerud (eds.): Gender, Religion and Change in the Middle East. Two Hundred Years of History, Oxford: Berg Publishers 2005, 230 S., ISBN 978-1-845201-99-9, GBP 16,99
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Rezension von:
Thomas Eich
Seminar für Orientalistik und Indologie, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Eich: Rezension von: Inger Marie Okkenhaug / Ingvild Flaskerud (eds.): Gender, Religion and Change in the Middle East. Two Hundred Years of History, Oxford: Berg Publishers 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/10732.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 6 (2006), Nr. 9

Inger Marie Okkenhaug / Ingvild Flaskerud (eds.): Gender, Religion and Change in the Middle East

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Es ist das Ziel des Bandes, der aus einem Workshop in Bergen im Jahr 2003 hervorging, den Trend der Gender Studies zu unterstützen, die Situation und Rolle der Frau(en) in der Region des Nahen Ostens nicht mehr allein durch ihr Geschlecht bedingt und somit monokausal zu betrachten. Vielmehr hat die jüngere Forschung die Unterschiede betont, die durch die soziale Schichtung, Zeit oder Ort entstehen können. Darüber hinaus ist es dem Sammelband ein Anliegen, das Bild zusätzlich durch Blick auf die nicht-muslimischen Religionsgruppen in der Region zu differenzieren

In ihrem Beitrag über Gerichtsverfahren am Sharia-Gericht von Gaza Stadt beschreibt Nahda Younis Shehada, wie die männlichen Richter in der Regel die Frauen in familienrechtlichen Prozessen gegen deren Ehemänner in Schutz nehmen und ihnen in gewisser Weise verfahrensrechtliche Vorteile verschaffen. Younis Shehada plädiert vor diesem Hintergrund für eine verstärkte Analyse der Anwendung des islamischen Rechts, um zu besseren Charakterisierungen hinsichtlich der Frage der Stellung der Frau in der Sharia zu finden. Dabei weist sie explizit darauf hin, dass das Verhalten der Richter keineswegs einem Trend zur Gleichstellung der Geschlechter geschuldet ist, sondern vielmehr dem patriarchalisch geprägten Selbstbild der Richter als einer Beschützerfigur.

Yohai Hakaks Artikel über junge Kadetten aus der ultra-orthodoxen Haredi-Gruppierung in der israelischen Armee stellt dar, wie zwei unterschiedliche Männlichkeitskonzepte aufeinander treffen und sich auf Seiten der Kadetten ein großes Beharrungspotential gegenüber dem Ziel militärischer Grundausbildung zeigt, eine exklusive Befehlshierarchie unter weitgehendem Ausschluss sonstiger, konkurrierender sozialer Gruppenbildungsmechanismen innerhalb der Armee zu etablieren.

Im folgenden Beitrag stellt Inger Marie Okkenhaug die Arbeit der anglikanischen St. Georgs Schule in Jerusalem 1900 bis 1940 mit besonderer Betonung der dort vorherrschenden Konzeptionen von Männlichkeit dar. Dabei wird deutlich, dass in der Schule zunehmend Wert auf die körperliche Ertüchtigung und Sozialisierung durch Sport gelegt wurde. Dies führte zu einer zunehmenden Vernachlässigung des "eigentlichen" Unterrichts, was von anglikanischen Beobachtern aus England durchaus scharf kritisiert wurde.

Aleksandra Majstorac Kobiljski beschreibt mehrere Biographien von Studentinnen an der American University of Beirut von den 1920er bis 1940er Jahren. Dabei arbeitet sie heraus, wie sich die Frauen an der Universität zunehmend eigene Organisationen schufen, die zu einer Integrierung der Frau in den Universitätsalltag beitrugen, auch wenn weibliche Studierende an der AUB noch lange eine relativ seltene Erscheinung blieben.

Der Artikel von Beth Baron zeigt danach die große Bedeutung von Wohltätigkeitsorganisationen auf, die ab 1900 in Ägypten von Frauen gegründet wurden. Damit gaben sie erstens ein Beispiel für selbstbestimmtes gesellschaftliches und in gewissem Maße auch politisches Handeln von Frauen. Zweitens kann Baron die teilweise enorme faktische Bedeutung dieser Aktivitäten etwa für die öffentliche Gesundheitsversorgung Ägyptens aufzeigen.

Heleen Murre-van den Berg weist im Anschluss daran in ihrem Überblick über die protestantischen Missionsaktivitäten im Nahen Osten des 19. Jahrhunderts auf deren große Bedeutung für das "empowerment" von Frauen vor Ort unabhängig von deren jeweiliger Religionszugehörigkeit hin.

In ihrer Analyse islamistischer Diskurse über das Kopftuch in der Türkei weist Jenny B. White nach, dass innerhalb dieser Diskurse bei Männern die Befürwortung des Kopftuchs an traditionelle Rollenverständnisse gekoppelt ist, in denen die Frau primär als Hausfrau und Mutter gesehen wird. Demgegenüber sehen die Frauen innerhalb dieses islamistischen Diskurses vielmehr im Kopftuch eine Chance, traditionelle Rollenmuster zu verlassen, da sie dadurch problemloser Tätigkeiten außerhalb des Hauses nachgehen können.

In einem faszinierenden Beitrag über Marienerscheinungen im Jerusalem von 1874 und in Kairo im Jahre 1968 stellt Willy Jansen diese Phänomene in ihren konkreten historischen Zusammenhang und kann somit die Verbindungen zu spezifischen gesellschaftlichen Veränderungen des Frauenbildes herstellen, die sich einerseits in der konkreten Marienkonzeption der jeweiligen Erscheinungen manifestierten und andererseits wiederum diese Veränderungen zusätzlich beförderten.

Leah Shakdiel beschreibt im Anschluss daran die Veränderung der Rolle der Frau in Israel anhand der Entwicklung der Diskussion über die Zulassung von Frauen in die israelische Armee.

In einem engagiert geschriebenen Beitrag fordert Nefissa Naguib die verstärkte Berücksichtigung von gewaltsam ausgetragenen politischen Konflikten als Ursache von Ungleichbehandlung der Geschlechter. Dabei fordert sie nachdrücklich von der Anthropologie eine größere "Bodenhaftung" ein, da sich diese zunehmend in rein theorie-orientierten Debatten verliere.

Daran schließen sich zwei Studien von Karin Ask zu Afghanistan und Azam Torab zu Iran an, die aufzeigen, wie Frauen traditionelle Formen sozialer Ordnung zur Alltagsbewältigung unter teilweise verschärften Bedingungen nutzen. Vor allem Ask kann am afghanischen Beispiel dabei aufzeigen, wie sich diese Formen im Zuge der letzten 25 Jahre verändert haben.

Den Herausgeberinnen des Bandes ist vor allem aus zwei Gründen zu gratulieren. Sie nehmen erstens den "Middle East Gender Studies" ihren oft anzutreffenden ausschließlichen Islambezug. Die Studien zu jüdisch-israelischen Fallbeispielen wie auch zu Formen christlicher Religiosität des Nahen Ostens erweitern wohltuend den Blick und bieten viele Ansatzpunkte für weitergehende vergleichende Forschung. Zweitens wird durch die Beiträge von Hakak und Okkenhaug eindrucksvoll dokumentiert, dass sich zunehmend innerhalb der Nahost-bezogenen Forschung die Erkenntnis durchsetzt, dass "Gender Studies" nicht einfach nur "Frauenstudien" sind, sondern Geschlechterverhältnisse thematisieren und daher ohne eine Analyse der Rolle der Männer und von Männerbildern unvollständig bleiben müssen.

Insgesamt entgeht der Band aber nicht dem häufigen Schicksal von Sammelbänden, dass eigentlich keine echte Verbindung zwischen den einzelnen Beiträgen existiert, so dass ein Sammelsurium teilweise faszinierender Einzelstudien oder -informationen entsteht, die aber aufgrund des Fehlens eines übergreifenden Rahmens kein wirkliches Gesamtbild weder von Geschlechterverhältnissen im Nahen Osten noch von Gender Studies mit Nahost-Bezug entsteht. Wünschenswert wären auch Kurzbiographien der AutorInnen gewesen, da viele der Beitrage offenbar von jungen Forschenden stammen, über deren sonstige Forschungsinteressen und akademischen Hintergründe man gerne mehr erfahren hätte.

Anmerkung der Redaktion:

Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php

Thomas Eich