Rezension über:

Eveline Brugger / Birgit Wiedl (Bearb.): Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich im Mittelalter. Band 1: Von den Anfängen bis 1338, Innsbruck: StudienVerlag 2005, 451 S., ISBN 978-3-7065-4018-6, EUR 47,90
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Rezension von:
Jörg Müller
Arye Maimon-Institut für Geschichte der Juden, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Jörg Müller: Rezension von: Eveline Brugger / Birgit Wiedl (Bearb.): Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich im Mittelalter. Band 1: Von den Anfängen bis 1338, Innsbruck: StudienVerlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 6 [15.06.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/06/9402.html


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Eveline Brugger / Birgit Wiedl (Bearb.): Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich im Mittelalter

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Unter Federführung von Eveline Brugger und Birgit Wiedl hat das "Institut für Geschichte der Juden in Österreich" nun den ersten, bis 1338 reichenden Band aus dem bereits 1988 von Klaus Lohrmann und Markus J. Wenninger am damals neu gegründeten St. Pöltener Institut ins Leben gerufenen Projekt zur Erstellung der Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich im Mittelalter publiziert. Mit diesem Band wird erstmals der Versuch unternommen, sämtliche historisch relevanten Schriftquellen zur Geschichte der Juden in Österreich im Mittelalter zu erfassen und in Regestenform zu publizieren. Dies schließt nicht nur rechtsrelevante Dokumente in jeglicher Form ein, sondern auch "historiographische, literarische und theologische Quellen" (8), sofern sie zeitnah entstanden sind und konkrete Hinweise auf Juden bieten. Die seriellen Quellen wurden nicht in das Werk aufgenommen, da diese nicht in der gewählten Darstellungsform präsentiert werden konnten. Es ist zu hoffen, dass sich die bereits angekündigte Edition dieser für weitergehende Recherchen zur Geschichte der Juden innerhalb des Untersuchungszeitraums unverzichtbaren Schriftzeugnisse nicht allzu lange hinauszögert. Dasselbe gilt für die in diesem Rahmen nur zum Teil aussagekräftigen rabbinischen Quellen, die ebenfalls gesondert publiziert werden sollen. Aufgenommen wurden allerdings Urkunden (etwa ein Dutzend unter den insgesamt 456 Nummern) und Dorsalvermerke in hebräischer Sprache. Um diese den des Hebräisch unkundigen Rezipienten - Verfasser dieser Rezension eingeschlossen - zugänglich zu machen, wurde ihnen jeweils eine deutsche Übersetzung beigefügt.

Da der österreichische Raum und seine Bezeichnungen im Mittelalter zahlreichen Wandlungen unterworfen waren, orientiert sich der Untersuchungsraum des Werkes aus pragmatischen Gründen im Wesentlichen am Territorium der heutigen Bundesrepublik Österreich. Dabei wurde jedoch dem Umstand Rechnung getragen, dass persönliche, herrschaftliche oder wirtschaftliche Verbindungen einzelner oder mehrerer Juden ein Ausgreifen über die für das Mittelalter irrelevanten heutigen Grenzen hinweg erforderlich machten. Bezüglich des in der Einleitung nicht explizit thematisierten Untersuchungszeitraums bot sich das Jahr 1338 als Abschluss für den ersten Band insofern an, als weniger die so genannten Pestpogrome, von denen die Juden auf dem Gebiet des heutigen österreichischen Territoriums im Unterschied zu weiten Teilen des Reichsgebietes nur peripher betroffen waren, sondern vielmehr die Judenverfolgungen in Zusammenhang mit der angeblichen Hostienschändung von Pulkau eine deutliche Zäsur in den christlich-jüdischen Beziehungen bildeten.

Die 456 Regesten dieses ersten Bandes umfassen - sieht man von der Raffelstetter Zollordnung des beginnenden 10. Jahrhunderts ab - schriftliche Zeugnisse vom endenden 12. Jahrhundert bis zum Jahre 1338, wobei eine deutliche Verdichtung gegen Ende des Untersuchungszeitraums festzustellen ist (allein 354 Regesten fallen in den Zeitraum ab 1300). Jedem Regest ist ein knappes, fett gedrucktes Kopfregest (jeweils ein möglichst kurzer Satz) vorangestellt, das unabhängig vom Inhalt der behandelten Quelle deren spezifisch "jüdischen" Bezug hervorhebt. Dies kann zwar zu Wiederholungen im Vollregest führen, ermöglicht dem Leser jedoch eine schnelle Orientierung und ist daher generell zu begrüßen. In seltenen Fällen fehlen im Kopfregest allerdings wichtige Informationen zum jüdischen Betreff der Urkunde. [1]

Auf die Anfertigung eines ausführlichen Regestes wurde bei kaum regestierbaren Fragmenten, Judenprivilegien bzw. Judenbestimmungen in Stadtrechten und insbesondere bei narrativen Quellen verzichtet. In der Regel werden hier die gesamten Quellen oder Auszüge davon wiedergegeben. Zur inhaltlichen Vertiefung und zur Erfassung des weiteren Kontextes empfiehlt es sich daher für den Benutzer, die gedruckte Fassung der jeweiligen Quelle oder die entsprechende Archivalie heranzuziehen. Im Falle von umfangreichen, textlich weitgehend übereinstimmenden Urkunden, wie beispielsweise Nr. 39 und Nr. 47, hätte es wohl ausgereicht, lediglich die gegenüber der ersten Fassung differierenden Passagen im zweiten Text abzudrucken. Angesichts der zunehmenden Quellendichte sollte man sich seitens der Herausgeber(innen) die Frage stellen, ob es sinnvoll erscheint, in den noch folgenden Bänden des Regestenwerks die als solche sicherlich verdienstvolle Edition nicht oder nicht vollständig im Druck vorliegender Quellen anzustreben, wie sie in vorliegendem Band beispielsweise für das mehr als siebzehn Druckseiten umfassende Korneuburger Verhörprotokoll von 1305 (125-142, Nr. 133) vorgenommen worden ist.

Stichprobenartige Vergleiche gedruckter Urkunden mit den zugehörigen deutschen Regestentexten zeugen von der editorischen Sorgfalt der Bearbeiterinnen. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, wenn an manchen Stellen innerhalb der Regesten die eine oder andere zentrale Begrifflichkeit in der ursprünglichen Quellenterminologie abgedruckt worden wäre, um Interpretationsschwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. So fragt sich der aufmerksame Leser zum Beispiel bei Regest Nr. 308 unwillkürlich, ob der Jude Meklein (Meclein) in der Vorlage tatsächlich mit dem eher ungewöhnlichen Terminus "Grundholde / Holde" des Jans von Kapellen belegt worden ist. Der jedem Regest beigefügte, sorgfältig bearbeitete und übersichtlich angelegte Anmerkungsapparat informiert über die Aufbewahrungs- und Druckorte der jeweiligen Quellen (einschließlich etwaiger Abbildungen), weitere Regesten sowie die relevante Sekundärliteratur. Ferner werden wertvolle Hinweise vor allem zu den genannten Juden, zu wichtigen Begriffen sowie zu weiteren mit dem Schriftstück inhaltlich zusammenhängenden Dokumenten geboten. Als benutzerfreundlich erweist sich darüber hinaus auch das ausführliche Orts- und Personenregister des typographisch annähernd fehlerfreien Bandes.

Insgesamt gibt der von Eveline Brugger und Birgit Wiedl publizierte Band nicht nur einen hervorragenden Überblick über die Quellen zur Geschichte der Juden in Österreich vom endenden 12. Jahrhundert bis 1338, sondern bietet mit seinen überwiegend ökonomisch orientierten Quellen auch einen reichen Fundus für Wirtschaftshistoriker. Als Bereicherung hat sich auch die Aufnahme zeitgenössischer literarischer Quellen erwiesen, die mitunter wertvolle Aufschlüsse über die christlich-jüdischen Beziehungen zu liefern vermögen. Es ist zu hoffen, dass diesem ersten Band der Regesten zur Geschichte der Juden in Österreich, schon bald der zweite zum Untersuchungszeitraum von 1339 bis 1365 folgen wird.


Anmerkung:

[1] Beispielsweise fehlt in Nr. 15 der Hinweis darauf, dass der Jude Daniel David in Triest ansässig war. In Nr. 81 ist nicht zu erkennen, dass es sich um den Wiener Schulhof handelt. Aus dem Kopfregest von Nr. 90 geht nicht hervor, dass Hatschim ein Regensburger Jude war. Einer der jüdischen Gläubiger aus Regest Nr. 110 kam aus Graz. In Nr. 439 fehlt - im Unterschied zu dem auf denselben Sachverhalt eingehenden Regest Nr. 440 - der für die Interpretation der Quelle zentrale Hinweis darauf, dass die Festlegung der Höchstzinsen für Darlehen der Wiener Juden auf drei Pfennig pro Pfund und Woche nur für die "reichen oder armen, die hie in der stat ze Wienn siczen", galt.

Jörg Müller