Rezension über:

David Wetzel: Duell der Giganten. Bismarck, Napoleon III. und des Deutsch-Französische Krieg 1870-1871. Aus dem Englischen von Michael Epkenhans (= Otto-von-Bismarck-Stiftung. Wissenschaftliche Reihe; Bd. 7), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, 239 S., ISBN 978-3-506-71791-7, EUR 19,90
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Rezension von:
Steffen Bruendel
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld / Gemeinnützige Hertie-Stiftung, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Steffen Bruendel: Rezension von: David Wetzel: Duell der Giganten. Bismarck, Napoleon III. und des Deutsch-Französische Krieg 1870-1871. Aus dem Englischen von Michael Epkenhans, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/6585.html


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David Wetzel: Duell der Giganten

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"Im Vorwort [zur Originalausgabe] wagte ich zu behaupten, dass es sich um die erste detaillierte Beschreibung der Krise auf Englisch handelte, die nach fast vierzig Jahren veröffentlicht wurde", schreibt David Wetzel im Vorwort zur deutschen Fassung seines Buches (9). Wetzel ist ein promovierter Historiker, der 1985 mit einer politikgeschichtlichen Monografie zum Krimkrieg hervorgetreten ist. [1] Er arbeitet in der Verwaltung der University of California, Berkeley, und lehrte dort zeitweise an der Geschichtsfakultät als Visiting Lecturer. Den Anspruch, erstmals seit Jahrzehnten wieder eine detailgenaue Darstellung der Ursachen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 vorzulegen, erhebt Wetzel allerdings nicht für den deutschsprachigen Raum. Vielmehr verweist er auf die neuesten Arbeiten Josef Beckers [2] sowie auf die einschlägigen Werke Eberhard Kolbs [3] und betont, dass seine Studie keineswegs "als Ersatz oder gar Verbesserung der Arbeiten Kolbs" gedacht sei (9). Was also ist das Ziel seiner Studie, die im Jahre 2001 unter dem Titel "A Duel of Giants: Bismarck, Napoleon III, and the Origins of the Franco-Prussian War" veröffentlicht und deren Übersetzung auch von Eberhard Kolb angeregt wurde?

Wetzels Prämisse lautet, "dass die Umstände, unter denen der Deutsch-Französische Krieg entstand, vollständig und nachdrücklich einer deterministischen Geschichtsauffassung wie auch der Meinung widersprechen, dass das Schicksal des Menschen unabhängig von zufälligen oder persönlichen Einflüssen sei und dass es von Kräften bestimmt werde, die jenseits der Einflussmöglichkeiten menschlicher Persönlichkeiten liegen" (15). Es seien vielmehr "klar erkennbare Personen", die "bestimmte Entscheidungen treffen und umsetzen" (ebd.). Ziel seiner Studie ist deshalb, den Konflikt von 1870/71 als "Konfrontation zweier bemerkenswerter Persönlichkeiten auf engstem Raum"(14) zu untersuchen. Hier, wie schon im Titel, zeigt sich Wetzels personengeschichtlicher Ansatz: Bismarck und Napoleon III. sind die "Giganten", deren Handeln den Verlauf der Krise bestimmte. Folgerichtig stehen sie sowie ihr jeweiliges Umfeld im Mittelpunkt der Analyse. Außer den Personenkonstellationen in Berlin und Paris will Wetzel auch die durch die Presse geprägte öffentliche Meinung und die "vorherrschenden Weltanschauungen und Mentalitäten" (9) untersuchen, welche die Regierenden und ihre Diplomaten prägten.

Der Ereignisverlauf wird chronologisch erzählt. Gemäß seinem personalistischen Ansatz beginnt Wetzel in Kapitel I mit einer Vorstellung der Protagonisten: König Wilhelm von Preußen, Bismarck, Napoleon III., Kaiserin Eugénie, Ministerpräsident Emile Ollivier und Außenminister von Gramont (19-50). Im zweiten Kapitel widmet sich Wetzel der Rolle Napoleons III. in der spanischen Revolution von 1868 (51-78) und im dritten der Rolle Bismarcks bei der Hohenzollernkandidatur 1870 (79-113). Das vierte Kapitel gilt den Verhandlungen von Bad Ems (115-160) und das fünfte und letzte - gleichsam als dramaturgischer Höhepunkt - der französischen Kriegserklärung vom 19. Juli 1870 (161-210). In dieses Kapitel lässt Wetzel Reflexionen zu den letzten Entscheidungen am französischen Hofe einfließen (202-204), und er schildert die Ereignisse zwischen dem 15. Juli, der Bewilligung der französischen Kriegskredite, und dem 19. Juli, der Übergabe der Kriegserklärung, als eine Art Epilog zu den eigentlichen Entscheidungen (204-210). Wetzel stützt seine Darstellung auf Archivmaterial aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Spanien und Italien sowie auf die umfangreiche Sekundärliteratur, die er im Anhang auflistet (213-239).

Hervorzuheben ist, dass Wetzel entgegen der verbreiteten Meinung nicht in Bismarck, sondern im französischen Außenminister Gramont und in Ministerpräsident Ollivier die treibenden Kräfte zum Krieg erblickt. Er deutet die Thronkandidatur des Erbprinzen von Hohenzollern-Sigmaringen nicht als Schachzug des preußischen Ministerpräsidenten, mit dem Napoleon III. zum Krieg provoziert werden sollte, sondern als einen Versuch, Frankreich mit der raschen Inthronisation des Hohenzollernfürsten in Madrid abzulenken, um ungestört seine deutschlandpolitischen Ziele zu verfolgen. Bismarcks Annahme, Napoleon III. würde letztlich vor einem Krieg zurückschrecken, erwies sich als Fehlkalkulation. Akribisch arbeitet Wetzel heraus, wie der französische Außenminister sofort nach Bekanntwerden der Thronkandidatur versuchte, nicht nur die Thronbesteigung des Hohenzollern zu verhindern, sondern auch Preußen nachhaltig zu demütigen. Verrannt in das Streben nach solch einem doppelten Prestigeerfolg, begaben sich Gramont und Ollivier auf einen Konfrontationskurs, der entscheidend zur Eskalation der Krise beitrug. Während es Bismarck zunächst vor allem darum ging, Frankreichs diplomatischen Triumph zu schmälern, so Wetzels These, lag die Entscheidung über Krieg und Frieden letztlich in den Händen der französischen Führung: "Die Wahrheit ist, dass die Regierenden in Frankreich in einen Krieg hineintappten, der ihnen nicht unwillkommen war, und Bismarck, obwohl er überrascht war, verwandelte diesen Fehler in einen Vorteil für sich" (210).

Wetzel argumentiert schlüssig - wenngleich man seiner These nicht unbedingt folgen muss -, bietet aber inhaltlich wenig Neues. Sein Verdienst liegt darin, einen komplexen Sachverhalt komprimiert und gut lesbar präsentiert zu haben. Leider endet die Studie abrupt, ohne Resümee oder historisch-systematische Einordnung. Während Wetzel die persönlichen Beziehungsgeflechte der Berliner und Pariser Führungszirkel detailgenau darlegt, bleibt die Analyse struktureller Einflussfaktoren wie der öffentlichen Meinung und der nationalistischen Strömungen in beiden Ländern oberflächlich. Indem Wetzel aber die Einflüsse benennt, denen Napoleon und Bismarck in ihren jeweiligen politischen Systemen ausgesetzt waren, beweist er selbst, dass der Konflikt mehr als ein "Duell" zweier "Giganten" war. Überdies wirkt sein dezidiertes Plädoyer für den Einfluss von Personen in der Geschichte heutzutage, wo selbst Sozialhistoriker in Bismarcks Kanzlerschaft eine "charismatische Herrschaft" sehen [4], wie ein verspäteter Beitrag zu längst ausgetragenen Kämpfen. Gleichviel: Auch wer Wetzels traditionellem Geschichtsverständnis, demzufolge "große Männer" Geschichte "machen", nicht folgt, kann sein Werk als Beispiel einer lebendigen, spannend erzählten Diplomatie- und Ereignisgeschichte würdigen. Wer sich künftig mit der deutschen Reichseinigung und der Geschichte von "1870/71" befasst, hat in Wetzels Monografie eine lesenswerte Einführung.


Anmerkungen:

[1] David Wetzel: The Crimean War. A Diplomatic History. Boulder 1985.

[2] Josef Becker (Hg.): Bismarcks spanische "Diversion" 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungskrieg. Quellen zur Vor- und Nachgeschichte der Hohenzollern-Kandidatur für den Thron in Madrid 1866-1932, 3 Bde., Paderborn 2003-2005.

[3] Eberhard Kolb: Der Kriegsausbruch 1870. Politische Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten in der Julikrise 1870, Göttingen 1970.

[4] Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3. München 1995, 368 ff.

Steffen Bruendel