Rezension über:

Paul Cartledge: Spartan Reflections, London: Duckworth Publishers 2001, 256 S., ISBN 978-0-7156-2933-8, USD 20,00
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Rezension von:
Tassilo Schmitt
Institut für Geschichte, Universität Bremen
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Tassilo Schmitt: Rezension von: Paul Cartledge: Spartan Reflections, London: Duckworth Publishers 2001, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/10431.html


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Paul Cartledge: Spartan Reflections

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Weiteres Nachdenken über Sparta will Paul Cartledge mit der unter dem Titel "Spartan reflections" veranstalteten Ausgabe wichtiger seiner Aufsätze anregen. Er erwartet es allerdings nicht nur von seinem Publikum. Sondern er hat sich auch selbst in die Pflicht genommen: Alle bereits früher veröffentlichten Beiträge - nur der vorletzte liegt erstmals gedruckt vor - sind überarbeitet und werden von kritischen Stellungnahmen eingeleitet, in denen die eigenen Ansichten und die Forschung seit der jeweiligen Erstpublikation gewürdigt werden - souverän und nicht ohne Polemik, Cartledge macht es sich und seinen Mitforschern in der Sache nicht leicht. Denn der Anspruch ist hoch; die Besonderheiten einer schon von den Zeitgenossen als außergewöhnlich eingeschätzten Ordnung sollen möglichst genau verstanden und erklärt werden.

Auf eine allgemeine Einleitung "Sparta-Watching" (3-5) folgen zwei gewichtige Hauptabschnitte zur politischen Struktur, dem politischen Leben und zum politischen Denken ("Polity, Politics and Political Thought", 7-75) und zu Grundfragen von Gesellschaft, Wirtschaft und Kriegführung ("Society, Economy and Warfare, 77-166). Ein kürzerer Schlussteil versammelt zwei sehr unterschiedlich ausgerichtete Arbeiten, von denen die eine das Bild eines lebendigen archaischen Sparta mit eindrucksvollen Werken der Kunst mit dem späteren erstarrten und zum Wunder erklärten kontrastiert und der andere den Namen von Oscar Wildes Protagonisten "Dorian" Gray als eine moderne Fortsetzung der Wirkungsgeschichte Spartas erweist. Knapp 40 Seiten Endnoten sind ein leidiges weiteres Beispiel einer grassierenden redaktionellen Unsitte, ein Stellenindex und ein Namen und Sachen kombinierender "General Index" erschließen die einzelnen Texte und einige Zusammenhänge.

Für die Auswahl war Prominenz in der wissenschaftlichen Diskussion wesentliches Kriterium: Ein Zitationsindex ebenso wie die Erfahrung eines Spezialisten, der dieses Thema seit über 30 Jahren traktiert, sorgen dafür, dass die retractationes sich stets wesentlichen Fragen widmen. Das zeigen auch ohne Weiteres die Titel, sei es, dass es um das Verhältnis von "city and chora" im diachronen Überblick, um den Ort Spartas in der Entwicklung des griechischen Stadtstaates, um die Alphabetisierung, das Königtum oder die spartanische Gleichheit geht. Im zweiten Hauptabschnitt werden ebenso relevante Themen wie die Erziehung, die Päderastie, Frauen, Heloten und Krieger zum Gegenstand des Interesses.

Obwohl Sparta immer im Zentrum der Betrachtungen steht, werden doch fast immer auch allgemeinere Fragen der griechischen Geschichte oder der Geschichtswissenschaft überhaupt behandelt. Offenheit für theoretische Neuansätze und systematische Vergleiche kennzeichnen jede der Studien und tragen dazu bei, dass hier alles andere als eine antiquarische Sammlung lakonischer Spezialitäten vorliegt. Weil alle methodischen Angebote aus Sozial- und Kulturwissenschaften den Praxistest bestehen müssen und weil die Vergleiche auf den Unterschied zielen, werden als Resultate eben nicht nur bedenkenswerte Thesen über Sparta aufgestellt, sondern es wird zugleich deutlich, wie die Kenntnis der antiken Befunde das Repertoire historischer Forschung insgesamt vergrößert.

Cartledges Maieutik bei der "Geburt des Hopliten" (153-166), die hier exempli gratia vorgestellt sei, bedient sich zunächst eines vertrauten Ärtzekoffers, in dem sich die Sonde "Krieg" als Mittel findet, den Weg für weiterreichende sozial-, mentalitäts- und kulturgeschichtliche Erkenntnisse zu öffnen. Dann aber werden die traditionellen Instrumente erst einmal zur Seite gelegt: Die Quellen seien nicht klar genug, es helfe nur historische Modellbildung. Dabei waltet keine Willkür: Eine knappe Profilierung der Positionen der Forschung, die polarisiert sei zwischen Vertretern der These einer Hoplitenrevolution und solchen, die eine allmähliche Entwicklung des Militärischen ohne tief greifende Auswirkungen für die soziale Ordnung annehmen, schärft den Blick und erlaubt präzise Schnitte: Obwohl Homers Darstellung für spätere Griechen ein verführerisches und verführendes Identifikationsangebot enthalten habe, dürfe der moderne Forscher die Unterschiede nicht übersehen und müsse vor allem die Künstlichkeit der homerischen Darstellung berücksichtigen. In diese gingen umgekehrt aber realistische Details ein. Zu ihnen gehöre die Massenschlacht, die aber keine Hoplitenschlacht sei. Nach diesen philologisch-historischen Vorbereitungen, wendet sich Cartledge archäologischen Befunden zu, beobachtet militärtechnische Erfindungen (Schild) und erschließt, dass diese seit ca. 700 den Massenkampf effektiver führen ließen. Notwendig sei dies geworden, um den Schutz von Ackerland zu gewährleisten, wirksam aber, weil es zur Fähigkeit und Bereitschaft einer genügend großen Zahl von Männern geführt habe, sich selbst zu bewaffnen. Dabei habe sich auch die Mentalität verändert. Zur Kontrolle blickt Cartledge noch einmal zurück: Der abhängige, machtlose und einförmige Demos bei Hesiod habe nicht aus Hopliten bestanden, die Stadt als Vereinigung von Bürgern noch ausgestanden.

Bei den Analysen der Päderastie (91-105) und der Rolle der Frauen (106-126) betont Cartledge jeweils, wie antike und moderne Vorurteile die Phänomene verdunkeln, lehnt es aber auch ab, stattdessen ohne Weiteres ethnologische Erkenntnisse direkt zu übertragen. Hier, wie auch bei der Auseinandersetzung mit der Helotie (127-152), erlaubt es der Blick über den Gartenzaun der eigenen Disziplin vielmehr, Zusammenhangsvermutungen einerseits zu formulieren, andererseits aber in Rücksicht auf die jeweils spezifischen Bedingungen auch sofort zu relativieren - und damit zugleich die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit des Zusammenhangs anzuregen. Ein ähnlich doppelsinniges Ergebnis folgt aus der Untersuchung des Grades der Alphabetisierung der Spartaner, der in der archaischen Zeit hoch, aber ohne Folgen für das politische System gewesen sei (39-54). So muss man moderne Alte Geschichte treiben.

Es sind zahlreiche solche in verschiedene Richtungen weiterführende Überlegungen, die es fast beckmesserisch erscheinen lassen, auf gelegentlich eigenartige Fehleinschätzungen hinzuweisen. Ein Beispiel ist die Aussage, dass man das "city-chora-relationship" aus Mangel an Quellen nur für Sparta und Athen genauer beschreiben könne (13): Würde sich nicht auch das reiche epigrafische Material aus Rhodos für kontrastierende Analysen eignen?

In seinen "reflections" entwirft Cartledge ein Bild von Sparta, das seine klassische Zeit in der archaischen gehabt habe. Die Erstarrung und der Menschenmangel als langfristig wirkende Faktoren des Niedergangs werden als Folgen einer exklusiven Sozialordnung gedeutet, zu deren Kern die Ausgrenzung und Ausbeutung der Heloten - und deren immer währende Feindschaft gehörte. Nicht alle werden dem insgesamt oder im Einzelnen zustimmen. Aber wer widerspricht, muss sich auf ein "struggle" mit Cartledge einlassen, der dafür wohl gerüstet ist.

Tassilo Schmitt