Rezension über:

Dirk van Laak: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert (= Beck'sche Reihe), München: C.H.Beck 2005, 229 S., ISBN 978-3-406-52824-8, EUR 14,90
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Rezension von:
Martin Kröger
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Martin Kröger: Rezension von: Dirk van Laak: Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München: C.H.Beck 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 1 [15.01.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/01/9368.html


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Dirk van Laak: Über alles in der Welt

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Jede Wissenschaft ist bemüht um möglichst eindeutige und klare Begriffe. Hin und wieder werden sie zwar revidiert. Im Allgemeinen vermitteln sie gleichwohl eine auf Dauer angelegte gemeinsame Vorstellung von den Sachverhalten, um die es geht. Imperialismus ist so ein Begriff. Seit sehr langer Zeit schon operiert man mit ihm, und konnotiert damit ein recht genaues Bild von dem, was die Merkmale dieses Begriffes sind, verknüpft einen bestimmten Inhalt mit ihm und hat ein klares Verständnis von dem Gegenstand, auf den er sich bezieht. Will man hier Revision schaffen, muss man genauer werden, nicht unbestimmter. Hierin besteht der Grundfehler in Dirk van Laaks Buch über den deutschen Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert. Er versteht Imperialismus als "herrschaftlichen Versuch der Weltaneignung, der das Eigene möglichst vorteilhaft mit dem Fremden in Beziehung zu setzen versucht und dabei die eigene Überlegenheit ausspielt" (12). So definiert wird verständlich, warum lediglich rund 40 Seiten von deutscher kolonialer Expansion handeln, der Rest aber von Alexander von Humboldt, von Geografen, Weltreisenden, Historikern und Publizisten, von expansiven Fantasien während des Ersten Weltkriegs, von Kolonialtraditionalisten, Hitlers Vernichtungskrieg in Osteuropa, Albert Schweitzer, deutschem Export, von Entwicklungshilfe und Touristen (- die suchen auch bloß ihren Platz an der Sonne).

Es ist nun keineswegs so, als wäre das alles uninteressant oder nicht berichtenswert, den Leser beschleicht indessen mit der Lektüre zunehmend das Gefühl, dass neuerdings alles Imperialismus ist, nur nicht mehr das, was er früher dafür gehalten hat. Man ist fast froh die deutschen Kolonien überhaupt mit Namen benannt zu finden. Wichtige Ereignisse sind beiläufig erwähnt, viele fallen ganz unter den Tisch. Keine Rolle spielen mehr die interessanten Fragen nach den ökonomischen Erwartungen und Realitäten, nach den Interessen der großen Handelshäuser, den Entwicklungswünschen indigener Eliten, den men on the spot, den Politikern in den Metropolen, den Entscheidungsprozessen und den Handlungsspielräumen in einer als agonal aufgefassten Welt.

Der Autor thematisiert zunächst den intellektuellen Vorlauf imperialistischer Expansion. Es seien die Arbeiten von Naturwissenschaftlern, Kartografen und Historikern gewesen, die, vermengt mit dem allgemeinen Wissen um die eigene nationalstaatliche Geschichte und der menschlichen Faszination für alles Fremde und Ferne, innerhalb einer männlichen Minderheit "von ausgeprägtem Potenzgehabe" einen spezifisch imperialistischen Denkstil erzeugten. Sozialdarwinistisch überformte Verlaufsmodelle der Geschichte hätten in diesem Milieu das Gefühl wachsen lassen, den globalen Zivilisationsprozess befördern zu können und dies auch zu sollen. So teilten schließlich die zur Erschließung fähigen europäischen Kulturnationen die Räume und Ressourcen der Erde unter sich auf. Folgt man van Laak, dann ist das politische Denken in Deutschland von 1871 bis 1990 geprägt gewesen von Revisionismus und dem Streben nach Weltgeltung. Die geografische Mittellage Deutschlands habe die Imperialisten ganz besonders herausgefordert. Statt die Brückenfunktion zwischen West und Ost zu erkennen, hätten sie einzig die Gefahr des Zweifrontenkrieges gesehen. Nur eine Weltmacht würde solche Bedrohungen ein für alle Mal hinter sich lassen. Der Versuch dies mittels imperialistischer Expansion zu erreichen, scheiterte mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg.

Immerhin stellt der Verfasser fest, dass "keineswegs die gesamte deutsche Bevölkerung vom Geist des expansiven preußischen Militarismus durchdrungen" war (181). Mithin steht die Weimarer Republik ein wenig auch für den Verständigungswillen mancher ihrer Repräsentanten. Insgesamt wird sie aber als eine Zeit des Übergangs dargestellt. Zwar waren nach dem Weltkrieg die Kolonien weg, und mit ihnen die Möglichkeit, außenpolitischen Bedeutungsverlust oder innenpolitische Probleme durch Engagement in Ausweichräumen zu kompensieren. Mit der Volkstumsarbeit, der Vertretung der Interessen deutscher Minderheiten in aller Welt, verschaffte man sich jedoch rasch ein politisches Surrogat für die Kolonialpolitik und ein Arbeitsfeld für Imperialisten. Von hier zum Konzept des mitteleuropäischen Großwirtschaftsraumes ist es bloß ein kleiner gedanklicher Schritt gewesen.

Alle wesentlichen Ideologeme des Nationalsozialismus, so interpretiert van Laak, sind die radikalisierten Varianten herkömmlichen imperialistischen Denkens. Der Expansionismus der NS-Zeit habe sich von dem des Hochimperialismus lediglich unterschieden durch den eliminatorischen Charakter des Rassismus und dessen Primat für alles staatliche Handeln. Hitlers imperialistischer Impuls habe die Welt tatsächlich grundlegend neu gestaltet, wenn auch anders als beabsichtigt. Eine Folge des Weltkriegs war die deutsche Teilung, eine andere der Beginn der Dekolonisation. Zwangsweise war Deutschland das Land, welches zuerst keine Kolonialpolitik mehr praktizierte, weshalb es von manchen politischen Wechselfällen verschont geblieben sei. Stattdessen habe sich Deutschland, so van Laak, auf einen informellen Imperialismus des Außenhandels verlegt. In der Kapitelüberschrift heißt das dann "Nach 1945: Vom 'nehmenden' zum 'gebenden' Imperialismus" (156). Ein alter Vorwurf in modernem Gewand. Folgerichtig hält es der Autor für abwegig, in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine neue Idee zu sehen.

Van Laak beschreibt viele Phänomene, die alle irgendwie mit dem Wort Imperialismus zusammengeführt, und sei es zusammengezwungen, werden können. Er verwischt dabei die begrifflichen Grenzen von Imperium / imperial auf der einen und Imperialismus / imperialistisch auf der anderen Seite. Das erscheint mir kein lohnender Weg der Forschung. Es ist dem Verfasser "wesentlicher, darauf zu achten, wie etwas auf- und wahrgenommen wurde, als es sich bei nüchterner Sichtung der Fakten darstellte" (104). Mir ist es anders lieber.

Martin Kröger