Rezension über:

Christopher A. Frilingos: Spectacles of Empire. Monsters, Martyrs, and the Book of Revelation (= Divinations: Rereading Late Ancient Religion), Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2004, 184 S., ISBN 978-0-8122-3822-8, GBP 23,00
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Rezension von:
Ulrich Lambrecht
Institut für Geschichte, Campus Koblenz, Universität Koblenz-Landau
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Lambrecht: Rezension von: Christopher A. Frilingos: Spectacles of Empire. Monsters, Martyrs, and the Book of Revelation, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/8112.html


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Christopher A. Frilingos: Spectacles of Empire

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In einer relativ knappen, mehr Grundlinien des methodischen Zugangs und entsprechende Einzelinterpretationen skizzierenden denn die Apokalypse des Johannes als Ganze in den Blick nehmenden Untersuchung präsentiert Christopher A. Frilingos, in welcher Weise Szenarien, die im letzten Buch des Neuen Testaments geschildert werden, der römischen Lebenswelt zur Zeit des Prinzipats verhaftet sind - speziell in Kleinasien, an dessen Christen sich die Offenbarung ursprünglich richtete. Damit wendet er sich gegen den Ansatz, die Visionen des Johannes als konkrete Kritik an dem römischen Herrschaftssystem oder gar unter dem Eindruck einer angeblichen Christenverfolgung unter Domitian bzw. der unter Nero zu lesen [1], und betont stattdessen "Revelation as an expression of Roman culture", wobei "the Greek romance, the Roman arena, and even the imperial cult" (12, beide Zitate) einbezogen sind. Eine bedeutende Rolle spielen für Frilingos dabei 'Sichtweisen' im Allgemeinen wie im Speziellen, allgemein, was die Reziprozität des Sehens und Gesehenwerdens auf Zuschauer und Akteure hinsichtlich der Folgen für das Verhalten dieser Gruppen (Vereinnahmung des Publikums, Rollentausch) angeht, speziell, wie sich im Zusammenhang damit geschlechterbezogene Interpretationsansätze auf Zugänge zu den angesprochenen Quellen und ihre Entschlüsselung auswirken.

Im ersten Kapitel ("Gods, Monsters, and Martyrs") ordnet Frilingos in aller Kürze seinen Ansatz in die aktuelle englischsprachige Literatur zur Offenbarung ein. Methodisch orientiert ist das Buch an Michel Foucaults kulturgeschichtlichem Ansatz. Zudem weiß sich Frilingos den imperialismuskritischen Studien von Edward Said und Homi K. Bhabha [2] besonders verpflichtet, deren Leistungen für seinen Zugang aber nur umrisshaft klar werden.

Dreh- und Angelpunkt für Frilingos' Interpretationen zu bestimmten Offenbarungsszenarien ist das antike Sehen und Gesehenwerden, sich daraus ergebende Sehbeziehungen und Sichtweisen, der fiktive oder tatsächliche Rollentausch zwischen Akteuren und Zuschauern, mithin die Einflüsse von Show und Spiel auf das "wirkliche" Leben, zum Beispiel die mentale Verfassung einer Gesellschaft unter der Einwirkung - verführerischer - optischer Reize und ihrer Verarbeitung (Kapitel 2: "Merely Players"). Shows aller Art und ihre Wirkungsweisen auf Denken und Fühlen, Anschauungen, Identifikationsmuster und Interpretationen im Lichte emotionaler Beeinflussung in der Antike, das interessiert Frilingos, der diese Maßstäbe für das Verstehen von Suggestion durch nonverbale Kommunikation nutzt und mit ihrer Hilfe bislang häufig verborgen gebliebene Sinngehalte antiker Texte erschließen will. Als Beispiele hierfür zieht Frilingos den Kaiserkult in Kleinasien und antike Arena-Aufführungen - Tierhetzen, öffentliche Hinrichtungen, Gladiatorenkämpfe - heran und geht ihren kommunikativen Wirkungen auf die Zuschauer nach, unter anderem der Verwischung von Grenzen zwischen Show und Wirklichkeit. Rom bringe auf diese Weise dem Publikum auch im Osten des Reiches sein Selbstverständnis nahe und zeige im "Schauspiel" seine alle Bereiche erfassende weltbeherrschende Stellung.

Diese Aspekte werden im dritten Kapitel ("A Vast Spectacle") exemplifiziert, wobei die Offenbarung in das Thema des "Sehens" in der antiken Literatur eingeordnet wird. Hierzu zieht Frilingos antike Wundergeschichten, die "Thaumasia" des Phlegon von Tralleis, heran, welche die Vorstellungskraft des Zuhörers oder Zuschauers herausfordern. Aus dem Erstaunen erregenden Schauen (thaumazein) ergibt sich "a sustained dynamic between extratextual audience, narrative spectator, and narrative spectacle" (49). Visualisierung hat Emotionen zur Folge: Begeisterung, Misstrauen, Kommunikation zwischen Objekt und Zuschauer mit der Gefahr, der visuellen Versuchung durch Identifizierung zu erliegen. Das veranschaulicht Frilingos an Beispielen aus der Offenbarung wie dem Fall Babylons (Apk 17 f.), des Symbols für das dem Untergang geweihte Römische Reich, und der Reaktion seiner Sympathisanten, die Teil des Untergangsszenariums werden, womit auf die im Sehen liegenden Gefahren der Vereinnahmung durch die falsche Seite hingewiesen wird.

Das vierte Kapitel ("As If Slain") erweitert die Untersuchungsaspekte in Richtung auf Sehbeziehungen und Sichtweisen im Zusammenhang mit geschlechterspezifischen Verhaltensmustern. Demzufolge gelten aktives Verhalten und Selbstbeherrschung als männlich, passives Verhalten als weiblich, und Frilingos zeigt an Beispielinterpretationen Bestätigungen und ambivalente Sichtweisen auf. Die männlich-weibliche Grundkonstellation und damit zusammenhängende Problemen werden an dem Roman "Daphnis und Chloe" des Longos dargestellt, die Umkehrung dieses Rollenverhaltens bei Photis und Lucius in dem Eselsroman des Apuleius. Die Verschiebung männlich-weiblicher Geschlechterrollen wird sodann an der zentralen Offenbarungsgestalt des "wie geschlachtet" dastehenden Lammes (Apk 5,6) untersucht, das angesichts seiner Passivität und Wunden einen im antiken Sinne weiblichen Charakter, zugleich aber durch die ihm zuerkannte Herrschaft und Selbstkontrolle männliche Züge zeigt. Damit werde, so Frilingos, die antike Männlichkeitsvorstellung umgewertet und problematisiert, erst recht dadurch, dass das Lamm an anderen Stellen der Offenbarung Aktivität und Männlichkeit aufweise, zum Beispiel durch seine auf Herrschaft und Unterwerfung gerichtete "optical power" (82). Das Lamm mit seiner "arrested masculinity" (78) ist ambivalent in seinen Sichtbeziehungen: als Zuschauer ebenso wie als Objekt des Schauspiels.

Im fünften Kapitel ("Wherever the Lamb Goes") werden in Fortsetzung der herrschafts- und geschlechterspezifischen Interpretationen weitere Sehbeziehungen verdeutlicht. Frilingos spricht ambivalente Sehweisen unter dem Problem der Männlichkeitsvorstellungen der antiken Welt an: in der Beschreibung des Gemäldes der Andromeda und des Prometheus vom Zeus-Tempel in Pelusion in der Geschichte des Achilleus Tatios über Leukippe und Kleitophon, und zwar innerhalb der Bilder ebenso wie zwischen äußerem Betrachter und dargestelltem Objekt, sodann anhand des Berichtes über die Märtyrer von Lyon (Eusebios, Kirchengeschichte 5,1,3-63) und der Erzählung von den jüdischen Märtyrern im vierten Makkabäerbuch. Derartige Sichtweisen repräsentieren für ihn auch die Darstellung Babylons sowie des Tieres aus dem Meer und des Tieres aus dem Land in der Offenbarung, die vordergründig männlich, weil mächtig und bedrohlich erscheinen, in Wirklichkeit aber keine Selbstbeherrschung zeigen und unterlegen sind, also weibliche Züge tragen. Das gilt ebenfalls für die Abweichler vom Christenglauben in den religiös vielfältigen kleinasiatischen Städten zu Beginn der Offenbarung (Apk 1-3), die Johannes, wie das Beispiel Isebel (Apk 2,20-22) zeigt, mit weiblichen Zügen ausstattet. Hierdurch und in anderen Beispielen wirken geschlechterbezogene Verhaltensweisen und ihre Wahrnehmung in der auf den ersten Blick so statisch erscheinenden römisch geprägten Kultur unter dem Druck der Ereignisse veränderlich; so werden Rollenerwartungen im Lichte einer Qualitätsbegutachtung problematisiert (Kapitel 6: "Epilogue: A Well-Known Story").

Interessant und weiterführend ist das Buch vor allem, weil es die Offenbarung konsequent in die antike Literatur einreiht und Vergleiche zieht, rätselhafte Inhalte zwar nicht zu entschlüsseln, aber doch sinnvoll in solche Kontexte zu stellen weiß, die zu verstehen helfen: griechische und römische Schriften des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr., jüdische und christliche Märtyrerberichte. Dabei wird die Apokalypse des Johannes weder theologisch noch religionswissenschaftlich, vielmehr in erster Linie mentalitätsgeschichtlich auf eine Weise in den Blick genommen, dass sie "as a cultural product of the Roman Empire" (5) zu erkennen ist.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Frilingos: Spectacles of Empire, 2 f.; 121, Anm. 8. Ulrike Riemer: Das Tier auf dem Kaiserthron? Eine Untersuchung zur Offenbarung des Johannes als historischer Quelle (= Beiträge zur Altertumskunde; 114), Stuttgart / Leipzig 1998, ist Frilingos unbekannt. - In der Domitian-Darstellung Suetons aber vornehmlich monströse Züge zu sehen (vgl. Frilingos 92; 115), ist übertrieben; vgl. Ulrich Lambrecht: Suetons Domitian-Vita, in: Gymnasium 102 (1995), 508-536.

[2] Vgl. Edward Said: Orientalism, New York 1978; Homi K. Bhabha: The Location of Culture, New York 1994.

Ulrich Lambrecht