Rezension über:

Volker Hirsch: Der Hof des Basler Bischofs Johannes von Venningen (1458-1478). Verwaltung und Kommunikation, Wirtschaftsführung und Konsum (= Residenzenforschung; Bd. 16), Ostfildern: Thorbecke 2004, 349 S., ISBN 978-3-7995-4516-7, EUR 44,00
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Rezension von:
Paul-Joachim Heinig
Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Paul-Joachim Heinig: Rezension von: Volker Hirsch: Der Hof des Basler Bischofs Johannes von Venningen (1458-1478). Verwaltung und Kommunikation, Wirtschaftsführung und Konsum, Ostfildern: Thorbecke 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 10 [15.10.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/10/8432.html


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Volker Hirsch: Der Hof des Basler Bischofs Johannes von Venningen (1458-1478)

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Die seit einem guten Jahrzehnt blühende Hof- und Residenzenforschung wird durch eine Dissertation über die Kurie eines Basler Bischofs des ausgehenden Mittelalters bereichert. Von den vielfältigen Erschließungsmöglichkeiten, die dieses kardinale Sujet der Vormoderne bietet, führt sie wegen der Gunst der Überlieferung eine nicht eben häufig genutzte exemplarisch vor. Denn entsprechend ihrer Siegener Herkunft stützt sie sich überwiegend auf die Rechnungen und ist auch in den Fragestellungen den im weitesten Sinn alltagsgeschichtlich orientierten Aufsätzen verpflichtet, die sich seit 1992 mit Venningen befasst haben. [1] Die straff, ja einförmig systematisierende und fast durchgängig spröde, gelegentlich auch ungelenk formulierte Bestandsaufnahme ist zwar nichts, was sich wegen seiner gedanklichen Tiefe und / oder seiner stilistischen Subtilität literarisch genießen ließe. Aber die "sortierte" Ausbreitung zahlloser Details vermittelt doch willkommene Aufschlüsse über die Gewohnheiten der Ernährung und Bekleidung, der Baukosten und -materialien, der Versorgung, der Räumlichkeiten, des Wohnkomforts etc. Dieses Material sollte auch deshalb nicht nur als Datensteinbruch rezipiert werden, weil die Arbeit darüber hinaus konsequent auf das Ganze von Hof und Residenz fokussiert ist.

Dabei wird in fünf Hauptabschnitten [2] eine Individualität erhellt, die das zumindest unterschwellig vorherrschende Bild vom repräsentativen fürstlichen Hof beträchtlich korrigiert und erweitert: Weil Venningens "Hofstaat" (zu dem das Personal des geistlichen Hofes nicht rechnete) mit durchschnittlich 15 Personen geradezu winzig war, handelte es sich eher um einen Großhaushalt ungezwungener Familiarität (293). Zwangsläufig war die mit diesem identische Zentralverwaltung des Hochstifts im Unterschied zu der klarer gegliederten Territorialverwaltung gering differenziert und institutionalisiert, es herrschten personelle Multifunktionalität und ein "Höchstmaß an Flexibilität und Improvisation" (292). Zusammengehalten wurde dieser Hof nicht durch Dienstverträge und Vergütungsansprüche, sondern durch die Bindungen der Höflinge an den Bischof, der bis in kleinste Details ein persönliches Regiment ausübte und dessen Einstellungen und Vorlieben einschließlich seiner offenbar ernsthaften geistlichen Grundhaltung diese karge Struktur maßgeblich geprägt haben mögen. Sein "alter Ego" war als Kanzler zugleich der wichtigste (ebenso wie die anderen nicht besoldete) Amtsträger, der ohne Unterstützung weiterer "Hauptamtlicher" nicht nur den Schriftverkehr bewältigen, sondern gemeinsam mit seinem Herrn auch die Finanzverwaltung überwachen und überdies als Diplomat auf Reisen gehen musste. Zumal es offenbar keine Frauen, Künstler, Musiker, Narren u. Ä. gab, sondern nur pro forma noch einen meist absenten weltlichen Hofmeister, verwundert es nicht, dass dieser Hof den regionalen Adel weder anzog noch befruchtete. Überhaupt ergibt sich aus der Durchmusterung der Rechnungen unter dem Aspekt des "Gabentausches" und der übrigen Außenkontakte, dass der Bischof dem angeblichen Systemzwang einer sozial bekundeten Freigebigkeit [3] nicht genügt hat und zusammen mit seinem Hof nur marginal in die (über-)regionalen Kommunikationsnetze eingebunden war.

Von den individuell-mentalen und strukturellen Ursachen der Selbstgenügsamkeit, ja Isolation, dieses Hofes und seiner gesamten Kargheit wird das hohe und notorische "Staatsdefizit" ausdrücklich in den Blick genommen. Obwohl der Bischof keinem ausschweifenden Lebensstil huldigte und zu wirtschaften verstand, obwohl er neue Einnahmequellen erschloss und sogar mit seinem Privateigentum aushalf, verringerte er nicht die Verschuldung, sondern setzte eine einzige territorialpolitische Investition ins Werk: den 1461 getätigten Rückkauf der Herrschaft Pruntrut [4], wo ab 1464 mit dem in Einzelelementen sogar luxuriösen Ausbau des Schlosses, einer Personalvermehrung und der Änderung der Wirtschaftsform vom "Amtshaushalt" zum bischöflichen "Eigenhaushalt" eine Residenzbildung [5] einsetzte, die vier Jahre später abgeschlossen war.

Es spricht vieles für die Richtigkeit der Vermutung, die Kurie Venningens sei paradigmatisch für einen "kleineren fürstlichen Haushalt" (296), der sich stark unterschied von den gern in den Blick genommenen großen Höfen weltlicher, aber auch geistlicher Fürsten wie Burgund oder Kurtrier. Mittelalterliche Verhältnisse zeichnen sich normalerweise tatsächlich durch Kleinheit, Begrenztheit, Undifferenziertheit etc. aus. Dennoch möchte man aus zwei Gründen noch nicht vorbehaltlos zustimmen. Erstens wegen der methodischen Probleme der Hofrechnungen. Hirsch ist sich sehr bewusst, dass diese längst nicht alle Ausgaben des Hofes enthalten, sodass er gelegentlich auch andere Quellen - z. B. Dienerverzeichnisse - herangezogen hat. Dennoch fragt sich, ob er alles das gefunden hat, was die Rechnungen nicht ausweisen.

Und zweitens, weil Hirsch nur achselzuckend konstatiert, dass "die Sonderrolle und die Sonderformen der geistlichen Höfe bisher noch nicht systematisch untersucht wurden" (297), seine eigene Darstellung aber nicht allzu stark in diese Richtung fortentwickelt. So kommen nicht nur die mentalen Grundlagen des Bischofsamts und des Wirtschaftens (etwa 29 f.) sowohl argumentativ als auch im Literaturkanon zu kurz [6], sondern bleibt auch der Blick auf parallele oder vergleichbare Bistümer sporadisch [7]. Dem entspricht, dass etliche Ausführungen auf einem propädeutischen Niveau verharren, etwa wenn die Genese der Domkapitel aufgrund der Rechtsgeschichte von Hans Erich Feine skizziert wird (66 f. mit Anm. 170) oder die Viten der Domherren einzig nach Rudolf Wackernagel und Gerhard Fouquet kompiliert werden (69 f.). [8] Überhaupt Wackernagel: Mag dessen große Darstellung der Basler Geschichte aus den Jahren 1907-1924 für alle historischen Daten immer noch unentbehrlich sein, so sollte doch möglichst nicht zugleich jedes seiner historischen Urteile - wie z. B. dasjenige über die "Unsittlichkeit der Klöster" (93) - unkritisch kolportiert werden. Zumal wenn begründeter Widerspruchsgeist gelegentlich durchaus hervorblitzt und etwa die These Werner Röseners, die mittelalterlichen Höfe seien durch die Inhaber der erblich gewordenen Lehenämter maßgeblich geprägt und repräsentiert worden, harsch zurückgewiesen (49) oder die gängige Meinung bezüglich der finanziellen "Dezentralisierung" - auch beim Botenwesen - revidiert wird (103 f., 113).

So handelt es sich alles in allem um eine bereichernde, partiell kritische und solide Phänomenologie einer überraschend einfach strukturierten höfischen Individualität auf der Basis ihrer Rechnungsüberlieferung, die das Desiderat einer notwendigen Fixierung des Durchschnitts geistlicher Höfe überdeutlich hervortreten lässt. [9] Methodisch ist sie eines der leider zu seltenen praktischen Beispiele dafür, wie unsinnig die eingangs (16) etwas übertrieben konstatierte "Stigmatisierung" Karl Lamprechts war, die zum Glück längst überwunden ist.


Anmerkungen:

[1] Diese sind aufgelistet auf http://www.computatio.de unter "regional" - "Schweiz" - "Basel".

[2] Verwaltung (43-82), Kommunikation (83-120), Wirtschaftsführung (121-228 über die Amts- und Eigenhaushalte, 229-270 über das Bauwesen) und Konsum (271-289).

[3] Dass sich die bis heute anhaltende "bürgerliche Geschenkkultur", durch welche die feudale abgelöst worden ist, durch das Fehlen der Erwartung einer Gegengabe und durch Interesselosigkeit auszeichnet (87), halte ich für eine Fama.

[4] Auch Hirsch vermag die letzten Details der einschlägigen Transaktion nicht zu klären.

[5] Dem im ersten Teil des Kapitels über die Wirtschaftsführung (121-228) begründeten und auf Seite 294 wiederholten Vorschlag, die Unterscheidung zwischen einem "Amtshaushalt" (Amtssitz), wo der Bischof nur Gast und Kostgänger des jeweiligen Verwalters (Schaffner etc.) war, und einem von ihm in eigener Regie betriebenen und finanzierten "Eigenhaushalt" - zumindest bei kleineren Höfen - dem Kriterienbündel für das Vorhandensein einer Residenz hinzuzufügen, kann man nur zustimmen.

[6] Siehe etwa Seite 31 die Thematik vom Domänen- zum Steuerstaat oder die Frage der allgemeinen landesfürstlichen Verschuldung.

[7] Die Spezifik des Hofes wird vor dem Zerrbild angeblichen "Prunk und Protzes" anderer, bisher schon durchleuchteter Höfe entwickelt. Das Vergleichsraster nennt aber immer wieder nur Burgund, Kurtrier, Speyer etc. und lässt sogar einen Inner-Basler Vergleich vermissen. Überhaupt hält sich Hirschs Ehrgeiz, einer ins Allgemeine drängenden Frage umfassender nachzugehen, in engen Grenzen, siehe z. B. die unsere reichen Kenntnisse über dieses Amt nicht ausschöpfenden Ausführungen über den Kanzler (55 passim).

[8] Aus der Fülle der Namen sind einige offenbar unvertraut, so Seite 91 Francesco de Todeschini-Piccolomini, der in deutschsprachigen Quellen regelmäßig als Kardinal Senensis (= von Siena) bezeichnet wird, und gleich danach der Freisinger Dompropst Ulrich Ryrdern (= Riederer). Der Erzbischof von Mainz sollte nicht zum Bischof (62, 92), der Pfalzgraf bei Rhein nicht zum Grafen (96) degradiert werden.

[9] Der Gesamtzusammenfassung (291-297), in dem dies noch einmal betont wird, schließt sich noch ein Anhang (299-349) an, welcher nicht nur das Quellen- und Literaturverzeichnis und ein um einige Sachbegriffe bereichertes Personen- und Ortsregister enthält, sondern auch ein Verzeichnis der Währungen, Maße und Gewichte sowie - als wesentliche methodische Grundlage der gesamten Arbeit - einen respektive den "Standard-Kontenplan".

Paul-Joachim Heinig