Rezension über:

Thomas Mutschler: Haus, Ordnung, Familie. Wetterauer Hochadel im 17. Jahrhundert am Beispiel des Hauses Ysenburg-Büdingen (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte; 141), Darmstadt: Hessische Historische Kommission Darmstadt 2004, 311 S., 9 Abb., ISBN 978-3-88443-095-8, EUR 24,00
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Rezension von:
Vinzenz Czech
Universität Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Vinzenz Czech: Rezension von: Thomas Mutschler: Haus, Ordnung, Familie. Wetterauer Hochadel im 17. Jahrhundert am Beispiel des Hauses Ysenburg-Büdingen, Darmstadt: Hessische Historische Kommission Darmstadt 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 10 [15.10.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/10/7965.html


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Thomas Mutschler: Haus, Ordnung, Familie

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Seit einigen Jahren sind die zahlreichen reichsständischen Grafen- und Herrengeschlechter und deren Stellung im Alten Reich erfreulicherweise stärker in das Blickfeld der Forschung geraten. Das Bild dieser zumindest zeitweise geschlossenen Gruppe ergänzt nun die von Thomas Mutschler vorgelegte Studie um eine weitere Facette. Im Mittelpunkt seiner am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften in Gießen entstandenen Dissertation steht mit dem Haus Ysenburg-Büdingen eines der zentralen Geschlechter des Wetterauer Hochadels.

Der Autor versteht seine Untersuchung als "eine Kombination von familienbiografischer Darstellung mit kulturgeschichtlicher Fragestellung" (18). Die Ausgangsbasis bilden für ihn dabei die Kategorien "Haus", "Ordnung" und "Familie", die er zur Grundlage für die Betrachtung der Familiengeschichte der Grafen und deren Existenz im Alten Reich nimmt. Zeitlich beschränkt er sein Thema auf die Generation um den Grafen Wolfgang Ernst von Ysenburg-Büdingen (1560-1633) und dessen Kinder, einer für die Grafen entscheidenden Phase in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Aufgrund des methodischen Zugangs ist die Arbeit in zwei große Bereiche gegliedert. So werden im ersten Teil die Normen des Hauses betrachtet, deren Wirkung dann im zweiten Teil an der Realität gemessen werden soll. Auf diese Weise versucht der Autor, der immer wieder festzustellenden Diskrepanz zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit zu begegnen.

Bei den im ersten Teil ("Das Haus und seine Normen") in eigenen Kapiteln ausführlich untersuchten normativen Quellengruppen handelt es sich im Einzelnen um "Erziehungsinstruktionen", "Eheverträge", "Hausgesetze" sowie "Testamente". Die Auswahl ist damit eng an die Etappen adliger Sozialisation angelehnt. Zunächst werden die Quellengruppen vom Autor allgemein vorgestellt. Diese zusammenfassenden Passagen liest man mit viel Gewinn. Im Anschluss daran werden sie mit den ysenburgischen Beispielen verglichen. Dabei thematisiert der Autor jedoch nicht nur die Normen selbst, sondern auch die Mechanismen ihrer Entstehung, Weitergabe oder Anerkennung werden ausführlich herausgearbeitet. So findet der Leser sich in gewisser Weise auch schon in diesem Teil der Arbeit in der Realität des gräflichen Alltags wieder. Ein schönes Beispiel dafür, dass es im Haus Ysenburg-Büdingen mitunter nicht nur auf die Regeln selbst, sondern auch auf den Modus der Weitergabe ankommen konnte, zeigt die Praxis beim Antritt der Herrschaftsnachfolge. Zu diesem Anlass musste jeder Erbe für sich und seine Nachkommen in einer Zeremonie geloben, die Einhaltung der in der Erbverbrüderung von 1517 festgelegten Regeln anzuerkennen.

Der zweite Schwerpunkt der Arbeit ist dem "Haus und seiner Ordnung" gewidmet. Auch hier orientieren sich die einzelnen Kapitel an bestimmten Quellengruppen. Im Abschnitt "Höfe und Reisen" wird vor allem anhand von Briefen der Erfahrungs- und Bildungshorizont jugendlicher Adliger während der Kavalierstour untersucht. Die in Inventaren verzeichneten Schmuckstücke werden im Unterkapitel "Ketten und Kleider" auf ihre memoriale Funktion hin analysiert. Der abschließende Teil "Freunde und Verwandte" basiert vorwiegend auf der Auswertung von Gästelisten und Hochzeitsordnungen. In überzeugender Weise gelingt dem Autor hier die Verknüpfung mit den im ersten Teil vorgestellten Normen und die Darstellung von deren Anwendung und Umsetzung im gräflichen Alltag.

Anschaulich kann der Autor zeigen, dass die Regeln des Hauses keineswegs starr waren, sondern sich aus verschiedenen Quellen unterschiedlichen Alters speisten, womit der Dynamik des familiären Beziehungsgeflechts Rechnung getragen wurde. Die Kategorie "Haus" wird von ihm folgerichtig daher auch eher als ein Prozess beschrieben, in dem die Familienordnung von den Akteuren jeder Generation aufs Neue ausgehandelt wurde (261). So war es auch bei den Ysenburgern die häufig bei mindermächtigen Geschlechtern zu beobachtende Teilungsmentalität, die bis zur Einführung der Primogenitur im frühen 18. Jahrhundert zu neuen hausgesetzlichen Regelungen führte. Und diese "Hausgesetze", so eine weitere Kernaussage, bestätigten eher bestimmte Entwicklungen in Haus und Familie, als dass sie diese zielbewusst zu steuern vermochten (260).

Basiert die Auswahl der Quellengruppen im ersten Teil noch auf der Anlehnung an den adligen Lebensweg, so ist sie im zweiten Teil offensichtlich allein der Überlieferungssituation in den Archiven geschuldet. Dagegen gibt es auch gar nichts einzuwenden, allerdings wird dies nur kurz am Anfang erwähnt und hätte noch etwas deutlicher gemacht werden können. Besonders im Kapitel "Ketten und Kleider" fragt man sich als Leser, warum vom Autor fast ausschließlich die Ausstattung von Frauen ausgewertet wurde. Wie stand es darüber hinaus um die Memorialstiftung bei männlichen Mitgliedern, etwa durch die Weitergabe und Vererbung von Silbergegenständen oder Waffen? Hinweise darauf vermisst man umso mehr, als doch die Bedeutung der Landesteilungen und damit die Ausstattung der Söhne mit Land und Leuten vom Autor mit Recht so herausgestellt wurde. Auch hätte man sich an dieser Stelle einen Ausblick über den gesetzten zeitlichen Rahmen der Arbeit gewünscht. Finden sich die vererbten Schmuckstücke auch noch in Inventaren des 18. Jahrhunderts, oder reichte ihre Wirkung nur über ein oder zwei Generationen?

Ein Punkt sei abschließend noch erwähnt. Eine einfache Übersicht über die familiäre Situation im Untersuchungszeitraum in Form einer Stammtafel hätte viel zur Orientierung und Einordnung der oftmals zahlreich genannten Familienmitglieder beigetragen.

Der Autor lenkt mit seiner insgesamt durchaus überzeugenden Studie den Blick weg von der bislang dominierenden fürstlichen Perspektive auf eine jener mindermächtigen Dynastien, die in der Forschung lange Zeit eher vernachlässigt wurden. Die Verbindung klassischer sozialgeschichtlicher Fragestellungen mit neueren kulturgeschichtlichen Ansätzen erweist sich dabei als überaus lohnend. Die Arbeit leistet mit ihren Aussagen einen anregenden Beitrag bei der Frage nach der Stellung der mindermächtigen Stände im Alten Reich und bietet darüber hinaus eine gute Basis für weitergehende vergleichende Untersuchungen.

Vinzenz Czech