Rezension über:

Birgit Wagner / Christopher F. Laferl: Anspruch auf das Wort. Geschlecht, Wissen und Schreiben im 17. Jahrhundert. Suor Maria Celeste und Sor Juana Inés de la Cruz, Wien: WUV 2002, 171 S., ISBN 978-3-85114-665-3, EUR 15,00
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Rezension von:
Eva Kormann
Universität Karlsruhe
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Eva Kormann: Rezension von: Birgit Wagner / Christopher F. Laferl: Anspruch auf das Wort. Geschlecht, Wissen und Schreiben im 17. Jahrhundert. Suor Maria Celeste und Sor Juana Inés de la Cruz, Wien: WUV 2002, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 10 [15.10.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/10/1904.html


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Birgit Wagner / Christopher F. Laferl: Anspruch auf das Wort

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Das Augenmerk auf Mentalitäten in der Geschichtswissenschaft, ein erweiterter Literaturbegriff in den Literaturwissenschaften und bei beiden eine immer stärker werdende Ausrichtung auf Fragen des Anthropologischen schärfen den Blick auf Grenzgänge zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaft. Ein schmaler, aber reichhaltiger Band über das Schreiben zweier Nonnen des 17. Jahrhunderts verdient daher Beachtung weit über den Bereich der Romanistik, in dem er entstanden ist, hinaus. Birgit Wagner und Christopher F. Laferl analysieren Schriften einer italienischen und einer mexikanischen Ordensfrau und ergänzen den Band durch zwei allgemeinere Untersuchungen: Laferl fragt nach "sexuierte[n] Autoritäten" im katholischen Diskurs, das heißt: er fragt danach, wie die katholische Theologie und Alltagsreligiosität der Frühen Neuzeit die Geschlechter konzipiert und gewertet hat und welches Geschlecht in diesem Rahmen Gott und der Kirche zugeschrieben worden sind. Wagner sucht im vierten und letzten Teil des Buches nach dem "Ich der Texte", nach der Rolle, die "Ich" in Sprache, Text, Diskurs und in der Verankerung in einem realen, individuellen Körper spielt.

An das Schreiben der beiden Nonnen stellen Wagner und Laferl folgende Zentralfragen: Welcher Zugang zum Wissen zeigt sich in den Schriften? Wie nehmen die Autorinnen zu ihrem Schreiben Stellung? Und: welcher Ich-Entwurf lässt sich aus den Schriften ermitteln? Es sind diese Fragen, die Wagner und Laferl an die Texte stellen, es sind die Antworten, die sie oft tastend und niemals in vorschnellem Vertrauen auf tradierte Wissensbestände erarbeiten, und die differenzierten methodischen Reflexionen, die diesen Band in allen seinen Teilen so lesenswert machen.

Suor Maria Celeste, Nonne in einem Klarissenkloster bei Florenz, hatte einen berühmten Vater: Galileo Galilei. Tochter und Vater pflegten einen regen Briefwechsel. Die Briefe Maria Celestes an Galilei haben sich erhalten, dies dürfte der Prominenz des Adressaten geschuldet sein. Diese Klarisse hatte einen schmalen Zugang zum Wissen, aber sie hatte ihn. Geschlecht, Stand, Familienbeziehungen und Ordenstraditionen waren entscheidend für ihren Zutritt zur Welt der Gelehrten: Frauen eroberten sich im 17. Jahrhundert nur in Ausnahmefällen Anteil an der res publica litteraria, an den artes und scientiae. Wenn auch Klöster in manchen Fällen als Horte der Frauengelehrsamkeit gelten konnten, die armen Klarissen von San Matteo in Arcetri gehörten nicht dazu. Dennoch erwarb sich Maria Celeste ihren Platz in der Schriftkultur und in der kulturellen und naturwissenschaftlichen Debatte ihrer Zeit. Es gelang ihr als Tochter ihres Vaters: Den Wunsch, zu schreiben und zu wissen, konnte sie in ihren Briefen über die liebende Beziehung zu ihm legitimieren: Sie bat ihn, ihr einige seiner Schriften zu senden. Sie las sie und kommentierte sie. Dies konzedierten der Lieblingstochter des Gelehrten Klostergemeinschaft und Familie.

Wagner verdeutlicht, dass Maria Celeste zu schreiben verstand, dass ihre Briefe vom Vater und im weiteren Familienkreis als Lektüre geschätzt wurden, sie kann belegen, dass Maria Celeste auch für das Kloster Schreibaufgaben übernahm. Dennoch sind die Briefe voll von Bescheidenheitsbekundungen, die über die Topoi, die auch in Schriften von Männern, die sich Autorität anmaßen konnten, geläufig sind, weit hinaus gehen. Schreiben brauchte für diese geübte Schreiberin doch immer "gestohlene Zeit" (33), wie Wagner schreibt, Zeit und Kraft, die sie nicht hatte, nicht haben durfte, da das Kloster und ihre Umwelt von ihr rastlose Tätigkeit in Küche und am Nähtisch, bei Krankenpflege und Gebet erwarteten.

Wenn Wagner nach dem Ich-Entwurf Maria Celestes fragt, greift sie dabei auf methodische Überlegungen zurück, die sie im 4. Teil des etwas heterogen erscheinenden, aber dennoch präzis verzahnten Bandes expliziert: Sie differenziert zwischen dem Text-Ich und der historischen Person und betrachtet das Text-Ich als beeinflusst von Gattung und Geschlecht und von Diskursgeschichten. Textsubjekte stehen in einer flexiblen, durch Textlektüre allein nicht auslotbaren Beziehung zur historischen Person des Schreibers oder der Schreiberin - Wagner spricht von Verankerung (etwa 46) - und übernehmen für die Rezeption unterschiedliche, immer aber entscheidende Funktionen: Die Art des Text-Subjekts bestimmt, wie viel Autorität, wie viel Glaubwürdigkeit dem Schreiben zuerkannt wird. Maria Celestes Text-Ich ist das Ich einer Briefschreiberin, die als Nonne und als Tochter schreibt, also innerhalb eines durch Geschlechter- und andere Diskurse hierarchisch strukturierten Kontextes. Wagner zeigt, wie sich im Prozess des jahrelangen Briefwechsels das Text-Ich, die Rollen, die es übernahm, und die Art und Funktion des Schreibens - für Senderin und Empfänger - entwickelt haben.

Christopher F. Laferl verfasste den zweiten Teil des Buches. Er ist der mexikanischen Nonne Sor Juana Inés de la Cruz gewidmet. Klugheit und Schönheit dieser Dichterin aus dem kolonialen Mexiko wurden früh gerühmt und galten offenbar von Anfang an als gefährlich, als etwas, das gebändigt und bewacht werden musste. So wurde die Fünfzehnjährige als Vertraute der Vizekönigin an den Hof gesandt und trat noch als junge Frau in das Hieronymitinnenkloster der Hauptstadt ein. Dieses Kloster ermöglichte Sor Juana, sich ihren autodidaktischen wissenschaftlichen und künstlerischen Studien zu widmen. Schreiben und Lesen war für Sor Juana keine gestohlene Zeit, sondern Lebensinhalt. Sor Juanas Schreiben war auch nicht auf klösterliche Auftragsarbeit und familiären Briefwechsel beschränkt, Juana wirkte als bis heute beachtete Dichterin, die sich einen für eine frühneuzeitliche Nonne erstaunlichen stilistischen und thematischen Freiraum erschrieb und sich ins theologische Streitgespräch einmischte. Dass dies für ein weiblich markiertes Text-Ich - und für eine Klosterfrau - nicht ohne Risiko war, zeigt Laferls Analyse der Texte und des weiteren Schicksals der Nonne, die mit 45 Jahren ihrer Gelehrsamkeit abschwor, sich von ihren zahlreichen Büchern und Musikinstrumenten trennte und sich grausamen Bußübungen unterzog. Laferl hütet sich in seiner Erklärungssuche für diesen Wandel aber davor, allzu einfache Ursachen anzuführen.

Sein Essay "Sexuierte Autoritäten. Ein Versuch" geht der Frage nach, "vor welcher genusrelevanten größeren 'symbolischen Ordnung' [die Nonnen] lebten und schrieben". Laferl fragt nach den "Genuszuschreibungen im Rahmen der katholischen Theologie": "Was wird in der katholischen Kirche als weiblich und was als männlich definiert?" (127). Konkreter: welches Geschlecht wird Gott und welches der Kirche zugeschrieben, und welche Handlungsmacht wird mit diesen Geschlechterzuordnungen verschränkt? Laferl kommt zum nicht überraschenden, aber gut belegten Schluss, dass Gott als Mann-Gemahl und als Mann-Vater aufritt, die Kirche als Frau-Gemahlin oder Frau-Mutter. Mit der weiblichen Zuschreibung ist eher der passive Teil, das duldende, das erleidende, das sich göttlichem Einfluss öffnende Moment betont, mit der männlichen Zuschreibung der aktiv handelnde Teil. Unklar bleibt in diesem Kapitel nur, warum Laferl diese Geschlechterkonnotation von Gott und Kirche "Sexuierte Autoritäten" nennt, geht es doch, wie seine Forschungsfrage zurecht akzentuiert, um Genderzuschreibungen.

Auf das letzte Kapitel, Wagners methodische Überlegungen zum "Ich der Texte", ist diese Rezension oben schon eingegangen. Wagner stellt sich kompetent und mit den richtigen Wegweisern, mit Emile Benveniste, Gérard Genette und Michel Foucault, dieser virulenten Forschungsfrage und findet mit der Metapher der Verankerung des Text-Ichs in einer historischen Person ein brauchbares Modell für deren flexible, aber nicht hintergehbare Beziehung. Dem eigenen Anspruch, zwar Gattungseinflüsse zu beachten, aber ein allgemeines Modell zu entwickeln, werden allerdings ihre Erläuterungen zum Icherzähler nicht ganz gerecht. Manches hätte deutlicher sein können, wenn Wagner nicht auf das Konzept des impliziten Autors, der impliziten Autorin verzichtet hätte.

Die Fragen, die Laferl und Wagner an ihre Texte stellen und denen sie in ihren beiden allgemeinen Kapiteln nachgehen, sind Fragen, die die heutige Kulturwissenschaft formuliert. Die Antworten der beiden Romanisten sind einer klaren literaturgeschichtlichen Argumentation verpflichtet. Anachronismen werden vermieden. Anachronistisch lesen sich allerdings manchmal die ersten Annäherungen an die Texte, die sich oft zunächst mit Erwartungen aus einer heutigen, literaturgeschichtlich nicht avancierten Leserposition auseinandersetzen und Lesenden, die mit Schriften der Frühen Neuzeit vertraut sind, manchmal überflüssig scheinen. Doch sind dies kleine Anmerkungen zu einem kleinen Band, der mit großem Gewinn gelesen werden kann.

Eva Kormann