Rezension über:

Hans Fenske: Deutsche Geschichte. Vom Ausgang des Mittelalters bis heute, Darmstadt: Primus Verlag 2002, 256 S., 6 Abb., 2 Karten, ISBN 978-3-89678-423-0, EUR 19,90
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Rezension von:
Martin Vogt
Technische Universität, Darmstadt
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Martin Vogt: Rezension von: Hans Fenske: Deutsche Geschichte. Vom Ausgang des Mittelalters bis heute, Darmstadt: Primus Verlag 2002, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 11 [15.11.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/11/3396.html


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Hans Fenske: Deutsche Geschichte

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Deutsche Geschichte vom konfessionellen Zeitalter bis in die Gegenwart auf knapp 220 Seiten (ohne Literaturverzeichnis) darzustellen ist ein erhebliches Wagnis, weil neben umfangreicher Faktenkenntnis die Fähigkeit, Zusammenhänge zu überschauen und zu berichten, sowie die Bereitschaft zur Komprimierung erforderlich sind und dennoch ein zuverlässiges Gesamtbild zu entstehen hat. Der Autor dieser Publikation, Historiker an der Universität Freiburg, hat sich einen Namen insbesondere mit Untersuchungen zur deutschen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie mit Publikationen über die 48er Revolution gemacht. Der weit gespannte zeitlich-thematische Rahmen des vorliegenden Bandes wird schon anhand des Inhaltsverzeichnisses deutlich: Das erste Kapitel beschreibt kirchen- und geistesgeschichtliche, politik- und verfassungshistorische Übergänge vom Mittelalter zur Neuzeit. Die nachfolgenden Kapitel führen über "Reformation und konfessionelles Zeitalter" sowie "Ausgang des Alten Reiches" zu den Ereignissen der neueren und neuesten Zeit: "19. Jahrhundert", "Zeit der Weltkriege" sowie "Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands".

Bei der Besprechung einer knapp gefassten einbändigen Deutschen Geschichte der Neuzeit hat sich der Rezensent völlig in die Rolle des potenziellen Lesers zu versetzen und stellt fest, wie schwierig es ist, ohne Vorbemerkung über die Reihe "Grundzüge" und ohne Vorwort oder Einleitung herauszufinden, was denn nun für den Autor die deutsche Geschichte der Neuzeit konstituiert; denn darum soll es doch wohl bei "Grundzügen" einer Geschichte gehen. Fenskes Wissen ist unbestritten, aber die Konzentration und Komprimierung des Verfassers haben die Konsequenz, dass der Leser sich schnell überfordert fühlen wird, wenn er nicht in der Lage ist, Stichworte oder Begriffe nachzuschlagen. So wird - um ein Beispiel zu bringen - der Leser, der in der deutschen Kirchen- und Rechtsgeschichte des konfessionellen Zeitalters nicht firm ist, ohne Hinweise auf Details Schwierigkeiten haben zu begreifen, weshalb - und dies ist nur ein Beispiel für andere - der "Vierklosterstreit", der 1600 kulminierte, für die Verfassungs- und politische Geschichte des Alten Reiches wichtig ist. Am stärksten fällt die Aufzählung von solchen Stichworten ohne Erläuterung im Schlusskapitel in den Abschnitten über Bundesrepublik und DDR auf.

Fenskes Darstellung ist, soweit es sich um die politische und die Verfassungsgeschichte handelt, in den ersten Kapiteln ereignisgeschichtlich ausgerichtet und lässt bis zur Behandlung des 20. Jahrhunderts eine "borussische" Akzentuierung erkennen. Immerhin wird das Bemühen deutlich, deutsche Geschichte auch in den europäischen Zusammenhängen zu sehen. Für die Zeit vom 19. Jahrhundert an bis zur Besatzungszeit in Deutschland nach 1945 werden verfassungs- oder auch parteiengeschichtliche Beobachtungen längsschnittartig dargestellt und an ihnen einzelne Sachfragen festgemacht. Für einen historischen Dilettanten bringt das Orientierungsschwierigkeiten, auch wenn als Orientierungshilfe ab Kapitel 2 wesentlich erscheinende Fakten mit Jahreszahlen vorangestellt sind (Fenskes Arbeit zu Strukturproblemen der deutschen Parteiengeschichte und seine deutsche Parteiengeschichte sind hilfreicher).

Daneben stehen sehr kompakte strukturgeschichtlich ausgerichtete Abschnitte über die Wirtschaftsgeschichte, die sozialgeschichtliche Themen miterörtern; allerdings wäre es doch wohl sinnvoll gewesen, das Problem der "Protoindustrialisierung" anzusprechen und neben dem Paternalismus auch die wirtschaftliche Bedeutung der Zünfte als Regulativ wie auch ihre Rolle als Hemmschuh wirtschaftlicher Entwicklungen zu erwähnen. Die wirtschaftliche Bedeutung des Zollvereins kommt ebenso zu kurz wie Bedeutung und Konsequenzen der Rationalisierung und Automatisierung in Wirtschaft und Technik des 20. Jahrhunderts. Da Bildungsgeschichte nicht durchgängig behandelt wird, hätte auf sie besser ganz verzichtet werden sollen. Vom Alten Reich mit seinem Staatenmosaik gibt es sowenig eine Karte wie vom Deutschland nach 1918 oder nach 1945, wohl aber vom Reich von 1871, jedoch ohne Legende. Außerdem wäre es gerade mit Blick auf einige demographische Hinweise sinnvoll gewesen, in einer Nennung von Territorien und Bevölkerungsgrößen auf den Umfang des preußischen Staates und seine Einwohnerzahl zu verweisen, um damit dessen Dominanz unter den deutschen Staaten beziehungsweise Ländern bis 1932 zu verdeutlichen. Das sind Anmerkungen, die nicht allein an den Autor gerichtet sind, sondern sie richten sich an die Konzeption und die Vorgaben der Reihe. Hierzu gehört auch die Frage, wer für das Literaturverzeichnis verantwortlich zeichnet. Dass potenziell konkurrierende Publikationen nicht genannt werden, ist verständlich, aber Inkonsequenzen, wenn nur ein erster oder ein zweiter Band genannt werden, oder die Auslassung bekannter Autoren (zum Beispiel Hans und Wolfgang J. Mommsen oder Historiker aus der ehemaligen DDR), deren Sichtweisen möglicherweise missfallen, sind bedenklich.

Es gibt in dieser Deutschen Geschichte Hinweise auf Aspekte, die nicht unbedingt zu ihren "Grundzügen" gehören - wie etwa die Kolonialbestrebungen Brandenburgs im 17. Jahrhundert oder ähnliche Überlegungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Behandlung der Bildungs- und Geistesgeschichte erscheint ungleichgewichtig. Die Situation der Juden in Deutschland - ein im Ausland beachtetes Thema - wird bis 1933 wenig behandelt. Einzelne Gestalten der deutschen Geschichte (Luther, Friedrich der Große und Bismarck) erscheinen in ihrem Handeln nahezu fleckenlos. Für die Zeit seit der Französischen Revolution wird festgestellt, wie viel besser doch eine evolutionäre Entwicklung sei, während doch das System Metternich, der Umgang mit dem Paulskirchenparlament und seiner Verfassungsgebung oder das semiabsolutistische Zweite Reich zu erkennen gegeben haben, dass nur ein kräftiges Rütteln die verhärteten Strukturen in Bewegung gebracht hat.

Bei der Behandlung des Ersten Weltkriegs und der Revolution von 1918 sind die Nachwirkungen der politischen Krisen und die hohe Erwartungshaltung ebenso ausgeblendet wie die unselige Kriegszieldiskussion. Auf die Verfassung der Weimarer Republik wird kaum eingegangen, und die inneren materiellen Probleme in ihren gesellschaftlichen und parteipolitischen Konsequenzen schon vor 1933 werden lediglich gestreift.

Ob die große Mehrzahl der NS-Wähler zwischen 1930 und 1933 wirklich nur Protest ausdrücken wollte, sei dahingestellt, aber für die Jahre des NS-Regimes zu meinen, dass die Masse der Bevölkerung mit dem Regime nicht einverstanden gewesen sei und sich ins Private zurückgezogen habe, klingt nach Exkulpation. Die NS-Euthanasie, die neben dem Antisemitismus das Besondere des NS-Rassismus ausmachte, findet ebenso wenig Erwähnung wie der Luftkrieg gegen Deutschland. Die umfängliche Planung der Alliierten für das Nachkriegsdeutschland wird kaum berührt; das gilt auch für die materielle Notzeit nach 1945. Die deutsche Entwicklung seit 1948 erscheint als eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik - was gegenüber der Entwicklung in der DDR zutrifft -, die durch den politisierten Generationskonflikt, der "1968" kulminierte, hinterfragt worden ist. Fenske gerät hier vollends auf eine revisionistische Spur. Die Jahre seit 1974 werden schließlich mehr stichwortartig als in der Darlegung von Sachfragen abgehandelt.

Es ist zu fragen, ob Hans Fenske sich und den Lesern mit dieser Deutschen Geschichte einen Gefallen getan hat. Die knapp bemessene Seitenzahl zwingt den Leser allzu häufig, sich andernorts erläuternde Auskünfte einzuholen, und dann wird er leicht sehen, dass die Betrachtungsweise des Autors dann einmal als zu holzschnittartig, ein anderes Mal als zu skizzenhaft-flüchtig erscheint; und in jedem Fall müssen viele Aussagen kritisch hinterfragt werden. Für Anfänger oder Liebhaber, die einen Zugang zur deutschen Geschichte der Neuzeit suchen, erscheinen diese "Grundzüge" wenig geeignet.


Martin Vogt