Rezension über:

Patricia Fara: An Entertainment for Angels: Electricity in the Enlightenment (= Revolutions in Science), Cambridge: Icon Books 2002, 186 S., ISBN 978-1-84046-348-4, GBP 9,99
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Rezension von:
Oliver Hochadel
Institut für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung, Universität Wien
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Hochadel: Rezension von: Patricia Fara: An Entertainment for Angels: Electricity in the Enlightenment, Cambridge: Icon Books 2002, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 11 [15.11.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/11/2936.html


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Patricia Fara: An Entertainment for Angels: Electricity in the Enlightenment

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"Eripuit caelo fulmen sceptrumque tyrannis." Dem Himmel hat er den Blitz entrissen, den Tyrannen das Szepter, so brachte es Turgot 1778 auf den epigrammatischen Punkt. Benjamin Franklin verkörpert wie kein zweiter die enge Beziehung von Elektrizität und Aufklärung. Aber auch Georg Christoph Lichtenberg war ein führender Elektrizitätsforscher. Jean Paul Marat beschäftigte sich in seiner vorrevolutionären Zeit intensiv mit Phänomenen des Lichts und der Elektrizität. Und der junge Rechtsanwalt Robespierre beschrieb bereits 1783 den Siegeszug der Vernunft als unaufhaltsam, als er in einem Gerichtsprozess die Gegner des Blitzableiters abkanzelte. Die Liste ließe sich fortsetzten.

Ob es wohl ein chronologischer Zufall ist, dass die Jahrzehnte von 1730 bis 1790 sowohl die Hochzeit der statischen Elektrizität wie auch jene der Aufklärung markieren? Oder verbindet die "Funkenwissenschaft" mehr mit dem Siècle des Lumières als nur die Personalunion von Forscher und Aufklärer?

Antworten darauf verspricht ein handliches Überblickswerk von Patricia Fara mit dem blumigen Titel "An Entertainment for Angels. Electricity in the Enlightenment". Nach einer Einleitung (I) fragt die in Cambridge lehrende Wissenschaftshistorikerin nach den Instrumenten (II), den praktischen Anwendungen (III) und den theoretischen Erklärungsversuchen (IV) für die staunen machenden Phänomene. Das Buch schließt mit einem Ausblick (V) auf die dynamische Elektrizität, sprich: die Forschungen von Luigi Galvani und Alessandro Volta am Ende des 18. Jahrhunderts.

Diese Abfolge ist keine beliebige. Denn am Anfang, in den 1730er- und 1740er-Jahren, stand die Verbesserung der Reibeelektrisiermaschine und die rein zufällige Erfindung der Leidener Flasche, einem Speichermedium für Elektrizität. Zwar suchte man die dadurch beobachtbaren Phänomene wie Anziehung, Abstoßung und Entladung auch theoretisch zu fassen, allerdings mit wenig Erfolg. Gab es eine Art der Elektrizität, wie Franklins Schule es propagierte, oder deren zwei, wie Robert Symmer und Jean Antoine Nollet behaupteten?

Weil keine der zahlreichen Theorien die Gesamtheit der Phänomene befriedigend zu erklären vermochte, herrschte eine regelrechte theoretische Anarchie, die durch religiös-metaphysisch unterfütterte Interpretationen der Elektrizität noch verwirrender wurde. Erst der Versuch der Mathematisierung deutete Ende des 18. Jahrhunderts einen Ausweg an. Die theoretische Entwicklung blieb lange hinter der instrumentellen zurück, was die Zeitgenossen aber keineswegs daran hinderte, die Elektrizität praktisch, das heißt beim Blitzschutz und in der Medizin, anzuwenden.

In ihrer Darstellung fokussiert Fara meist auf einzelne Naturkundige wie Franklin, Nollet, Stephen Gray, Charles Dufay oder Henry Cavendish. (Dass deutsche Elektrizitätsforscher kaum vorkommen und wenn, dann mit falschen Vornamen, hat sicherlich mit einer Sprachbarriere zu tun.) Fara möchte dies aber nicht als einen Rückfall in eine Wissenschaftsgeschichte der "großen Männer" missverstanden wissen. Sie tut dies, um auf die Irrwege der Forscher, die Vorläufigkeit von Erkenntnissen und die epistemologischen Untiefen der experimentellen Praxis zu verweisen.

So kann sie am Beispiel Charles Coulombs zeigen, wie dieser die Berechnungen zu seinen elektrostatischen Versuchen mit der Torsionswaage glättet, oder wie Volta durch eine ausgefeilte Rhetorik sowie das Aussparen von Informationen zum genauen Versuchsaufbau und das Weglassen widersprüchlicher Daten seine eigene Theorie der voltaschen Säule zu propagieren sucht. Fara stellt auch klar, dass von professionellen Wissenschaftlern im 18. Jahrhundert kaum die Rede sein kann, da nur wenige ein ausreichendes Gehalt erhalten beziehungsweise eine feste Stelle haben, sprich: von ihrer Forschung allein nicht leben können. Auch macht sie auf die nationale Einfärbung etwa der stark empirisch-experimentell ausgerichteten englischen und der auf mathematische Abstraktion Wert legenden französischen Wissenschaftskultur aufmerksam.

Trotz dieser wichtigen Differenzierungen verliert Fara durch die Konzentration auf die vermeintlichen "Protagonisten" etwas die Breite der "elektrischen Kultur" der Aufklärung aus dem Blick. Das Spektrum an elektrisierenden Praktikern, das von Physikprofessoren über Amateurwissenschaftler bis hin zu Instrumentenmachern und umherziehenden Schaustellern reichte, wird dadurch ebenso wenig in den Blick genommen wie die Vielzahl der Orte der Elektrizität: Das Kabinett des Forschers, der fürstliche Hof, der bürgerliche Salon, aber auch die Werkstatt, das Wirtshaus und die Jahrmarktsbude waren Schauplätze Funken sprühender Vorführungen.

Lediglich im Bereich der medizinischen Elektrizität verweist die Autorin auf das bunte Spektrum der "Anbieter", das von scheinbar respektablen Naturforschern bis hin zu offensichtlichen Scharlatanen wie dem Londoner James Graham und seinem "Temple of Health" (86) reichte, und macht auch auf deren erbitterte Konkurrenz untereinander und deren gegenseitige Diskreditierungsversuche aufmerksam.

Warum, so mag man sich fragen, wurde die Elektrizität zu der Modewissenschaft der Aufklärung schlechthin? Die verbesserten und neu erfundenen Instrumente reichen hier als Erklärung nicht aus. Hinzu kommen Spezifika des 18. Jahrhunderts, wie die neuen gesellschaftlichen Organisationsformen (Akademie, Lesegesellschaft et cetera) wie auch der stark expandierende Buch- und Zeitschriftenmarkt der Zeit, die als mediale Verstärker die Elektrizität populär machten. Voraussetzung hierfür war aber wiederum das Staunenspotenzial der Funkenwissenschaft: das Entzünden von Weingeist durch Eiszapfen, geheimnisvoll bewegte Glockenspiele, magisch leuchtende Kopfaufsätze und durch Schläge getötete Kleintiere, um nur einige der spektakulären Versuche zu nennen.

Fara hätte vielleicht noch stärker das Faszinierende dieser "Salonwissenschaft" herausarbeiten sollen, die dank ihrer verblüffenden Phänomene nicht nur ganze Abendgesellschaften amüsierte, sondern auch viele "Amateure" zum eigenen Experimentieren anregte und für einen kontinuierlichen Absatz an Instrumenten und deren Weiterentwicklung sorgte.

Zur Geselligkeit der Elektrizität kommt deren behauptete Nützlichkeit hinzu, die allerdings im Bereich der medizinischen Elektrizität umstritten war, während der Blitzableiter für das Selbstverständnis der Zeit eine kaum zu überschätzende symbolische Bedeutung hatte, ließen sich doch die Bändigung zerstörerischer Naturkräfte und die Bekämpfung des Aberglaubens (der Blitz als Strafinstrument Gottes) kaum eindrücklicher verbinden. Erst in dieser Gesamtschau wird der im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagende Erfolg der Elektrizität nachvollziehbar.

Auch wenn die enge Beziehung zwischen Elektrizität und Aufklärung etwas unterbelichtet bleibt, muss man Fara zugute halten, dass ihr nur 170 kleinformatige und großzügig gesetzte Textseiten zur Verfügung standen - das sind die Vorgaben der von Jon Turney herausgegebenen Reihe "Revolutions in Science". "An Entertainment for Angels" will keine eigene Forschungsarbeit sein: Die Autorin geht von bekannten Quellen und einer mittlerweile recht umfangreichen Sekundärliteratur aus und beschränkt sich auf wenige Fußnoten. Die avisierte Leserschaft geht über die Fachgemeinschaft von Aufklärungs- beziehungsweise Wissenschaftshistorikern hinaus, Fara möchte ein breiteres Publikum ansprechen. Das sollte ihr dank ihres flüssigen Stils und des wohl proportionierten Materials auch gelingen.


Oliver Hochadel