Rezension über:

Stefanie Palm: Fördern und Zensieren. Die Medienpolitik des Bundesinnenministeriums nach dem Nationalsozialismus (= Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Innenministerien nach 1945; Bd. 7), Göttingen: Wallstein 2023, 592 S., 32 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3480-9, EUR 46,00
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Rezension von:
Niklas Venema
Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Niklas Venema: Rezension von: Stefanie Palm: Fördern und Zensieren. Die Medienpolitik des Bundesinnenministeriums nach dem Nationalsozialismus, Göttingen: Wallstein 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 3 [15.03.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/03/38678.html


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Stefanie Palm: Fördern und Zensieren

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Das Buch stellt die Medienpolitik des Bonner Bundesministeriums des Innern von 1949 bis 1970 dar. Die Autorin ordnet ihren Gegenstand in das grundsätzliche Konfliktverhältnis zwischen Staat und Medien in der Bundesrepublik ein. Angesichts unklarer Zuständigkeiten rangen Staats- und Regierungsstellen dabei um Kompetenzen und die Durchsetzung von Normen und Werthaltungen. Vor diesem Hintergrund fragt Palm nach dem Agieren der Ministerialbeamten. Die Autorin wählt dazu einen gruppenbiografischen Zugang und rückt Handeln, Einstellungen und Lebenswege der Akteure in den Mittelpunkt ihrer Analyse. Theoretisch bindet sie die Untersuchung lose an soziologische Ansätze des Akteurzentrierten Institutionalismus an.

Die Arbeit ist als Dissertationsschrift im Rahmen eines Projekts zur Geschichte der Innenministerien der Bundesrepublik und der DDR des Zentrums für Zeithistorische Forschung und des Instituts für Zeitgeschichte entstanden. Die Autorin verortet ihre Arbeit disziplinär an der Schnittstelle von Geschichtswissenschaft mit der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Sie knüpft ihre Untersuchung an den Forschungsstand zu den Kontinuitäten und Nachwirkungen der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik an. Zeitgemäß ist der Ansatz einer Verflechtungsgeschichte, die das Wechselverhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten einbezieht.

Nach einer knappen Einleitung gliedert sich die Arbeit in vier Hauptteile. Das erste Kapitel ordnet die Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums und seine Selbstverortung in Kontinuität zu seinen Vorgängereinrichtungen seit 1867 ein. Die Belastung des Personals und den Umgang der Beamten mit ihrer NS-Vergangenheit als "Biografiepolitik" (55) des Verschweigens und Umdeutens ihres Verhaltens zeichnet Palm akribisch auf Grundlage der Lebensläufe der Beamten nach. Typisch waren die Mitgliedschaft in der NSDAP und angeschlossenen Organisationen sowie eine Tätigkeit in Verwaltung und Justiz zwischen 1933 und 1945. Während sich so Netzwerke NS-Belasteter bildeten, erhielten Widerstandskämpfer oder Verfolgte keine Posten.

Das zweite Kapitel stellt die Aktivitäten des Ministeriums im Hinblick auf die (Neu-)Etablierung von Medienstrukturen mit Pressekrediten, Presse- und Rundfunkgesetzgebung sowie Filmzensur und -förderung dar. Das dritte Kapitel analysiert Konflikte um Meinungsfreiheit, bei denen die Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums insbesondere das Interesse des Schutzes des Staates verfolgte und zu etatistischen bis autoritären Haltungen neigte. Dabei zeigt sich auch die medienpolitische Relevanz von Aspekten wie der Studierendenpolitik. Allerdings könnten diese Ausführungen stärker im Hinblick auf die zentrale Fragestellung zugespitzt werden. Der gegenüber den vorangegangenen Kapiteln deutlich knapper angelegte vierte Teil der Arbeit stellt die Krise der Kulturabteilung Ende der 1960er-Jahre und ihren Umbau unter der sozialliberalen Koalition ab 1969 dar. Das Buch schließt mit einem Fazit, das die Ausführungen gut zusammenfasst.

Insgesamt erweist sich der gewählte gruppenbiografische Ansatz als adäquate und gewinnbringende Perspektive. Die besondere Stärke der Arbeit liegt in der Bearbeitung einer Vielzahl von Quellen, die teils bislang nicht zugänglich waren. Wichtigste Grundlage sind Personalakten des Bundesinnenministeriums im Bundesarchiv Koblenz. Mit diversen Dokumenten aus anderen Beständen in einer Vielzahl einschlägiger Archive hat Palm die Biografien sämtlicher leitender Beamten der Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums in ihrem Untersuchungszeitraum genau rekonstruiert. So gelingt es der Autorin, ein äußerst differenziertes Bild der Akteure wie beispielsweise vom ersten Medienreferenten im Bundesinnenministerium, Carl-Heinz Lüders, herauszuarbeiten.

Im Hinblick auf die ebenfalls umfangreich herangezogenen Zeitungen und Zeitschriften wäre eine stärkere quellenkritische Einordnung wünschenswert. Es ist nicht nachvollziehbar, ob die Titel systematisch zur Berichterstattung über das Bundesinnenministerium und seine Beamten ausgewertet wurden. Es kann nur vermutet werden, dass sich die zitierten Artikel vor allem in Ausschnittsammlungen des Ministeriums fanden. Somit bleibt unklar, ob diese Quellen als Belege für die Perspektive des Journalismus oder vielmehr für die Beobachtung der Berichterstattung durch das Innenministerium verstanden werden müssen. Diese Frage ist insbesondere relevant, da Palm zur DDR neben anderen publizierten Quellen wie den sogenannten "Braunbüchern" über die nationalsozialistische Vergangenheit bundesrepublikanischer Funktionäre hauptsächlich die Berichterstattung der SED-Presse heranzieht.

Eine gründlichere Überarbeitung der Dissertationsschrift für die Druckfassung hätte die Qualität der verdienstvollen Arbeit noch erhöhen können. Die kleineren Mängel schmälern die Gesamtleistung kaum, irritieren in ihrer Fülle jedoch. Dazu gehören inhaltliche Redundanzen. Stellenweise stören Formulierungen den Lesefluss, die mindestens missverständlich, genau genommen falsch sind. So attestiert Palm Beamten und Ministern ein "totalitäres Weltbild" (145) oder, dass sie "im Geiste des Totalitarismus" (364) agierten. Dem Leser erschließt sich aus dem Kontext, dass das Befolgen einer Totalitarismusdoktrin mit der Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus durch die Akteure statt das Teilen totalitärer Ansichten gemeint ist. Das für ihre Untersuchung zentrale Grundrecht auf Meinungsfreiheit verortet Palm an einer Stelle statt in Artikel 5 in Artikel 18 des Grundgesetzes, in dem es jedoch um die Verwirkung des Rechts geht (134). Immer wieder nutzt Palm das Diktum der "Vierten Gewalt", das genaue Begriffsverständnis und die Verwendung als analytischer Begriff oder als Charakterisierung von Vorstellungen der Akteure bleiben jedoch vage. Teils werden - allerdings unstrittige - Aussagen auf kaum zitierfähige Literatur gestützt. Zur Rolle Hamburgs als sozialdemokratische Hochburg dient etwa ein Beitrag des Norddeutschen Rundfunks als Beleg (131). Es verwundert, warum auf allgemein zugängliche Literatur mit Sekundärzitaten verwiesen wird (158).

Als zentrales Handlungsmotiv der mit Medienpolitik betrauten Mitglieder der "Kulturclique" (61) im Bundesinnenministerium identifiziert die Autorin Antikommunismus. Dieser diente gleichzeitig als ideologisches Bindeglied der Beamten zwischen der NS-Diktatur und der Bonner Republik. Zudem waren die Akteure angeleitet durch die Wahrnehmung von Öffentlichkeit als Bedrohung und die Annahme starker Medienwirkungen.

Die Autorin beansprucht, den Forschungsstand zum Journalismus in der Bonner Republik mit der Perspektive auf staatliche Akteure zu differenzieren. Palm argumentiert zum einen, dass sich in medienpolitischen Auseinandersetzungen bereits früher als zum Ende der 1950er-Jahre eine kritische Wende und Abkehr vom "Konsensjournalismus" zeige. [1] Zum anderen verweist sie auf den "Staatsschutz" (420) als wichtiges Motiv der staatlichen Akteure, das eine zunehmende Eskalation von Konflikten um Medienfreiheit in den 1960er-Jahren bedingte.

Insgesamt leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Mediengeschichte der Bundesrepublik. Auf Grundlage einer umfassenden Quellenarbeit liefert es mit dem Fokus auf staatliche Akteure und ihre Biografien neue Erkenntnisse zum Verhältnis von Politik und Medien in der Nachkriegszeit.


Anmerkung:

[1] Christina von Hodenberg: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973. Göttingen 2006.

Niklas Venema