Rezension über:

Ray Laurence / Francesco Trifilò: Mediterranean Timescapes. Chronological Age and Cultural Practice in the Roman Empire, London / New York: Routledge 2023, XV + 253 S., ISBN 978-1-138-28875-1, EUR 120,00
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Rezension von:
Roland Färber
Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Roland Färber: Rezension von: Ray Laurence / Francesco Trifilò: Mediterranean Timescapes. Chronological Age and Cultural Practice in the Roman Empire, London / New York: Routledge 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 1 [15.01.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/01/38173.html


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Ray Laurence / Francesco Trifilò: Mediterranean Timescapes

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Zehntausende römische Grabinschriften geben das Alter der Verstorbenen an. Während die ältere Forschung versucht hat, daraus mit statistischen Methoden die allgemeine Lebenserwartung und die Kindersterblichkeit zu ermitteln, herrscht inzwischen Konsens darin, dass sich das epigraphische Material nur sehr eingeschränkt für demographische Erhebungen eignet: Zu unterschiedlich sind die regionalen Praktiken des Inschriftensetzens und die Motivationen dafür, das Sterbealter festzuhalten, zu disparat die zeitliche und räumliche Verteilung der Grabsteine, zu stark dem Zufall und den Forschungsbedingungen geschuldet ihre Erhaltung und Dokumentation. [1]

Ray Laurence und Francesco Trifilò distanzieren sich klar von demographischen Ansätzen. Stattdessen betrachten sie die Sterbealtersangaben als kulturspezifischen Aspekt von Erinnerungspraxis. Im Mittelpunkt ihrer 'Zeitlandschaften' stehen statistisch-quantitative Auswertungen, sowohl geographisch als auch nach Altersklassen, Geschlechtern und sozialen Gruppen (Freigelassene, Soldaten) differenziert. Die Datengrundlage bilden über 23.000 lateinische Grabinschriften, die am 1. Juni 2009 aus der Epigraphik-Datenbank Clauss/Slaby (EDCS) gezogen wurden. Dabei fanden anscheinend nur solche Texte Berücksichtigung, die die Formel vixit annos bzw. annis in sämtlichen Abkürzungsvarianten enthalten. Unklar bleibt indes, wie mit Pluralangaben (vixerunt etc.) oder mit Altersnennungen von unter einem Jahr umgegangen wurde. Interessiert hätte zudem, wie sich die Zahl der Grabtituli mit Sterbealtersangaben zur Zahl derer ohne verhält.

Kein Wort verlieren die Autoren darüber, ob und wie das Material zeitlich eingegrenzt wurde. Man kann nur mutmaßen, dass in der besagten Zahl auch die christlichen Inschriften eingeschlossen sind. Räumlich hingegen schränken sie ihre Untersuchung dezidiert auf den Westen des Imperiums ein, angeblich weil Sterbealtersangaben nur dort vorkommen: "there is simply no equivalent from the Eastern Roman Empire" (45). Dabei übersehen die Autoren nicht nur hunderte Soldatengrabsteine von verschiedenen Plätzen im Osten, sondern auch einzelne Cluster griechischer Inschriften aus Ägypten und Kleinasien. [2] Warum im Westen wiederum nur die Mittelmeer-Anrainer berücksichtigt wurden, erhellt sich erst tiefer im Inneren des Buches. Denn der Fokus wird klar auf Italien (ohne Rom) und Nordafrika gerichtet. Um endlich zu erfahren, dass Rom und die Donauprovinzen aufgrund der schieren Masse an Inschriften außen vor geblieben sind, muss es der Leser bis zum "Afterword" schaffen. Doch der Weg dorthin ist holprig.

Selbst der Nichtmuttersprachler wird über die vielen, zum Teil sinnentstellenden orthographischen und grammatikalischen Fehler stolpern. In den wenigen wörtlich zitierten Inschriftenbeispielen werden Groß- und Kleinschreibung willkürlich gehandhabt. Teils sind diese nach Museums-Inventarnummern statt nach einem Standard-Corpus zitiert, oder die Belege fehlen ganz. Auch Latein hat offensichtlich Probleme bereitet. So wird der Schluss einer Grabinschrift fehlerhaft mit "bene meranti fecit" wiedergegeben und mit "well deserving wife made this" übersetzt (53). Bei dem Grabstein für Hermes ist im Text von einer "Hermetia" die Rede (55). Übersetzungen wie "To the Sacred Shades" für D(is) M(anibus) s(acrum) (108) und Formulierungen wie "locus religiosae" (65-66) oder "as a pagus and a civitatis" (150) sorgen für Stirnrunzeln.

Eigentlich eine Stärke des Buches sind die vielen Diagramme, die die statistische Auswertung des Materials veranschaulichen. Leider sind etliche davon falsch nummeriert, falsch beschriftet (40, 111, 149, 208) oder fehlen komplett (102). Manchmal sind die Grauabstufungen mit bloßem Auge nicht zu unterscheiden (153, 180) oder lassen sich die Aussagen aus dem Text nicht in den Diagrammen nachvollziehen (75, 102, 112). In einem Fall scheinen die Autoren gar ihren eigenen Kategorien auf den Leim gegangen zu sein, wenn sie bei den Sterbealtersangaben in den nordafrikanischen Städten Ammaedara, Lambaesis und Theveste eine "strong emphasis" auf der Altersgruppe 31-60 ausmachen (150). Nur sind alle benachbarten Altersgruppen auf jeweils 15 Jahre eingegrenzt. Denkt man sich also die hohen Diagrammsäulen der 31-60jährigen halbiert, liegen die Einzelwerte niedriger als bei den 16-30jährigen und ziemlich gleichauf mit den Kindern unter 16.

Wegen solcher Stolpersteine laufen interessante Befunde leicht Gefahr, übersehen zu werden. Darunter etwa die These zur "accumulative dynamic" (7) von Grabsteinsetzungen über längere Zeit am selben Ort, wodurch sich Muster des Altersgedenkens lokal verfestigten. Oder, dass die Altersangabe in den Inschriften ein wesentlicher Identitätsmarker neben dem Namen des Verstorbenen war, indem sie ihn einer bestimmten Alterskohorte und zugleich einem chronologischen Platz in Relation zu den Hinterbliebenen zuwies (40-42).

Aufschlussreich sind ferner die Überlegungen zu den Grundlagen der Altersbestimmung, wie das Feiern des Geburtstags und das Zählen mit Fingerzeichen (68-75), wichtig der Nachweis, dass bei römischen Soldaten die Dienstjahre genauer festgehalten wurden als die Lebenszeit (167). Von grundlegender Bedeutung, wenngleich für Kenner des Gebiets nichts Neues, ist die festgestellte Tendenz, dass Altersangaben zumal bei Erwachsenen und Hochbetagten gerne auf Fünfer und Zehner gerundet wurden (17-20). Auf die in der Spätantike gängige Formel plus minus gehen die Autoren jedoch nicht eigens ein.

Das zentrale Ergebnis der Studie schließlich ist, dass in Italien ein stärkeres Gewicht auf dem Altersgedenken von Kindern und jungen Erwachsenen lag, während in Nordafrika die Erwachsenen und Betagten dominierten. Dies deckt sich mit einer älteren Untersuchung von Brent Shaw [3], der die Unterschiede zu Italien mit patriarchalen Familienstrukturen zu erklären suchte, während Laurence und Trifilò darin schlicht eine größere Wertschätzung von Langlebigkeit und hohem Alter erkennen. Dabei deuten deren eigene Befunde tatsächlich auf eine Divergenz in der Altersstruktur 'junger' Familien hin, gerade in den ländlichen Regionen Nordafrikas: Hier setzten Eltern ihren Kindern oft noch bis ins mittlere Erwachsenenalter die Grabsteine (116), während in Italien umgekehrt Eltern viel früher von ihren Kindern kommemoriert wurden (118).

So ist in dem Buch, dessen Wert vor allem in dem breitgefächerten kulturgeschichtlichen Blick auf die Sterbealtersangaben liegt, wohl noch manch unbemerkter Schatz zu heben. Perspektiven für weitere Forschungen auf diesem Gebiet zeigt es jedenfalls reichlich auf.


Anmerkungen:

[1] Wegweisend M. Clauss: Probleme der Lebensalterstatistiken aufgrund römischer Grabinschriften, in: Chiron 3 (1973), 395-417; bilanzierend W. Scheidel: Epigraphy and Demography. Birth, Marriage, Family, and Death, in: J. Davies / J. Wilkes (eds.): Epigraphy and the Social Sciences, Oxford 2012, 101-129.

[2] Vgl. B. Boyaval: Remarques sur les indications d'âges de l'épigraphie funéraire grecque d'Egypte, in: ZPE 21 (1976), 217-243; P. Thonemann: The Lives of Ancient Villages. Rural Society in Roman Anatolia, Cambridge 2022, bes. 86-92.

[3] B. Shaw: The Cultural Meaning of Death: Age and Gender in the Roman Family, in: D. I. Kertzer / R. P. Saller (eds.): The Family in Italy: from Antiquity to the Present, New Haven 1991, 66-90.

Roland Färber