Rezension über:

Rebecca Whiteley: Birth Figures. Early Modern Prints and the Pregnant Body, Chicago: University of Chicago Press 2023, XIV + 288 S., 6 Farb-, 47 s/w-Abb., ISBN 978-0-226-82312-6, USD 49,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Christina Schröder
Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Christina Schröder: Rezension von: Rebecca Whiteley: Birth Figures. Early Modern Prints and the Pregnant Body, Chicago: University of Chicago Press 2023, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 9 [15.09.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/09/38005.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Rebecca Whiteley: Birth Figures

Textgröße: A A A

Im Mittelpunkt der auf eine Dissertation am University College London zurückgehenden Untersuchung von Rebecca Whiteley stehen sogenannte birth figures. Es handelt sich hierbei um frühneuzeitliche Abbildungsfolgen des Fötus im Bauch beziehungsweise der Gebärmutter, die vor allem dazu dienten, die unterschiedlichen Positionen darzustellen, die selbiger kurz vor der Geburt einnehmen kann. Diese Sets wurden hauptsächlich in Lehrbüchern abgedruckt, um auf mögliche Schwierigkeiten beim Geburtsvorgang vorzubereiten. In der Forschung sind diese Geburtsdarstellungen bislang nicht umfassend berücksichtigt worden, was Whiteley mit ihrer interdisziplinären Studie, die an der Schnittstelle von Körper-, Medizin-, Wissenschafts- und Kunstgeschichte angesiedelt ist, ändern möchte.

Die Autorin untersucht umfassend Entstehung, Gebrauch und Wirkung der Abbildungen und legt damit die erste systematische Analyse dieser Quellen vor: "Birth Figures explores the vast array of ways in which these images were produced to make knowledge and the divergent ways in which they were subsequently interpreted and used by different kinds of viewer" (2). Gemeint sind hier vor allem Hebammen, studierte Ärzte, Chirurgen sowie leseunkundige LaienbetrachterInnen. Darüber hinaus fragt Whiteley nicht nur danach, wie dieser Abbildungstypus sozial konstruiert wurde, sondern stellt auch heraus, auf welche Weise die birth figures selbst wiederum Einfluss auf frühneuzeitliches Körperwissen und die Vorstellungen von Schwangerschaft und Geburtshilfe genommen haben (9). Ihre Untersuchung verfolgt dabei zwei zentrale Zielsetzungen: "The first is to write a history of both the birth figure and the pregnant body that is not limited by discipline, that shows just how creative and interconnected thinking about this subject was for early modern people. The second is to pull objects that have historically been marginalized in histories - cheap, popular, anonymous, 'nonart' images, and the work and experience of women - into the center of focus, showing, in the process, how central they actually were to early modern epistemologies" (18). Hier sei bereits vorweggenommen, dass Whiteley beide Ziele überzeugend erreicht.

Untersucht werden vorranging Geburtsdarstellungen, die in Westeuropa vom Beginn des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Hebammenlehrbüchern und chirurgischen Abhandlungen abgedruckt wurden, angefangen bei Eucharius Rösslins "Der Swangern frawen und hebammen roszgarten" aus dem Jahr 1513 bis hin zu William Hunters "The Anatomy of the Human Gravid Uterus", das 1774 erstmals erschien. Auf die Einleitung folgen drei Hauptteile, die zeitlich aufeinander aufbauen. Der erste, aus zwei Kapiteln bestehende Teil beschäftigt sich mit den frühen gedruckten Geburtsdarstellungen von 1540 bis 1672. Zunächst beleuchtet Whiteley deren Verbreitung und zeigt auf, wie sie zu einem zentralen Bestandteil von Hebammenlehrbüchern wurden. Denn die Darstellungen erlaubten es den Hebammen, den weiblichen Körper oder vielmehr sein Inneres im Zustand der Schwangerschaft auf neue Weise zu visualisieren (44). Dabei blieben sie bis zum Ende des 17. Jahrhunderts "remarkably unchanged" (34) - sie wurden aufgrund ihrer hohen Nützlichkeit häufig kopiert, aber nicht modifiziert (36). Im zweiten Kapitel steht weniger die praktische Nutzung der Abbildungen im Rahmen der Geburtshilfe im Mittelpunkt, sondern vielmehr das, was sie über frühneuzeitliche Gesellschaften verraten. Nach Whiteley können die birth figures "as windows onto the rich and complex body culture of early modern England" (84) verstanden werden, durch die unter anderem Einflüsse aus Natur, Technik, Religion, Politik und Magie sichtbar werden.

Der zweite Hauptteil, der wiederum aus zwei Kapiteln besteht, nimmt dann die Jahre 1672 bis 1751 in den Blick. Die hier einsetzenden, grundlegenden Veränderungen in den Geburtsdarstellungen erklärt Whiteley mit einer fortschreitenden Verknüpfung medizinischer Theorien mit praktischen Erkenntnissen innerhalb der Lehrbücher: "[B]irth figures were adapted and diversified to communicate new discoveries, new understandings of the body, and new approaches to practice" (95). Überzeugend erarbeitet Whiteley diesen Befund anhand von vier Fallstudien über die Lehrbücher von François Mauriceau (1668), Cosme Viardel (1671), Justine Siegemund (1690) und Hendrik van Deventer (1701). Im vierten Kapitel fokussiert sie zum einen die "unique and curiously androgynous representation of the operative hand" (152), zum anderen die mit der Veröffentlichung von William Smellies "A Sett of Anatomical Tables" im Jahr 1754 einsetzende Abbildung von Geburtszangen. Aus den entsprechenden Geburtsdarstellungen leitet Whiteley ab, dass sich durch den Druck eine öffentliche beziehungsweise professionelle Geburtshelferpersönlichkeit herausgebildet habe. Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht durchgängig, da sie nur wenige Belege für die Existenz einer solchen über die Lehrbücher hinausgehende Expertenfigur liefert (139).

Der dritte Hauptteil besteht aus einem einzigen Kapitel, das nur noch rund zwanzig Jahre (1751-1774) thematisiert. Zentrale Akteure sind der schon erwähnte William Smellie, der häufig eher unterschätzte englische Arzt John Burton und der in den Augen Whiteleys aufgrund seiner anatomischen Abbildungen in seiner Einflussnahme auf die Geburtshilfe überbewertete William Hunter und dessen "The Anatomy of the Human Gravid Uterus" (1774) (186). Whiteley nimmt in diesem Kapitel die fortdauernde Bedeutsamkeit der Geburtsdarstellungen im 18. Jahrhundert in den Blick und argumentiert überzeugend, dass die birth figures nicht durch anatomische Darstellungen ersetzt worden seien, sondern "continued to characterize the discipline because they continued to be useful in both teaching midwifery and shaping how the profession was perceived" (215).

In der knappen Zusammenfassung am Ende spannt die Autorin einen aufgrund seiner Kürze nicht vollständig nachvollziehbaren Bogen von den frühneuzeitlichen Abbildungen zu heutigen Bildern des Ungeborenen und damit einhergehenden Gedanken über Rassismus und Entmachtung schwangerer Personen (218-220). Danksagung, Endnoten, Literaturverzeichnis und Register schließen die Studie ab. Ein Abbildungsverzeichnis und Anmerkungen zur Terminologie sind der Einleitung vorangestellt.

Rebecca Whiteleys Untersuchung zeichnet sich durch eine gute Lesbarkeit sowie gründliche und nuancierte Beschreibungen und (Neu-)Interpretationen frühneuzeitlicher birth figures, ihrer Erschaffer, ihrer Kontexte und ihrer Funktionen aus. Darüber hinaus liefert sie wichtige Erkenntnisse über frühneuzeitliches Körperwissen sowie das Verhältnis von Frauen und Männern auf dem Gebiet der Geburtshilfe in England, das sie weniger als von Konkurrenz dominiert, sondern vielmehr als häufig kollaboratives Arbeiten verstanden wissen will (91). Dabei geht ihre Arbeit über die bisherigen Ergebnisse der Forschung hinaus. Die zahlreichen Abbildungen bereichern die Darstellung zudem enorm und qualifizieren das Buch gar als Nachschlagewerk. Man möchte sich den Hoffnungen der Autorin anschließen, dass ihre Untersuchung in Zukunft als "a resource and a starting point for scholars working with birth figures in other places and periods, as well as those studying early modern England" (10) dienen wird.

Christina Schröder