Rezension über:

Nicolas D. Jackson: The First British Trade Expedition to China. Captain Weddell and the Courteen Fleet in Asia and Late Ming Canton, Hong Kong: Hong Kong University Press 2022, 206 S., 1 s/w-Abb., ISBN 978-988-8754-10-6, HKD 580,00
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Rezension von:
Hans van Ess
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Hans van Ess: Rezension von: Nicolas D. Jackson: The First British Trade Expedition to China. Captain Weddell and the Courteen Fleet in Asia and Late Ming Canton, Hong Kong: Hong Kong University Press 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 9 [15.09.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/09/37821.html


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Nicolas D. Jackson: The First British Trade Expedition to China

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Die Engländer gelten als Spätankömmlinge bei der europäischen Durchdringung Chinas in der Frühen Neuzeit. Für gewöhnlich beginnt eine Geschichte ihrer kolonialen Aktivitäten mit der Mission des Nordiren George Macartney, den George III. 1792 an den Hof des Kaisers Qianlong schickte, bzw. mit den beiden Opiumkriegen der Jahre 1839-42 bis 1856-60. Nicholas Jackson zeigt mit seiner Darstellung der ersten britischen Handelsexpedition nach China 1636-1639, dass die gängige Vorstellung einer Ergänzung bedarf. Schon viel früher versuchte England dort Fuß zu fassen. Die Expedition scheiterte allerdings, und John Weddell, der Kapitän einer aus vier großen und zwei kleineren Schiffen bestehenden Flotte, verschwand mit der von ihm kommandierten "Dragon" irgendwo im indischen Ozean zwischen den Küsten Indiens und Afrikas. Nur eines der vier Schiffe, die China tatsächlich erreicht hatten, kehrte nach England zurück. Der englische Wikipedia-Eintrag zu Weddell, der auf Basis eines Lexikoneintrags aus dem Jahr 1921 behauptet, Weddell sei wohlbehalten nach London zurückgekehrt und erst 1642 nach einer weiteren Seereise in Indien verschollen (https://en.wikipedia.org/wiki/John_Weddell; abgerufen am 8. Juni 2023), ist demnach zu korrigieren, wie so viele falschen Daten, die durch diese oft nachlässig zusammengestellte Quelle ad infinitum weitertransportiert werden.

In einem Prolog stellt Jackson die Konzeption seines Buches vor und führt in seine Quellen ein. Er stützt sich vor allem auf Reiseberichte der einzelnen Teilnehmer der Expedition und auf portugiesische Akten, die R.C. Temple für den dritten Band seiner Edition The Travels of Peter Mundy 1919 ins Englische übersetzt und ediert hat. Jackson schreibt, dass keiner seiner wissenschaftlichen Vorgänger sich mit chinesischen Quellen der Ming-Zeit beschäftigt habe. Er habe diese Lücke als erster gefüllt. Tatsächlich sind diese Quellen lückenhaft, denn die chinesische Historiographie funktionierte ausgerechnet in den Jahren der Weddell-Expedition nicht mehr so, wie sie das gewöhnlich tat. Das ist dem Zusammenbruch der Ming-Dynastie geschuldet, der sich nur sieben Jahre nach dem Eintreffen der Weddell'schen Flotte in Macao zutrug. Obwohl Jackson auf Fehler in den beiden rezenten chinesisch-sprachigen Aufsätzen von Wan Ming und Lawrence Wang-Chi Wong (Pinyin: Wang Hongzhi) hinweist, scheint es doch, dass er Zugang zu den chinesischen Originalquellen hauptsächlich über den Umweg dieser Aufsätze gefunden hat. Seine Versuche, chinesische Amtstitel und Namen aus englischen und portugiesischen Umschriften zu rekonstruieren sind verdienstvoll, wenn der Sinologe auch vielleicht manchmal zu anderen Schlussfolgerungen kommen könnte (Champin dürfte z.B. eher "jiangbing" 將兵 sein als "zongbing" 總兵 sein, Chincheo ist wohl nicht einfach Fujian, sondern könnte sich auf Quanzhou beziehen, und in Quan Moan, das Jackson nicht rekonstruiert, dürfte auf "guanmao x" 官貿x zurückgehen). Vielleicht ist bei gründlichem Suchen im Meer der chinesischen Geschichtsliteratur doch noch mehr zu finden.

Das Buch liest sich in seinen ersten sieben Kapiteln, die Zustandekommen und Durchführung der Expedition rekonstruieren, zum Teil spannend wie ein Kriminalroman. Im ersten Kapitel geht Jackson sowohl auf die historischen Hintergründe der europäischen Seemächte England, der Niederlande, Spanien und Portugal ein, vor denen Weddell in See stechen konnte, also auch auf die Zwistigkeiten der Kaufleute, die eifersüchtig über ihre Besitzungen in Asien wachten. Er beschreibt dann die Gründung der Courteen Association durch den Anglo-Holländer William Courteen, der gezielt Händler und Seeleute rekrutierte, die mit ihrer Behandlung durch die English East India Company unzufrieden waren. Konkurrenz und Missgunst zeichneten diese Epoche aus. Das dritte Kapitel schildert den Aufbruch der Flotte aus London, von denen eines der beiden kleineren Segelschiffe noch in Sichtweite Englands von türkischen Piraten gekapert und in die "Barbarei", also wohl an die nordafrikanische Küste oder direkt ins Osmanische Reich entführt wurde, wo man die Seeleute als Sklaven verkaufte. In Goa, dem großen portugiesischen Stützpunkt an der westindischen Küste, angekommen, warteten weitere Unbilden, denn die Portugiesen waren nicht willens den Engländern dieselben Handelsprivilegien zuzugestehen, die sie selbst errungen hatten. Die Nahrungsbeschaffung gestaltete sich oft schwer, und die Malaria tat ein Übriges dazu, dass im Frühjahr 1637, ein Jahr nach dem Aufbruch, "viele der wichtigsten Seeleute und wertvollen Handwerker" bereits ihr Leben gelassen hatten. Immerhin konnte eines der Langschiffe mit schwerer Ladung nach Hause zurückgeschickt werden, so dass die Flotte, die im Juli 1637 in der Nähe von Macao ankerte, nur noch aus vier Schiffen bestand. Das vierte Kapitel berichtet von den Verhandlungen, die die Engländer mit den Portugiesen führten, um eine Handelserlaubnis in China zu bekommen. Erschwert wurden diese durch die Sprachbarriere, die durch wenige portugiesische Dolmetscher, um deren Chinesisch es offenbar nicht zum Besten bestellt war, nur mühsam überwunden werden konnte. Bewegung kam in die Angelegenheit aber nicht, so dass die Engländer begannen, unter ernsthaften Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung zu leiden. Sie entsandten deshalb zunächst das verbliebene kleinere Segelschiff in Richtung Kanton, um sich nach dessen erfolgreicher Rückkehr dann, wie im fünften Kapitel erzählt, auf eigene Faust zur Perlflussmündung aufzumachen. Militärischen Widerstand von chinesischer Seite überwand die Flotte leicht, doch gelang es ihr nicht, in zufriedenstellender Weise Handel zu treiben oder an Nahrung zu gelangen. Stattdessen wurden sechs Mitglieder der Expedition in Kanton festgesetzt. In seinem siebten Kapitel berichtet Jackson, wie es Weddell gelang, diese wieder freizubekommen und mit Handelswaren nach Goa zurückzukehren, freilich nur aufgrund des Versprechens, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden und nie wieder nach China zurückzukehren.

In den Kapiteln acht und neun diskutiert Jackson die Frage, wie viel Ming China aus dem Besuch der Briten über Europa gelernt habe und wieviel umgekehrt die Engländer über China. Er kommt zu dem Schluss, dass die Reise für die europäische Seite erfolgreicher verlaufen sei. Die Schuld dafür, dass diese Chance interkulturellen Austausches verpasst wurde, sieht er vor allem auf Seiten der Portugiesen, die den freien Handel der Briten intrigant verhindert hätten. Zudem weist er darauf hin, dass die Briten, anders als dies in der Literatur oft dargestellt wird, der chinesischen Seite trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit schon damals militärisch haushoch überlegen gewesen seien. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Weltgeschichte des siebzehnten Jahrhunderts. Allerdings fragt sich der Leser manchmal, ob Jackson die Rolle der Briten nicht doch zu sehr durch die rosige Brille sieht: Auch wenn sie im direkten Kampf regelmäßig verloren, blieb es für die Chinesen ja kein Problem, die britischen Schiffe von der dringend benötigten Versorgung abzuschneiden. Die Überlegung, dass die Ming jenseits portugiesischer Sabotage selbst gute Gründe gehabt haben könnten, nicht noch mehr europäischen Handel an ihrer Küste zuzulassen, stellt Jackson nicht an. Für ihn steht der theoretische Nutzen des Austauschs außerfrage.

In einem Epilog vergleicht Jackson schließlich die Expedition von 1637 mit dem ersten Opiumkrieg 1839-1842 und kommt zu dem Schluss, dass beide Auseinandersetzungen sich verblüffend ähneln. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, am Schluss ein neutraleres Resümee zu ziehen und auf das Problem einzugehen, warum nach dem Scheitern der Courteen-Expedition von England bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kein nennenswerter Versuch mehr unternommen wurde, nach China vorzudringen. Insgesamt wirkt der zweite Teil des Buches manchmal etwas bemüht und fällt gegenüber dem fulminanten ersten Teil ab. Dennoch ist Jackson zu einem spannenden Buch zu gratulieren, das der Rezensent mit großem Gewinn gelesen hat.

Hans van Ess