Rezension über:

Ragnhild M. Bø / Jón Viðar Sigurðsson (eds.): The Cult of Saints in Nidaros Archbishopric. Manuscripts, Miracles, Objects (= Medieval Texts and Cultures of Northern Europe; Vol. 33), Turnhout: Brepols 2022, X + 344 S., 18 Farbabb., 4 Tbl., ISBN 978-2-503-59114-8, EUR 80,00
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Rezension von:
Christian Krötzl
Faculty of Social Sciences / History, Tampere University
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Christian Krötzl: Rezension von: Ragnhild M. Bø / Jón Viðar Sigurðsson (eds.): The Cult of Saints in Nidaros Archbishopric. Manuscripts, Miracles, Objects, Turnhout: Brepols 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 9 [15.09.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/09/37072.html


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Ragnhild M. Bø / Jón Viðar Sigurðsson (eds.): The Cult of Saints in Nidaros Archbishopric

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Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um die sehr willkommene Vorstellung neuerer hagiographischer Forschungen zum mittelalterlichen Erzbistum Nidaros (Trondheim). Die interdisziplinär ausgerichtete hagiographische Forschung erlebt derzeit auf internationaler Ebene einen starken Aufschwung, wobei jedoch zu vielen Regionen im Norden und Osten Europas noch kaum modern ausgerichtete Forschungsüberblicke in allgemein zugänglichen Sprachen vorliegen.

Dies trifft auch für das 1152/53 eingerichtete Erzbistum Nidaros zu, das schon allein von seiner Lage und Ausdehnung her von besonderem Interesse ist. Es handelt sich um ein stark maritim geprägtes Erzbistum, mit elf Bistümern in Norwegen sowie auf Island, Grönland, den Färöern, Orkney sowie auf der Isle of Man.

Das Gebiet stand seit jeher im Fokus der Skandinavistik sowie vor allem der Saga-Forschung, deren Forschungsergebnisse und Publikationen jedoch oft kaum oder erst mit grosser Verspätung in der internationalen Geschichtsforschung rezipiert wurden; leider trifft dies auch in umgekehrter Richtung zu. Die vorliegende Artikelsammlung stellt auch in dieser Hinsicht eine willkommene Ergänzung dar. Zu begrüssen ist auch die starke Ausrichtung auf das spätere Mittelalter (14.-15. Jahrhundert), das in der skandinavistischen sowie in der Saga-Forschung oft weniger Beachtung gefunden hat.

Die von den beiden Herausgebern des Bandes, der Kunsthistorikerin Ragnhild M. Bø und dem Historiker Jón Viđar Sigurđsson verfasste Einleitung bietet einen knappen, jedoch informativen Überblick über die Forschungslage zu den literarischen und materiellen Quellen des Erzbistums.

Von entscheidender Bedeutung waren die schweren Folgen, welche die Beulenpest von 1349 gerade in dieser Region hatte. Dies wird zwar kurz erwähnt; eine genauere Darstellung der Auswirkungen auf Kirche und Heiligenkult wäre jedoch angezeigt gewesen. Ein Charakteristikum für Nidaros wie auch für fast alle anderen Gebiete Skandinaviens war das Fehlen eines Bildersturmes bei der Reformation. Der Heiligenkult im Erzbistum Nidaros basierte im wesentlichen auf den allgemeinen Heiligen der lateinischen Kirche des Mittelalters, wobei zu rund hundert Heiligen liturgische oder narrative Texte und andere Quellen aus der Region vorliegen. Von wesentlichem Interesse sind vor allem auch die rund ein Dutzend einheimischen Heiligen - unter Einschluss von Kulten, die keine kirchliche Anerkennung fanden.

Inhaltlich lässt sich die Artikelsammlung in zwei Kategorien aufschlüsseln: zum einen handelt es sich um Fallstudien zu einzelnen Quellentexten, zum anderen um breitere Forschungsüberblicke zu bestimmten Quellenkategorien aus dem Gebiet des Erzbistums. Vor allem diese letzteren sind auch für ein weiteres internationales Publikum von grossem Interesse.

Mit dem Heiligenkult im südlichen Teil des Erzbistums Nidaros befasst sich die Keltologin Caitlin Ellis in ihrer längeren Untersuchung zum "Interplay between Saints, Bishops and Earls in Orkney" (111-141). Neben dem Hauptheiligen der Inselgruppe Magnus von Orkney, zu dem seit 2007 die umfassende Untersuchung von Haki Antonsson vorliegt [1], werden auch andere auf der Inselgruppe vertretene Kulte behandelt. Orkney stellt in vieler Hinsicht einen interssanten Schnittpunkt zwischen der lateinischen, der keltischen sowie der mit der Saga-Tradition verknüpften nordischen Hagiographie dar.

Zu den breiter angelegten Beiträgen gehört auch der informative Artikel der Nordistin Asdis Egilsdottir zu "Telling and Writing Miracles in Medieval Iceland" (195-212). Die Mirakelsammlungen der einheimischen heiligen Bischöfe Thorlakr, Jon Ögmundsson und Guđmundr Arason stellen mit ihren hunderten von Einzelberichten einen höchst interessanten und wichtigen Bestand dar, der zwar bekannt ist, jedoch im internationalen Vergleich nur auszugsweise untersucht worden ist. Man vermisst hier allerdings den Verweis auf die hervorragende Untersuchung von Joanna Skorzewska zum Kult des Bischofs Guđmundr Arason. [2]

Ebenso mit Island beschäftigt sich Sian Grønlie in ihrem anregenden Artikel "The Role of Saints in Remembering and Representing Icelands Conversion" (213-247), bei dem sie den Gründen für das Fehlen von isländischen Heiligen aus der Christianisierungsperiode nachgeht. Behandelt werden eine Reihe von potentiellen isländischen Missionsheiligen, darunter auch der in den Biskupa sögur gegen Ende des 10. Jahrhunderts erwähnte deutsche Bischof Friđrekr.

Ragnhild M. Bø präsentiert in ihrem Beitrag die kunsthistorischen Quellen zu den Kulten von Gertrud von Nivelles und Klara von Assisi im spätmittelalterlichen Norwegen (249-271). Diskutiert wird auch die Bedeutung der interregionalen Pilgerfahrten zur Getrudskapelle im dänischen Køge, für die auch Ablässe des Papstes (Gregor XIV.) und skandinavischer Bischöfe vorliegen. Interessant ist in diesem Beitrag vor allem die gelungene Verbindung der kunsthistorischen Analyse mit der Untersuchung der Wallfahrten und Ablässe.

Der Beitrag von Cornelia Spjelkavik Sparre über "The Miracles of Medieval Norway" (161-194) stellt eine gute Einführung in das Korpus der norwegischen Mirakelsammlungen und -berichte dar. Neben den Mirakeln, die dem Hl. Olav zugeschrieben werden, behandelt Sparre auch diejenigen, die Sunniva und Hallvarđr betreffen. Interessant ist auch die inhaltliche Analyse der Mirakelkategorien und betroffenen Personen, wobei der hohe Anteil der norwegischen Könige als 'Miraculés' (26 Fälle) ins Auge sticht, was die für Skandinavien typische politische Funktion des Heiligenkultes unterstreicht.

Ein auch für die Geschichtsforschung aufschlussreicher Beitrag ist die Untersuchung von Noëlle L.W. Streeton zum sogenannten 'Nachleben' von Skulpturen des mittelalterlichen Heiligenkultes in norwegischen Kirchen der frühen Neuzeit (273-307). Die weitgehend gegen den Willen der breiten Bevölkerung und von oben verordnete Reformation war in Norwegen wie auch im übrigen Skandinavien mit der weitgehenden Bewahrung des Skulpturenbestandes und dem Ausbleiben von Bilderstürmen verbunden. Während sich im wesentlich dichter bewohnten dänischen Teil des dänisch-norwegischen Königreiches die Kirchgemeinden besser kontrollieren liessen, war dies in den norwegischen Landgemeinden nicht möglich. Formen des Kryptokatholizismus und auch offen ausgeübte Wallfahrtsbräuche und kultische Verehrung von Heiligenskulpturen hielten sich bis ins 19. Jahrhundert. Die von Streeton untersuchten Mutilationen - vor allem Entfernungen von Nasen, in 30 Fällen (von 127) - werden von ihr denn auch nicht als Ausdruck der Einstellungen der Gemeindemitglieder, sondern als von oben verordnete Disziplinierungsmassnahmen interpretiert, mit denen die über viele Generationen hartnäckig tradierte kultische Verehrung der mittelalterlichen Heiligenbilder beendet oder eingeschränkt werden sollte.

Von alltags- und sozialgeschichtlichem Interesse ist der Beitrag der Skandinavistin Elise Kleivane zu den epigraphischen Funden in Norwegen mit hagiographischen Bezügen (Saints in Everyday Life. Epigraphy as a source for the Medieval Cult of Saints, 309-333). Das Korpus umfasst sowohl in Runen als auch mit lateinischen Buchstaben ausgeführte Inschriften und bezeugt die feste Verankerung des Heiligenkultes im Alltagsleben.

Weitere, spezifisch ausgerichtete Beiträge befassen sich mit norwegisch-isländischen Codices hagiographischen Inhaltes (Natalie M. Van Deusen und Kirsten Wolf, 17-51), dem Marienkult in der isländischen Mariu Saga (Christelle Fairise, 53-79) und dem liturgischen Officium für Olav den Heiligen (Aslaug Ommundsen, 81-110).

Es handelt sich insgesamt um eine sehr empfehlenswerte Publikation nicht nur für Spezialisten der nordischen Geschichte. Positiv hervorzuheben ist der interdisziplinäre Ansatz, auch wenn er nicht in allen Einzelbeiträgen verwirklicht wurde. Als Manko ist anzumerken, dass die an sich vielfältigen kulturellen Wechselwirkungen und hagiographischen Verbindungen mit dem übrigen Skandinavien und mit dem Hanseraum zwar hin und wieder kurz erwähnt, jedoch nicht diskutiert oder genauer dargestellt werden. Auch die neuere Forschung aus diesen Gebieten wird kaum referiert. Diese Einwände schmälern jedoch keineswegs den Wert des Sammelbandes.


Anmerkungen:

[1] Haki Antonsson: St Magnus of Orkney. A Scandinavian Martyr-Cult in Context (= The Northern World, 29), Leiden 2007.

[2] Joanna A. Skorzewska: Constructing a Cult. The Life and Veneration of Guđmundr Arason (1161-1237) in the Icelandic Written Sources (= The Northern World, 51), Leiden 2011.

Christian Krötzl