Rezension über:

Beata Możejko: Peter von Danzig. The Story of a Great Caravel, 1462-1475 (= The Northern World. North Europe and the Baltic c. 400-1700 AD. Peoples, Economies and Cultures; Vol. 86), Leiden / Boston: Brill 2020, X + 308 S., ISBN 978-90-04-35810-2, EUR 161,57
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Rezension von:
Bart Holterman
Deutsches Schifffahrtsmuseum/Leibniz-Institut für Maritime Geschichte, Bremerhaven
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Bart Holterman: Rezension von: Beata Możejko: Peter von Danzig. The Story of a Great Caravel, 1462-1475, Leiden / Boston: Brill 2020, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 6 [15.06.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/06/38183.html


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Beata Możejko: Peter von Danzig

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In der mittelalterlichen Geschichtsschreibung ist es wegen Quellenmängel sehr selten möglich, ein ganzes Buch der Geschichte eines einzelnen Schiffes zu widmen. Die 13-jährige Geschichte der Peter von Danzig bildet jedoch eine große Ausnahme. Das ursprünglich französische Handelsschiff Pierre de la Rochelle strandete 1462 aufgrund von Beschädigungen im Hafen von Danzig (Gdańsk), wurde durch den Danziger Rat beschlagnahmt und mit dem Namen Peter von Danzig im hansischen Kaperkrieg gegen England eingesetzt. Die kontroverse Karriere des Schiffes hat eine gewaltige Menge an Schriftquellen verursacht, die es möglich macht, ihre Geschichte genauestens nachzuverfolgen. Beata Możejko schreibt dazu in ihrer hier zu besprechenden Studie: "it is unquestionably the most interesting and best illustrated history of an individual vessel of the period. No similar information about the fate of captains/commanders and crews from this city is available on a comparable scale until the modern period" (287).

Die Bedeutung des Buches geht wegen der großen Menge an Details über eine reine Schiffsgeschichte weit hinaus und bietet zum Beispiel vielfältige Einblicke in die Organisation und Finanzierung der europäischen Handels- und Kriegsschifffahrt sowie in die internationale Diplomatie und Konfliktlösung im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit. Zudem wurden das Schiff und sein letzter Kapitän Paul Beneke im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der nationalistischen Geschichtsschreibung als glänzende Beispiele für die Durchsetzung deutscher Interessen gegen ausländische Mächte gesehen. Der Umschlag zeigt eine entsprechende Illustration (Alexander Kirchers Paul Beneke siegt über die englische Flotte). Somit sind die hier geschilderten Zusammenhänge für die historische Forschung des Ostseeraums in der Neuzeit generell von Bedeutung. Allein schon deswegen ist es lobenswert, dass durch die englische Übersetzung des ursprünglich polnischsprachigen Buches [1] diese sehr detaillierte Rekonstruktion der Schiffsgeschichte einem internationalen Publikum zugänglich gemacht wird.

Die Studie stützt sich auf einen umfangreichen Bestand an sowohl veröffentlichten (Hanserezesse, Hansisches Urkundenbuch) als auch unveröffentlichten Quellen aus Archiven in Danzig, Berlin, Brügge, Florenz, Lübeck und London. Die Verfasserin bleibt dabei sehr nah an den Quellen, die in chronologischer Reihenfolge so detailliert wie möglich beschrieben werden, ergänzt durch viele Tabellen. Der Hauptteil des Buches ist in drei Kapitel gegliedert, die den drei Hauptepisoden in der Geschichte der Peter von Danzig entsprechen: erstens ihr Ursprung als Handelsschiff aus La Rochelle, die Havarie auf der Danziger Reede und die erfolglosen Versuche der französischen Eigentümer, das Schiff zu reparieren und zu repatriieren; zweitens die Beschlagnahmung des Schiffes durch den Danziger Rat, der es zum Kriegsschiff umbauen ließ und unter Befehl von Berndt Pawest im hansisch-englischen Krieg in der südlichen Nordsee und im Ärmelkanal einsetzte; drittens die Übernahme der Führung des Schiffes durch Beneke, der eine italienische Galeere unter burgundischer Flagge kaperte und damit eine diplomatische Krise auslöste, in welche die Medici-Bank und die päpstliche Kurie einbezogen waren. In einem Epilog behandelt Możejko zudem die Nachwirkung der Kontroversen auf diplomatischer Ebene bis ins 16. Jahrhundert hinein. Es wäre hilfreich gewesen, wenn die sehr langen ersten zwei Kapitel mit Zwischentiteln weiter untergliedert worden wären, wie es für das dritte Kapitel schon geschehen ist.

Obwohl die Verfasserin sich größtenteils auf eine chronologisch-beschreibende Herangehensweise beschränkt, wird bisweilen auch der historiografische Kontext einbezogen. So setzt sich Możejko vor allem mit der Arbeit von Otto Lienau kritisch auseinander, der sich 1942 an einer Rekonstruktion der Peter von Danzig versuchte, die er als Vorbild für die Einführung des Schiffstyps der Karavelle im Ostseeraum ansah. Die Verfasserin betont jedoch zu Recht, dass seine Rekonstruktionsversuche auf Spekulationen beruhten, für die sich in den Schriftquellen kaum Anhaltspunkte finden lassen. Forschungen zu Veränderungen im Schiffsbau müssten demnach hauptsächlich durch archäologische Untersuchungen vorangetrieben werden. (23, 288).

Nur kurz thematisiert wird die problematische Schilderung des Schiffes und der Person Benekes während des 19. Jahrhunderts und der NS-Zeit (243f.). Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesem Thema wäre jedoch wünschenswert gewesen - vielleicht jedoch würde dies eine eigene Studie erfordern. Auch zu den Diskussionen der letzten Jahre über Schiffstypen, Kaperfahrt und Piraterie sowie Konfliktbewältigung positioniert sich Możejko nicht, obwohl die Peter von Danzig dafür hervorragende Anknüpfungspunkte geboten hätte. Dieses Versäumnis könnte natürlich darauf zurückgeführt werden, dass es sich um die Übersetzung eines bereits 2011 erschienenen Buches handelt. Allerdings werden die entsprechenden Arbeiten von unter anderen Reinhard Paulsen, Gregor Rohmann und Justyna Wubs-Mrozewicz zu diesen Themen in der Bibliografie und im Kapitel "Further Reading" durchaus schon erwähnt.

Eine gründlichere Redaktion hätte der Übersetzung gutgetan. So ist der Text geprägt von einem komplizierten Satzbau. Störender für den Lesefluss sind jedoch die zahlreichen Schreibfehler in fremdsprachigen Zitaten und Literaturtiteln sowie die inkonsequente Schreibweise von Orts- und Personennamen. So wird zum Beispiel die Stadt Zierikzee in der niederländischen Provinz Zeeland auf Seite 207 als "Zieriksee (a province of Zeeland)" erwähnt sowie auf Seite 221 "Zierixee" geschrieben. Die Tabellen 6 (zur Ausrüstung des Schiffes) und 7 (zu Ausgaben und Einnahmen im Zusammenhang mit seiner Reparatur) sind wegen der vielen unübersetzten deutschen Zitate und niederdeutschen Quellenbegriffe für Nicht-Spezialisten kaum zu verstehen.

Im Endeffekt sind dies jedoch lediglich Schönheitsfehler, die den wichtigen Beitrag des Buches zu der Geschichte der Hanse und des Ostseeraums keineswegs schmälern. Die sachliche und präzise Rekonstruktion der Schiffsgeschichte bietet ein Gegenstück zur älteren, ideologisch aufgeladenen und spekulativen Literatur und ist für jeden, der an unterschiedlichen Aspekten der spätmittelalterlichen Schifffahrt und internationalen Diplomatie interessiert ist, sehr nützlich.


Anmerkung:

[1] Beata Możejko: Peter von Danzig. Dzieje wielkiej karaweli 1462-1475, Gdańsk 2011.

Bart Holterman