Rezension über:

Heike Eipeldauer / Franz Thalmair (Hgg.): Kollaborationen, Wien: Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig 2022, 239 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7533-0261-4, EUR 29,80
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Rezension von:
Alexa Dobelmann
Staatsgalerie Stuttgart / Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Christian Berger
Empfohlene Zitierweise:
Alexa Dobelmann: Rezension von: Heike Eipeldauer / Franz Thalmair (Hgg.): Kollaborationen, Wien: Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 6 [15.06.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/06/37805.html


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Heike Eipeldauer / Franz Thalmair (Hgg.): Kollaborationen

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Der Katalog zur Ausstellung Kollaborationen, die vom 2. Juli bis 6. November 2022 im mumok in Wien stattfand, behandelt das Thema der gemeinschaftlichen Kunstproduktion auf vielfältige Weise. Neben einem Essay von Rachel Mader und einer Einführung der Kurator*innen und Herausgeber*innen Heike Eipeldauer und Franz Thalmair umfasst die Publikation den für dieses Medium üblichen Katalogteil. Dieser konventionelle Aufbau verschleiert jedoch zunächst das spannendste Moment: Die Werktexte sind von unterschiedlichsten Personen geschrieben.

Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen des Museums, wie der Wissenschaftsabteilung, dem Ausstellungsmanagement, der Kunstvermittlung, der Bibliothek sowie aus den Reihen des Aufsichtspersonals, haben neben diversen Akteur*innen aus dem internationalen Kulturbetrieb kurze Werktexte verfasst. Das interne und externe Netzwerk der Ausstellungsmacher*innen wird auf diese Weise sichtbar und die Expertisen akkumulieren sich in der kollektiven Arbeit. Dies verdeutlicht auf anschauliche Weise, welche Teamarbeit in einer Ausstellung und dem dazugehörigen Katalog liegt, und bietet unterschiedliche Sichtweisen auf Kunst.

Gerade weil sich die kunsthistorische Forschung dem Phänomen und dem Begriff des Netzwerks in den letzten Jahrzehnten zunehmend gewidmet hat, erscheint der Begriff immer noch als Buzzword für Publikationen, Tagungen und Ausstellungen. Eng mit ihm verbunden stellt die Kollaboration ein Handlungs- und Denkmodell dar, welches noch nicht umfänglich erforscht ist. So unternimmt Mader in Die Kunstgeschichte der Kollaboration (8-16) eine Einordnung aus kulturpolitischer und kunsthistorischer Perspektive. Die Professorin an der Kunsthochschule Luzern kann als Spezialistin für das Thema im deutschsprachigen Raum bezeichnet werden und hat bereits diverse Publikationen dazu verfasst. [1] In ihrem Beitrag geht sie auf die gängige Forschungsliteratur ein und setzt den Beginn der kunstwissenschaftlichen Erforschung kollektiver Praktiken in der Kunst bei Arthur C. Danto (1964) und Howard S. Becker (1982) an. Diese Datierung stimmt mit dem Fokus der Ausstellung auf Fluxus und die Kunst der 1960er und 1970er Jahre überein und legt somit eine ungefähr zeitgleiche Beschäftigung in der Kunsttheorie und Soziologie nahe.

Mader führt in ihrem Essay ein breites Vokabular ein, das von Cluster, Gruppe bzw. Gruppierung über Kollaboration, Kollektiv, Komplizen, Kooperation, Netzwerk und Paar bis hin zum Verbund reicht. Warum für welches Fallbeispiel welcher Begriff verwendet wird, erschließt sich nicht und die Autorin strebt auch keine allgemein gültige Abgrenzung an. Dies spiegelt sich auch in ihrer These wider: Charakteristika kollaborativer Prozesse seien vielseitig, was zu einer großen Heterogenität führe (12). Die dadurch zwangsläufig komplexe Forschung steht verhältnismäßig am Anfang und kann auf diese gelungene Einführung bauen. Die Autorin arbeitet einige Problematiken, wie eine teilweise fehlende programmatische Ausrichtung der Zusammenschlüsse bzw. nicht vorhandene Äußerungen zu deren theoretischen Hintergründen deutlich heraus. Dies gelingt ihr auf eine konstruktiv positive Weise, ohne in eine utopische Implikation zu verfallen, was in ihrem Schlusssatz kulminiert: Kollaboration kann "als Korrektiv [...] wirken in einem Feld, in dem Einmaligkeit und Personenkult weiterhin floriert." (16).

Eipeldauer und Thalmair betonen in ihrer Einführung die positive Kraft, die von einer gemeinschaftlichen Praxis ausgehen kann und stellen heraus, was die Leser*innen von der ausgestellten bzw. im Katalog angeführten Kunst lernen können. Ihre Kritik richtet sich dabei insbesondere auf die zunehmenden neoliberalen Strukturen im Kunstbetrieb und in der Gesellschaft im Allgemeinen (35). Den Lesenden wird zu Beginn ein Fragenkatalog an die Hand gegeben, mit dem die gesellschaftliche Relevanz kollektiver Kunstpraxis betrachten werden kann. Wichtig erscheint den Kurator*innen die Frage nach der Autor*innenschaft, die sie exemplarisch anhand von Fluxus thematisieren und damit den Netzwerk-Charakter dieser heterogenen künstlerischen Tendenz betonen. Sie geben somit einen spannenden Lösungsvorschlag in der Frage: Was war/ist Fluxus? [2]

Den 2007 von Maria Lind ausgerufenen "Collaborative Turn" [3] anführend, gelingt es Eipeldauer und Thalmair aufzuzeigen, dass kollaborative Kunstproduktion kein Phänomen der letzten Jahre ist. Ob jeder neue Blickwinkel in der Kunstgeschichte einer "Wende" bedarf, sei gleichwohl dahingestellt.

Als eine der wichtigsten Herausforderungen beschreiben die Autor*innen die Frage der Zuschreibung. Dies zeigt sich auch im Katalogteil: An manchen Stellen sind alle/einige beteiligte Namen als Künstler*innen im Titelfeld aufgelistet, wie bei Fluxus 1 (Yearbox) (132). Hingegen sind bei Aspen no. 8 (130) lediglich Dan Graham als Herausgeber und George Maciunas als Designer angegeben. Wie diese namentlichen Einschreibungen von Personen und weitere hierarchische Strukturen innerhalb der Gefüge wirken, reflektieren die Autor*innen durchaus (36; 38). Dennoch wäre eine einheitlichere Redaktion wünschenswert gewesen.

Die im Katalog enthaltenen Arbeiten sind in neun Kategorien gegliedert. Trotz der Bearbeitung durch unterschiedliche Personen ermöglichen die Texte einen angenehmen Lesefluss ohne größere Redundanzen. Manche Texte stechen durch besondere Prägnanz hervor, bei anderen wird die Zugehörigkeit zum Ausstellungsthema weniger stark deutlich. Lobend hervorzuheben ist besonders jener von Manuela Ammer - ebenfalls Kuratorin im mumok -, der es auf einer halben Seite gelingt, die mehrteilige Arbeit Something in the Wind von Ree Morton griffig zu beschreiben, Interpretationsansätze zu bieten und sie sowohl in den größeren Kontext der Ausstellung als auch der Kategorie "Soziale Netzwerke und Konnektivität" einzubinden (168). Martha Horvath von der Universität Wien und Simone Moser, Bibliotheksleiterin des Museums, gehen in ihrem gemeinschaftlich verfassten Text auf 557,087 und 955,000 ein. Diese experimentellen Ausstellungsprojekte werden im Katalog Lucy R. Lippard als Autorin zugeschrieben. Die beteiligten Künstler*innen werden an dieser Stelle jedoch nicht erwähnt. Ob dies aus Gründen der besseren Lesbarkeit geschieht oder weil es als weniger relevant eingestuft wurde, kann nur vermutet werden. Die Kritikerin und Kuratorin führt jedoch in den Karteikartenkatalogen auch Künstler*innen auf, die nicht in die Ausstellungen in Seattle und in Vancouver aufgenommen werden konnten. Bezieht man das auf die Publikation Kollaborationen, so wünscht man sich eine Fortführung, die über den Sammlungsbestand des mumok hinausgeht und die das Thema noch tiefer in der kunsthistorischen Forschung verankert.


Anmerkungen:

[1] Siehe etwa Rachel Mader (Hg.): Kollektive Autorschaft in der Kunst. Alternatives Handeln und Denkmodell, Bern 2012; Rachel Mader: Neue Verbindlichkeit. Kunstkollektive im 21. Jahrhundert, in: Geteilte Arbeit. Praktiken künstlerischer Kooperation, hg. von Magdalena Bushart / Henrike Haug, Köln 2020, 263-279; Rachel Mader: Das Kollektive in der Kunst zwischen Autor:innenschaft, Arbeitsorganisation, Systemkritik und Gesellschaftsentwurf, in: Journal of Literary Theory 16/1 (2022), 174-195.

[2] Vgl. hierzu auch Natilee Harren: Fluxus Forms. Scores, Multiples, and the Eternal Network, Chicago und London 2020.

[3] Maria Lind: The Collaborative Turn, in: Taking the Matter into Common Hands. On Contemporary Art and Collaborative Practices, hg. von Johanna Billing / Maria Lind / Lars Nilsson, London 2007, 15-31.

Alexa Dobelmann