Rezension über:

Rolf Sachsse: Leuchtende Farben. Frühe Lichtbildreihen zu Krupp (= Essay und Archiv. Schriftreihe des Historischen Archivs Krupp; Bd. 5), Münster: Aschendorff 2022, 35 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-402-22482-3, EUR 9,95
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Rezension von:
Carola Hoécker
Buch & Museum, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Carola Hoécker: Rezension von: Rolf Sachsse: Leuchtende Farben. Frühe Lichtbildreihen zu Krupp, Münster: Aschendorff 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 6 [15.06.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/06/37359.html


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Rolf Sachsse: Leuchtende Farben

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2021 wurde "Essay und Archiv" als Schriftenreihe des Historischen Archivs Krupp ins Leben gerufen. In ihr machen Experten einer breiten Öffentlichkeit die Bestände eines der ältesten deutschen Firmenarchive zugänglich - in prägnanter Form und unter verschiedenen Blickwinkeln. Im vorliegenden fünften Band untersucht der Foto- und Medienhistoriker Ralf Sachsse Lichtbildserien aus den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts zu den Krupp-Werken in Essen. Die massenhaft hergestellten Glasplattendias wurden, als sie technisch überholt waren, zumeist nicht aufbewahrt, weshalb sie heute eine Rarität darstellen und als Serien oft unvollständig erhalten sind. Anschaulich beschreibt Sachsse in dem schmalen Buch ihre Entstehung und Kolorierung sowie die Projektionsvorträge, die nicht nur zu Bildungs- und Unterhaltungszwecken, sondern im Fall von Krupp auch zum Anwerben von Personal dienten.

Die von Hand kolorierten Diapositive, in den abgebildeten Herstellerprospekten Laternbilder genannt, zeigen vornehmlich Innenansichten der Krupp-Fabriken und Produktionsabläufe. Sachsse erläutert kurz die technischen Voraussetzungen und den Vorführapparat, das sog. Skioptikon, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts durch die Erfindung der Fotografie und Elektrotechnik zu einem populären Medium entwickelte. Dabei stellt er interessante Bezüge zu anderen Epochen und Vorläufern her, wie z.B. den Bildleinwänden mittelalterlicher Bänkelsänger.

Die breite Volksbildungsbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts und die technische Entwicklung der Bildapparate führten zum Masseneinsatz von Lichtbildvorführungen. Vortragsredner und Wanderlehrer - anscheinend gab es darunter keine Frauen - zogen mit Projektoren und Bildserien durch Deutschland, um zu unterhalten und zu unterrichten. Auch die Arbeit in Krupps Fabriken, die man auf diese Weise quasi virtuell besuchen konnte, wurde Teil dieser Volksbildung. Nach 1900 führte man auch in den Krupp-Werken Lichtbildvorträge zu betrieblichen Bildungszwecken durch.

Sachsse wartet mit eindrucksvollen Zahlen beim Vortragswesen auf. Er rechnet hoch, dass um 1910 in Deutschland mehrere Millionen Dias in Bildungseinrichtungen, bürgerlichen Casinos und Wirtshäusern gezeigt wurden. Das Vortragswesen im Zusammenspiel von Text und Bild war somit eines der wichtigsten Events dieser Zeit. Dies verlief vermutlich in anderen Industriestaaten, wie z.B. Großbritannien, ähnlich. Ein Vergleich wäre hier aufschlussreich gewesen.

Die Lichtbilder selbst wurden in Fließband-Arbeit, meist von Frauenhand, koloriert. Dazu präsentiert Sachsse zahlreiche Bildbeispiele. Die Farbe Blau wurde für Eisen und Stahl eingesetzt, das flüssige Eisen hingegen erhielt eine abgestufte Farbskala von gelb zu orange. Das verlieh den Bildern eine plakative Bonbonfarbe, was für deren Projektion hilfreich war, und einen künstlerischen Ausdruck. Denn bei einem Bildvortrag waren Lichtquelle und Bildträger entscheidend, wie Sachsse durch den Vergleich der Farbwirkung zwischen einem Gemälde von Heinrich Kley und einem Dia der Liesegang-Serie veranschaulicht.

Im Krupp-Archiv befinden sich mehrere Bildserien, die in Vorträgen zur Projektion genutzt wurden. Vier von ihnen zeigen ausschließlich Arbeiten in den Krupp-Werken, darunter wenige Außenansichten. Die älteste Serie stammt von der Firma Liesegang aus Düsseldorf mit 37 überlieferten, farbigen Bildern von 1903. Zu allen Serien gehört ein Textheft, aus dem der Vortragende den jeweils passenden Text zum Dia vorlas. Zu einer anderen Serie mit farbigen Diapositiven zählen die sog. Seestern-Lichtbilder des Verlags E.A. Seemann in Leipzig von 1911, bei dem das Textheft nicht überliefert ist. Exemplarisch beschreibt Sachsse diese zwei farbigen Serien, er vergleicht die handkolorierten Dias mit der ursprünglichen Schwarz-Weiß-Fotografie und stellt sie Gemälden der Zeit gegenüber, die Innenansichten der Fabrikhallen mit Arbeitern zeigen. Die Bildserien machen die einzelnen Arbeitsschritte der Stahlherstellung visuell nachvollziehbar, am eindrucksvollsten sind das Gießen und Walzen, bei dem die Funken sprühen. Sie sind wie Höllenfeuer koloriert, und man vermeint, das Dröhnen und Zischen in den Fabrikhallen förmlich zu hören. Um Grautöne in dunklen, schlecht belichtbaren Bereichen nachvollziehen zu können, mussten Lichtbilder mit Stift und Farbe nachbearbeitet werden, was ihnen an manchen Stellen malerische Züge verlieh. Dies wird auf Seite 21 an Bild Nr. 7 und wohl Nr. 8 (laut Sachsse auf Seite 18 an Bild Nr. 9, das es aber nicht gibt) verdeutlicht.

Die farbigen Lichtbilder machten die dargestellten Arbeiten wesentlich attraktiver. Im Mittelpunkt dieser industriellen Inszenierung standen die Stahlarbeiter, die in Schutzkleidung Materialen mit faszinierender Technik offensichtlich mühelos bearbeiteten und Teil des Fortschritts waren. Sie produzierten eindrucksvolle Werkstücke der Schwerindustrie, wie Schiffsteile, Panzerplatten und Eisenbahnräder. Doch mussten sie in ihren Bewegungen in den dunklen Hallen minutenlang innehalten, damit die Fotografien wegen der langen Belichtungszeit nicht verwackelten, was nicht immer gelang.

Wie hießen die abgebildeten Arbeiter, wie lange arbeiteten sie bei Krupp und in welchen Verhältnissen lebten sie? Biografische und soziale Hintergründe sind jedoch nicht Thema von Sachsses Untersuchung. Gerne hätte man wenigstens die abgebildeten Dias vergrößert und genauer betrachtet. Das Historische Archiv Krupp hat sie auf seinem Portal leider nicht online gestellt, auch nicht in der Deutschen Digitalen Bibliothek, wo schon viele Archive und Museen ihre Bestände, darunter auch Glasplattendias, zugänglich gemacht haben.

Dies darf aber nicht dem Autor vorgeworfen werden, dem es auf wenigen Seiten gelingt, einen informativen Überblick zu handkolorierten Dias und deren Nutzung zu geben, an dem weitere Studien anknüpfen können.

Carola Hoécker