Rezension über:

Philippe Braunstein (a cura di): Alvise Mocenigo Dalle Gioie ambasciatore di Venezia. Lettere e dispacci dalla Germania e dalla Francia 1502-1506 (= Fonti per la storia di Venezia), Roma: viella 2021, 363 S., 7 s/w-Abb., ISBN 978-88-3313-842-8, EUR 39,00
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Rezension von:
Tobias Daniels
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Daniels: Rezension von: Philippe Braunstein (a cura di): Alvise Mocenigo Dalle Gioie ambasciatore di Venezia. Lettere e dispacci dalla Germania e dalla Francia 1502-1506, Roma: viella 2021, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 4 [15.04.2023], URL: https://www.sehepunkte.de
/2023/04/36556.html


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Philippe Braunstein (a cura di): Alvise Mocenigo Dalle Gioie ambasciatore di Venezia

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Obwohl die venezianische Diplomatie als besonders ausgefeilt gilt [1], sind die Korrespondenzen ihrer Botschafter (im Unterschied zur Auslaufkorrespondenz der verschiedenen Stadtgremien) bekanntlich rar überliefert; im Vergleich etwa mit den Mailänder Gesandtschaftsberichten setzen diejenigen der Serenissima viel später ein, und oftmals handelt es sich um sogenannte Finalrelationen. [2] Im Zuge der Prominenz der Diplomatiegeschichte in den letzten Jahrzehnten sind auch in Venedig wichtige editorische Unternehmungen auf den Plan getreten. [3] Oft sind die venezianischen Berichte in Privatarchiven überliefert, so auch (zum Teil) diejenigen des Alvise Mocenigo dalle Gioie, welche den Kenntnisstand der venezianischen Diplomatie mit dem französischen Königshof Ludwigs XII. und dem Hof des römisch-deutschen Königs Maximilian I. erheblich erweitern.

In Philippe Braunstein haben sie den für diesen Kontext perfekten Bearbeiter gefunden.

Mit allumfassender venezianischer Archivkenntnis zeichnet Braunstein zunächst auf knapp 100 Seiten, also praktisch in monographischer Form, ein Portrait des Alvise Mocenigo, von seinen Anfängen in den 1480er Jahren über die zwei Missionen ins Reich 1503-04 und nach Frankreich 1506 bis zu seinem Tod 1541 (zu den Funden gehört auch das im Anhang edierte Testament, 343f.).

In dem Buch werden zwei unterschiedliche Briefcorpora zusammengebracht: Erstens die Missiven, welche Mocenigo 1502 bis 1506 an seinen Schwiegervater Michele Foscari schrieb, und zweitens jene an die Signoria von Venedig in den Jahren 1505 bis 1506, die in der Casa Natale di Antonio Rosmini in Rovereto überliefert sind und den eigentlichen scoop darstellen. Faszinierend ist an der Lektüre die Möglichkeit, ein- und dieselbe Person in unterschiedlichen kommunikativen Rollen im Spiegel ihrer Korrespondenz beobachten zu können.

Die erste Reise ins Reich und nach Flandern (bisher bekannt nach den Aufzeichnungen in Sanudos Diarii, erfasst in den Wiesflecker'schen Maximilian-Regesten) wird nun aus den bisher unedierten Briefen Mocenigos selbst neu perspektiviert. Aus dem Reich und Flandern schreibt er an seinen Schwiegervater, und zwar dezidiert als Kaufmann: Es geht um Schiffsladungen mit Tuchen, Wein, Ingwer, Muskat, Pfeffer, aus Kreta, Albanien, Damaskus; man liest von Geschäftsträgern in Portugal und arabischen Seeleuten in Nordafrika. Mocenigo beschreibt die Mühsal seines Weges (über Innsbruck, Augsburg, wo er lange bleibt und viel schreibt, Köln nach Antwerpen und zurück): Schlechte Wege, Diebe, teure Herbergen und Seuchen stören ihn in Worms (Nr. 5, 110); einen Mangel an Gewürzen erkennt er in Nürnberg, wo sich seiner Wahrnehmung nach täglich, ähnlich wie in Venedig, Händler aus Böhmen, Österreich, Schwaben, Polen, Dänemark einfinden, wenn die Frankfurter Messe bevorsteht (Nr. 23, 129f.). Das ist die Marktlücke: Bei den Preisen müssen wir mit Pfeffer einsteigen, aber alles hängt von der Warenmenge ab, die bald aus Portugal kommen wird (Nr. 26, 132f.)! Die Marktkalkulation reicht vom Atlantik und dem Mediterraneum bis nach Russland (Nr. 27, 133f.). Daneben persönliche Befindlichkeiten: Immer wieder fragt er nach dem Wohlergehen seiner Frau daheim; am Ende der Reise ist er froh, dass sie vorbei ist und er nicht mehr dorthin zurückkehren muss. Sehr oft werden die Fugger genannt, nicht nur als Bankiers und Händler, sondern auch als Brieftransporteure; dann auch weitere Kaufleute, etwa die Regensburger im Fondaco de' Tedeschi.

Wie anders die Korrespondenz Mocenigos als offizieller Gesandter der Serenissima am französischen Königshof! Der geschäftliche Hintergrund lässt sich nur erahnen, dort, wo es am Rande um schiffbrüchige oder durch Piraten gekaperte Galeeren (u.a. Luxustransporte in der Normandie) geht. Vor allem aber berichtet er hier von den politischen Vorgängen im europäischen Horizont, vom Zeremoniell, Unterredungen, trifft Zelebritäten wie Philippe de Commynes oder Vincenzo Querini, Florentiner, Bolognesen, päpstliche Legaten, aber auch Gesandte des römisch-deutschen Königs. Die Italienischen Kriege stehen hier im Vordergrund; sehr präsent sind die Erwägungen über den angeblich bevorstehenden Romzug Maximilians, geradezu filmreif die Schilderung der Gespräche in Bourges am 8. April 1506, als Neuigkeiten aus dem Reich kommen und Ludwig XII. dem Venezianer in persönlicher Rede maliziös lächelnd unterbreitet: "Der König der Römer hat ein Motto, das heißt: 'Entweder Kaiser oder nichts' (nihil). Wir versprechen es euch, am Ende wird er 'nihil' sein!"; - "und dieses 'nichts' wiederholte er mir gegenüber zehnmal"! (Nr. 61, 228ff., hier 229: "et subridendo mi disse: 'El Re de' Romani ha un motto che dice: 'O Cesaro o nihil'"; vi promettemo che ala fine el sarà 'nihil'", et replicomi X volte questo 'nihil'" ('aut Caesar aut nihil' war der Wahlspruch des Cesare Borgia). Eigene Gefühlsäußerungen entfahren dem Orator hier kaum, bis auf Beschwerden über "le pioze et freddo" (Nr. 70, 241f.).

Zusammengenommen mit den Wiesflecker'schen Regesten, den Reichstagsakten, den Arbeiten von Höflechner, Noflatscher und anderen, gibt diese großartige Edition, in der es viel zu entdecken gibt [4], der Forschung neues Material an die Hand, um die europäische Wirtschafts- und Politikgeschichte an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit in größerer Tiefe zu analysieren, als dies bisher geschehen konnte.


Anmerkungen:

[1] Donald E. Queller: The Office of Ambassador in the Middle Ages, Princeton 1967; Christina Lutter: Politische Kommunikation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495-1508), Wien 1998; Isabella Lazzarini: Communication and Conflict. Italian Diplomacy in the Early Renaissance, 1350-1520, Oxford 2015.

[2] Luigi Firpo (Bearb.): Relazioni di ambasciatori veneti al senato. Tratte dalle migliori edizioni disponibili e ordinate cronologicamente, Bd. 2: Germania (1506-1554), Bd. 3: Germania (1557-1654), Turin 1968-1970; Helmut Goetz: Die Finalrelation des venezianischen Gesandten Michele Suriano von 1555, in: QFIAB 41 (1961), 235-322.

[3] Francesca Ortalli (Bearb.): Lettere di Vincenzo Priuli, Capitano delle galee di Fiandra al Doge di Venezia, 1521-1523, Venedig 2005; Marino Zorzi (Bearb.)/Viola Venturini (Übers.): Girolamo Donà. Dispacci da Roma, 19 gennaio-30 agosto 1510, Venedig 2009; Joël Blanchard/Giovanni Ciappelli/Matthieu Schermann (Bearb.): La correspondance de Girolamo Zorzi, ambassadeur vénitien en France, Genf 2020.

[4] Etwa zur Gesandtschaft Maximilians zum französischen König (bei dem nicht identifizierten "miser Aider" handelt es sich um Dr. Heinrich Haiden).

Tobias Daniels