Rezension über:

Kersti Markus: Visual Culture and Politics in the Baltic Sea Region, 1100-1250 (= East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450-1450; Vol. 63), Leiden / Boston: Brill 2020, XVII + 411 S., ISBN 978-90-04-42616-0, EUR 143,00
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Rezension von:
Sarah Jacob
Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Sarah Jacob: Rezension von: Kersti Markus: Visual Culture and Politics in the Baltic Sea Region, 1100-1250, Leiden / Boston: Brill 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 10 [15.10.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/10/37344.html


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Kersti Markus: Visual Culture and Politics in the Baltic Sea Region, 1100-1250

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Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um eine großangelegte, überregionale Studie zur Kirchenarchitektur im nördlichen Ostseeraum während der sogenannten Nordischen Kreuzzüge im 12. und 13. Jahrhundert. Kersti Markus führt hierin ihre seit ihrer Dissertationsschrift in verschiedenen Publikationen weiterentwickelten Thesen zur Repräsentation politischer Strukturen und Ziele in der Architektur zusammen und baut sie weiter aus.

Methodisch verbindet die Verfasserin Überlegungen der critical art history mit solchen der visual culture. Sie kombiniert die Frage danach, was ein bestimmtes Objekt repräsentiert, mit der gleichzeitigen Betrachtung der Kirchenbauten und ihrer Ausstattung in ihrer visuellen Umgebung und somit in ihrer Wirkung auf den Adressatenkreis. Auf diese Weise werden Ursprung und Funktion von Repräsentation sichtbar. Den vielfältigen Abbildungen kommt hierbei eine über die reine Illustration des Textes hinausgehende Bedeutung bei der Vorstellung, kontextuellen Einordnung und Interpretation der untersuchten Bauten und ihrer verschiedenen Funktionen zu. Neben visuellen Quellen werden schriftliche Quellen, vorwiegend historiografischer Natur, unterstützend konsultiert, sollen jedoch nicht als Leitfaden zur Interpretation der visuellen Repräsentationen dienen. Auf diese Weise ausgewertet, können visuelle Quellen die schriftlichen nicht nur ergänzen und komplementieren, sondern neue Erkenntnisse zutage fördern, insbesondere dort, wo die schriftliche Überlieferung rar ist oder einseitige Betrachtungsweisen anbietet.

Sekundärliteratur zur Bearbeitung dieses anspruchsvollen Vorhabens hat Markus in zahlreichen für den Untersuchungsraum relevanten Landes- und Wissenschaftssprachen konsultiert. Ein gemeinsames Orts- und Personenregister erschließt den Text. Ein zusätzliches Sachregister zu den behandelten kunst- und bauhistorischen Besonderheiten und eine tabellarische Aufstellung der vorgestellten Kirchen wären von Vorteil gewesen, in dem übersichtlich gegliederten Buch lässt sich jedoch auch so gut navigieren.

Den inhaltlichen Hauptteil des Werkes bilden vier je einer Region gewidmete Hauptkapitel. Hierbei wird ein Schwerpunkt auf die Untersuchung der Kirchen Dänemarks sowie des livländischen Raums gelegt. Nur etwa halb so lang fallen jeweils die Kapitel zu Schweden sowie Gotland beziehungsweise Visby aus.

Das zweite Kapitel - das erste der vier Hauptkapitel - beschäftigt sich mit der visuellen Rhetorik dänischer Kirchen zur Zeit der "Nordischen Kreuzzüge". Die Verfasserin stellt mehrere chronologisch aufeinanderfolgende Bautraditionen fest. Die visuelle Rhetorik unter Valdemar I. (1131-1182) und Erzbischof Eskils (1137-1177) zeichnet sich durch die intelligente und zielgerichtete Umsetzung des Anliegens aus, die politische Macht der königlichen Familie gegenüber anderen Clans mit Hilfe des christlichen Gottes zu sichern. Der nachfolgenden visuellen Rhetorik Knuts VI. (1182-1202) und Erzbischof Absalons (1128-1201) bescheinigt die Verfasserin hingegen eine offensive Brutalität bei der Umsetzung des Ziels, die königliche Macht insbesondere auf Seeland und Schonen zu zeigen und zu sichern. Eine andere Entwicklung lässt sich unter Valdemar II. (1202-1241) beobachten. Die unter der Ägide Anders Sunesens (Erzbischof von Lund 1201-1228) errichteten Kirchen stehen im Zeichen des Kreuzzugs und verbinden die Glorifizierung der dänischen Könige mit Heilsversprechen für die Teilnahme daran. Die Rhetorik war darauf angelegt, jene zu beeinflussen, die sich an der Kampagne beteiligen sollten.

Das eng mit der Geschichte und Politik Dänemarks verwobene Schweden bildet den Fokus des dritten Kapitels. Die Verfasserin konstatiert, dass sich die enge Verbindung dänischer und schwedischer Dynastien in der visuellen Rhetorik zeigt, sich diese Rhetorik jedoch aufgrund der beständigen internen Konflikte in Schweden nicht in gleicher Weise wie in Dänemark durchzusetzen vermochte. Die Positionierung der Kirchengebäude und ihre Anlehnung an die Ästhetik der Wikinger wird als Versuch gewertet, alte Bindungen zu lösen. Unter Sunesen scheint eine solche Annäherung nicht mehr notwendig gewesen zu sein, da die christliche Kirche und die mit ihr kooperierenden Familien sich in Schweden hatten durchsetzen können. Aus der Bautätigkeit auf den Ostseeinseln und um den Kalmarsund zieht Markus Rückschlüsse auf die Ordnung von Macht zur Zeit der Kreuzzüge, insbesondere auf den großen Einfluss Dänemarks in diesem Bereich, das sich so den Weg nach Livland sicherte.

In Bezug auf Visby, das den Schwerpunkt des vierten Kapitels bildet, betont die Verfasserin den kaufmännischen Einfluss auf die Entstehung neuer Kirchenbauten. Die Initiative zum Bau der Kaufmannskirchen sei jedoch von höchster Stelle gekommen. Die in direkter Nachbarschaft zur paganen Kultstätte in Visby errichtete Heiliggrabkirche und St.-Maria-Kirche beschworen bewusst das Bild der Heiligen Stadt herauf, passend zu den in der Mitte des 12. Jahrhundert in der Nachbarschaft angesiedelten Waffenschmieden der Kreuzfahrer. Markus betont die Bedeutung genauer Kenntnisse der vielschichtigen gesellschaftlichen Verhältnisse Gotlands für das Verständnis politischer Entwicklungen im Ostseeraum. Die Chronik Heinrich von Livlands sei in diesem Zusammenhang jedoch als Quelle ungeeignet, da sie, wie die Verfasserin anhand der vorhandenen visuellen Quellen nachweist, in Bezug auf Fragen zum Verhältnis zwischen Deutschen und Skandinaviern auf Gotland irreführende Informationen enthält, die auf der Zielsetzung der Chronik fußen, die Rolle der Dänen zu marginalisieren, und nicht etwa auf den tatsächlichen früheren Verhältnissen, die sie beschreiben will.

Das fünfte Kapitel wendet den Blick nach Livland als Ziel der Kreuzzugsbemühungen. Hierbei wird die deutsche und dänische Perspektive beachtet, mit einem Schwerpunkt auf den Gründungen der Städte Tallinn und Riga sowie der Ansiedlung der Zisterzienser. Die Verfasserin stellt fest, dass in der bisherigen - zumeist (baltisch-)deutsch geprägten - Forschung die Eroberung und Christianisierung Livlands einseitig unter Vernachlässigung der Rolle Dänemarks betrachtet worden sei. Tatsächlich sei dessen Rolle viel größer als bislang angenommen und Dänemark bereits vor den Deutschen an Livland als Teil der Handelsroute nach Novgorod interessiert gewesen. Die Gründung Tallinns sei bereits 1206 erfolgt. Vernachlässigt werde zudem die Rolle einheimischer Siedlungen, deren Vorhandensein Grundlage für die Errichtung Rigas und Tallinns war. Der Vergleich der Ansiedlung der Zisterzienser in Livland aus deutscher und dänischer Sicht zeugt von den vielschichtigen Beziehungen zwischen den Eroberern und deutet auf die strategische Relevanz Gotlands in diesem Gefüge hin.

Die Verfasserin kommt zu dem Schluss, dass die untersuchten Kirchengebäude im hohen Mittelalter keineswegs bloße Kopien westlicher Vorbilder waren, sondern oft sogar deren Weiterentwicklungen. Sie dienten eigenen, für den nördlichen Ostseeraum spezifischen weltlichen wie geistlichen Bedürfnissen und spiegeln die örtlichen Verhältnisse wider. Markus stellt anhand ihrer Untersuchungen zur Verflechtung visueller Kultur mit der Politik fest, dass die vermeintlich periphere Grenzregion zur Zeit der "Nordischen Kreuzzüge" als ein (geistliches wie auch kaufmännisches) Zentrum gesehen werden kann und wurde.

Die Monografie ist auch und vor allem ein Plädoyer für die Nutzung der Möglichkeiten visueller Quellen. Von der interdisziplinären und überregionalen Ausrichtung des Werkes wird die Forschung etwa zu Kreuzzügen, zur Regionalgeschichte oder zu Grenzräumen profitieren können, wenn auch mit Sicherheit nicht alle aufgestellten (Hypo-)Thesen unwidersprochen bleiben werden.


Anmerkung:

[1] Kersti Markus: Från Gotland till Estland. Kyrkokonst och politik under 1200-talet [Von Gotland nach Estland. Sakrale Kunst und Politik im 13. Jahrhundert], Tallinn 1999.

Sarah Jacob