Rezension über:

Etienne S. Benson: Surroundings. A History of Environments and Environmentalisms, Chicago: University of Chicago Press 2020, 278 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-0-226-70629-0, USD 27,50
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Rezension von:
Astrid Mignon Kirchhof
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Karlsruhe
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Astrid Mignon Kirchhof: Rezension von: Etienne S. Benson: Surroundings. A History of Environments and Environmentalisms, Chicago: University of Chicago Press 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 6 [15.06.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/06/35105.html


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Etienne S. Benson: Surroundings

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Der Autor des vorliegenden Bandes Surroundings. A History of Environments and Environmentalisms ist der amerikanische Umwelt- und Wissenschaftshistoriker Etienne Benson, der in seiner Studie der Frage nachgeht, wie Gesellschaften mit ihrer Umwelt in Verbindung traten und immer noch treten. Wie denken wir über Umwelt nach, was verstanden und verstehen vergangene und derzeitige Gesellschaften unter Umwelt und welches Konzept liegt und lag diesem Verständnis zugrunde? Obwohl Benson bereits auf den ersten Seiten deutlich macht, dass er einen "word-centered approach" (9) für seine Studie gewählt hat, bleibt er dennoch nicht dort stehen, sondern ist ebenso daran interessiert, wie sich dieses Umweltkonzept über die letzten 200 Jahre materialisierte und in unsere Denkweisen, Handlungen, Beziehungen und Praktiken einschrieb und schreibt. Er beginnt seine Studie daher folgerichtig zu einer Zeit, als das Konzept "Umwelt" noch nicht genutzt wurde - im späten 18. Jahrhundert.

Zum besseren Verständnis, wie er selbst angibt, folgt jedes der sechs Kapitel mit je einer Fallstudie derselben Struktur. Benson beginnt sein Buch im nachrevolutionären Paris und zeigt in seinem ersten inhaltlichen Kapitel wie Naturkundemuseen die Erfindung von Organismen und Umwelt in einer Naturgeschichte neu erfanden. Im zweiten Kapitel wendet sich der Autor den von Großbritannien kolonisierten Westindischen Inseln zu. Er analysiert, wie öffentliche Gesundheit und rassistische Benachteiligung zusammenhingen, weil die unternommenen Hygienemaßnahmen die hierarchischen Strukturen des europäischen imperialen Denkens verstärkten. In seinem dritten Kapitel untersucht er am Beispiel Chicagos in den 1920er-Jahren wie Industriestädte Umweltkonzepte nutzten, um soziale Reformprogramme durchzusetzen. Hierbei übernahmen Technokraten verschiedener politischer Provenienz das Konzept, um eine von oben organisierte Expertenkontrolle nationaler Ressourcen einzuführen. Im darauffolgenden Kapitel, in dem Benson den Nexus 'Biosphäre und Krieg' thematisiert, kommt er zu dem Schluss, dass auch nach dem Zweiten Weltkrieg die Biogeochemie und die Ökosystemökologie die nationale Sicherheit weiterhin stark prägten. Sodann untersucht der Autor im fünften Kapitel die Globalisierung der Umweltbewegung seit den 1970er-Jahren und befindet, dass sie vorhandene Unterschiede einebnete, weil sie annahm, dass Umwelt überall dasselbe bedeutete. In seinem letzten Kapitel nimmt der Autor die Klimabewegung des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Augenschein und urteilt, dass diese Bewegung die speziellen Bedürfnisse und Schwachstellen bestimmter, vor allem indigener Bevölkerungsgruppen ignorierte, was sich erst durch die Social-Justice-Bewegung verändert hätte. Bevor er zu einem ausführlichen Schlusskapitel kommt, fragt er, ob das Umweltkonzept, wie es über die vergangenen 200 Jahre genutzt wurde, heute noch passend sei oder besser ersetzt werden sollte und verneint diese Frage, plädiert aber dafür, es anders und neu zu nutzen. Damit meint Benson, dass die Engführung des Begriffs, der vor allem zur Installation und Festigung von Macht - Benson benutzt das Wort nicht, sondern nennt die historischen Umweltkonzepte kontraproduktiv und ungerecht - statt ausschließend und hierarchisch inklusiv genutzt werden sollten. Der Weg dorthin führt für ihn über neue Konzepte wie Vielfalt, in dem viele Spezies an einem Ort untersucht werden, anstatt nur eine Spezies in den Blick zu nehmen. Die Kategorien Klasse, Geschlecht und Rasse möchte er durch Spiritualität, Kulturalität, Historizität ersetzen, weil dadurch die Beziehungen indigener Bevölkerungen zu ihrem Land besser geschützt werden könnten. Sein Hauptargument ist hierbei, dass eurozentrische Kategorien indigener Geschichte, Kultur und Lebensweisen nicht gerecht würden. Weiterhin führt er globale Netzwerke auf, die ihm in der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Künstlern, Aktivisten und Laien der Garant dafür sind, durch die Aktivierung verschiedener Sinne, statt rein intellektueller Leistungen, einer Rettung und dem Schutz der Erde näher zu kommen.

Benson plädiert für eine neue Nutzung des Umwelt-Begriffs indem er Vielfalt, globale Netzwerke und Interdisziplinarität stark macht. Vor dem Hintergrund der Diskussionen vergangener Jahre ist das allerdings nicht neu, wenngleich Benson das Verdienst zukommt, es einmal explizit aufgeschrieben zu haben. Seine Mehrsprachigkeit scheint die Quellenauswahl beeinflusst zu haben, da er seinen Forschungsgegenstand anhand gedruckter Quellen aussuchte, die er im Original, in Englisch, Französisch und Deutsch lesen und analysieren konnte. Allerdings werden weder die verwendeten Primär- noch die Sekundärquellen in einem Verzeichnis aufgeführt und das Buch weist lediglich Endnoten auf, was es dem Leser oder der Leserin schwer macht nachzuvollziehen, welche Quellenkategorien von Benson gewählt wurden. In Bezug auf die Fallauswahl scheinen darüber hinaus die amerikanische Umweltbewegung (Kapitel 5) und die globale Klimabewegung (Kapitel 6) inhaltlich sehr nah beieinander zu liegen und wenig Neues zu Tage zu fördern.

Positiv hervorzuheben ist indes, dass Benson durch das ganze Buch selbstverständlich Wissenschaftlerinnen ebenso zitiert wie Wissenschaftler, um sein jeweiliges Argument zu stützen. Dass das zumindest im deutschen Kontext nicht unbedingt selbstverständlich ist, zeigt sich daran, dass es sofort ins Auge fiel. Insbesondere ist es dem Autor gelungen, eine bildliche Sprache und literarische Stilfiguren zu verwenden, sodass Sätze wie "For these purposes, a more modest selection of representative episodes suffices" (13) keine Seltenheit sind und Alliterationen an vielen Stellen des Buches von ihm genutzt wurden. Die Lektüre ist daher sowohl inhaltlich als auch formal bereichernd.

Astrid Mignon Kirchhof