Rezension über:

Birgit Hofmann (Hg.): Menschenrecht als Nachricht. Medien, Öffentlichkeit und Moral seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Campus 2020, 466 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-593-50898-6, EUR 49,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Robert Radu
Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Robert Radu: Rezension von: Birgit Hofmann (Hg.): Menschenrecht als Nachricht. Medien, Öffentlichkeit und Moral seit dem 19. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Campus 2020, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 2 [15.02.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/02/33832.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Birgit Hofmann (Hg.): Menschenrecht als Nachricht

Textgröße: A A A

Als im September 2015 das Bild eines zweijährigen Jungen um die Welt ging, der auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken war, schien sich darin die Flüchtlingskrise und die sie begleitende Asylrechtsdebatte auf drastische Weise medial zu verdichten. Die emotionale Sogwirkung, die solche Bildmedien durch ihre nahezu instantane Verbreitung weltweit entfalten, ist dabei durchaus nicht neu. "Wenn Bomben in Shanghai die Häuser zerschmetterten", erinnerte sich Stefan Zweig zu Beginn der 1940er Jahre, "wußten wir es in Europa in unseren Zimmern, ehe die Verwundeten aus ihren Häusern getragen waren. Was tausend Meilen über dem Meer sich ereignete, sprang uns leibhaftig im Bilde an. Es gab keinen Schutz, keine Sicherung gegen das ständige Verständigtwerden und Mitgezogensein." [1]

Was bedeutet es, wenn Menschenrechte - oder eben auch ihre Abwesenheit, wie es das Bild eines der Rechtlosigkeit ausgelieferten Jungen nahezulegen scheint - zur medialen Nachricht werden? Welche Rolle spielen und spielten Medien bei der Etablierung, Aushandlung und Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten? Wie wurden sie genutzt, um Öffentlichkeit herzustellen und Rechte einzufordern für bis dahin nicht sichtbare oder marginalisierte gesellschaftliche Gruppen?

Der hier zu besprechende Sammelband, hervorgegangen aus einer interdisziplinären Tagung an der Universität Heidelberg, knüpft an solche Fragen an und will dem Zusammenspiel von Medien, Öffentlichkeit und Moral in gegenwärtiger und historischer Perspektive nachspüren. Er versammelt 14 Beiträge, die grob in vier chronologisch ausgerichtete Blöcke unterteilt sind und einen Zeitraum von der Französischen Revolution bis ins 21. Jahrhundert abstecken.

Medien, so umreißt die Herausgeberin Birgit Hofmann die dem Sammelband zugrunde liegende Prämisse, seien nicht allein "ein Instrument, um etwas Außermediales zur Geltung zu bringen und dieses abzubilden." (12) Keineswegs sprächen Bilder oder auch Nachrichten über Menschenrechte je für sich, sondern eröffneten vielmehr immer mehrere Interpretationsmöglichkeiten, bis hin zu ihrer Negierung. "Mit Medialisierungsschüben verband sich historisch immer", so Hofmann, "sowohl die Möglichkeit des Kampfs für wie gegen Humanität und Menschenrechte." (13)

Der Sammelband versteht Medien "in einem weiteren, jedoch nicht im weitestmöglichen Sinne" (26) und bezieht neben klassischen Massenmedien wie der Presse auch zahlreiche Bildmedien mit ein. Diese Konzentration auf textuelle und visuelle Druckmedien ist mit Blick auf die erste Hälfte des Untersuchungszeitraums wohlbegründet, stellte doch insbesondere die Presse eine zentrale Plattform für die Diskussionen um Bürgerrechte, Menschen- und Minderheitenrechte, Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit dar. Wohl kaum zufällig fiel das Auftreten der Idee der Menschenrechte in eine Periode der massiven Ausbreitung der Druckerzeugnisse im späten 18. Jahrhundert (28).

So kann etwa Sylvia Kesper-Biermann in ihrem Beitrag zu Medialisierungen der Folter im langen 19. Jahrhundert zeigen, wie Romane, Ausstellungen, Postkarten oder Zeitschriftenartikel durch skandalisierende und emotionalisierende Darstellungen dazu beitrugen, das in Europa seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entstandene Anti-Folter-Narrativ zu verbreiten und der Vorstellung von Folter als grausamer Missachtung der Menschenwürde Vorschub zu leisten. Durch diese Popularisierung und Visualisierung des Torturverbots erst, so Kesper-Biermann, lernten die europäischen Gesellschaften "dauerhaft Folter als Menschenrechtsverletzung zu sehen und zu fühlen." (126)

Dass Medien auch in eine entgegengesetzte Richtung wirken können, verdeutlicht Patrice G. Poutrus in seinem Beitrag zu den antisemitischen Ausschreitungen, die sich im November 1923 im vornehmlich von Juden aus dem östlichen Europa bewohnten Berliner Scheunenviertel ereigneten. Am Beispiel der sozialdemokratischen, liberalen und konservativen Wiener Presse kann Poutrus zeigen, wie der antisemitische Charakter der Ereignisse in der medialen Darstellung fast vollständig zurücktrat und die Ausschreitungen als eine geradezu natürliche Folge der politischen und wirtschaftlichen Krise des Jahres 1923 erschienen. Die untersuchten Tageszeitungen boten damit eine Interpretation der Ereignisse an, in der weder das Leid der Opfer noch die Verletzung elementarster Rechte Raum fanden, worin Poutrus einen Beleg sieht für "the stance taken by the majority of society regarding violence against minorities or migrants." (206)

Wie sich marginalisierte oder kriminalisierte Gruppen medialer Darstellungsweisen bedienten, um öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu erzeugen und Menschen- und Bürgerrechte für sich einzufordern, zeigt Mirjam Schnorr in ihrem erhellenden Beitrag zur "Hurenbewegung" in der Bundesrepublik in den 1980er und 1990er Jahren. Durch Broschüren, Zeitschriften, Plakate, Flugblätter und Demonstrationen sei es den Akteurinnen der Bewegung gelungen, eine Öffentlichkeit für das Thema Prostitution zu schaffen und unterschiedliche Interessengruppen für einen Handlungsbedarf in Bezug auf das Prostitutionsgewerbe zu sensibilisieren (340).

In der Summe bietet der Band eine gelungene Zusammenstellung von, für sich genommen, instruktiven Beiträgen, die jedoch aufgrund einer sehr breiten, mithin unscharfen Anwendung der zentralen Analysebegriffe häufig eher unverknüpft nebeneinanderstehen. Die Vielfalt an Perspektiven und Reflexionen, die der Band liefert, muss keinen Nachteil darstellen; sie zeigt vielmehr die hohe Anschlussfähigkeit, die das Bedingungsverhältnis von Medien, Öffentlichkeit und Menschenrechten für künftige Untersuchungen bietet. Zu wünschen wäre dann eine stärkere Einbeziehung der im 20. Jahrhundert prägend gewordenen Massenmedien, die nicht zuletzt durch ihre audiovisuellen Darstellungsweisen neuartige Strategien der Sensibilisierung, Emotionalisierung und Skandalisierung von Menschenrechten und Menschenrechtsverletzungen bewirkt haben dürften.


Anmerkung:

[1] Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Stockholm 1944, 11.

Robert Radu