Tamira Combrink / Matthias van Rossum (eds.): Europe and Slavery: Revisiting the Impact of Slave-Based Activities on European Economies, 1500-1850, in: Slavery & Abolition 42,1 (2021), 1-178.

Von Stephan Conermann, Bonn

Die Sklavereiforschung diskutiert seit etwa 10 Jahren wieder intensiv die Frage, inwieweit der europäische Kapitalismus auf den auf dem Rücken versklavter Personen erzeugter Warenketten basiert. Dabei geht es nicht mehr um den Nachweis der direkten Teilnahme an dem Menschenhandel und der Plantagenwirtschaft, sondern um die indirekten (sehr positiven) Auswirkungen auf die europäischen Ökonomien. Letztlich möchte man wissen, inwieweit die zunehmende globale Dominanz Europas auf dem von ihm selbst geschaffenen System unfreier Arbeit basiert. Das vorliegende Heft, das sich ebenfalls diesem Thema widmet, ist aus Konferenzen hervorgegangen, die die beiden Herausgeber im Rahmen von zwei von der Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek (NWO) finanzierten Projekten 2015 (in Kyoto) und 2018 (in Boston) organisiert haben: (1) "Slaves, Commodities and Logistics: the direct and indirect, the immediate and long-term economic impact of eighteenth-century Dutch Republic transatlantic slave-based activities" (Leitung: Marcel van der Linden; Mitarbeiter*innen: u.a. Tamira Combrink; Laufzeit: 2014-2019); (2) "Between Local Debts and Global Markets: explaining slavery in South and Southeast Asia 1600-1800" (Leitung: Matthias van Rossum; Laufzeit: 2016-2019).

In ihrer Einleitung erzählen Matthias van Rossum und Tamira Combrink, dass sie die Autor*innen gebeten haben, in den von ihnen untersuchten Wirtschaftseinheiten den mit der Sklaverei zusammenhängenden Handel zu ermitteln, nach Möglichkeit den Umfang dieser Wirtschaftszweige anzugeben und ihre Rolle im Verhältnis zu den Volkswirtschaften insgesamt durch die üblichen Indikatoren (Handelsvolumen, Wirtschaftswachstum, Beschäftigungszahlen etc.) zu benennen. Der Clou dieses Vorgehens besteht darin, auf diese Weise die Bedeutung der Sklaverei für Gesellschaften über Zeit und Raum hinweg zu bewerten, unabhängig davon, ob diese Institution selbst in den Gemeinschaften existierte oder ob sie nach außen verlagert wurde und anderenorts stattfand. Schauen wir uns die Ergebnisse der einzelnen Beiträge kurz an: Tamira Combrink befasst sich in ihrem Artikel mit der Entwicklung der Warenkette des Kaffees im achtzehnten Jahrhundert. Sie reichte von der Versorgung der Sklavenschiffe in der Niederländischen Republik über den Sklavenhandel, die Plantagen, den Transport des tropischen Produkts nach Europa, seine Verarbeitung in der Niederländischen Republik bis hin zu seinem endgültigen Export ins europäische Hinterland. Combrink beleuchtet die Rolle der Niederländer in dieser Kette und in dem damit verknüpften innereuropäischen Handel. Der Kaffeemarkt breitete sich schnell auf die Binnenregionen des europäischen Kontinents aus. Diese Dynamik wiederum führte zu einer Ausbreitung der Sklaverei in Niederländisch-Guayana und Französisch-Westindien. Der Anteil des Kaffees am niederländischen Handelsvolumen steig dadurch im Laufe des 18. Jahrhunderts von 1 % auf 9,5 %. Pepijn Brandon und Ulbe Bosma kommen zu ähnlichen Ergebnissen: ihnen zufolge fußten im Jahre 1770 5,2 % des BIP der Niederländischen Republik und 10,36 % des BIP ihrer reichsten Provinz Holland auf der atlantischen Sklaverei. 19 % der niederländischen Importe und (Re-)Exporte setzten sich in diesem Jahr aus Zucker, Kaffee und Tabak zusammen, so dass sich in dieser Zeit bis zu 40 % des gesamten holländischen Wirtschaftswachstums auf die Sklaverei zurückführen lassen. Nicht ganz so einfach stellt sich die Situation zwischen Brasilien und Portugal da. Zwar präsentiert Filipa Ribeiro da Silva vorläufige Schätzungen der Bruttogewinne, die durch die portugiesisch-brasilianische Beteiligung an der Sklavereiwirtschaft erzielt wurden, doch sind diese Zahlen, wie sie selbst sagt, wegen der großen methodischen Schwierigkeiten angesichts der lückenhaften Quellen mit Vorsicht zu genießen. Interessanterweise profitierte - im Unterschied zu den Verhältnissen in den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich - die Kolonie (Brasilien) sehr viel mehr von dem Handel als das Mutterland (Portugal). Darüber hinaus verschiffte man die Produkte nicht nach Portugal, sondern in erster Linie in nordwesteuropäische Häfen.

Es ist bemerkenswert, dass die Forschung bislang den Fokus fast ausschließlich auf Westeuropa gelegt hat. Die Verflechtung mittel- und osteuropäischer Länder in den transatlantischen Dreieckshandel ist bisher noch nicht ausreichend untersucht worden. Anka Steffen beschäftigt sich erfreulicherweise in ihrem Artikel mit Schlesien und der dortigen Leinenproduktion. Sie kann sehr schön zeigen, wie eng während der 18. Jahrhunderts schlesische Leinenstoffe mit der auf der Ausbeutung der Arbeit von Sklav*innen erzeugten Wertschöpfungskette verknüpft waren. Steffen meint, dass "at least 15% of the total value of all manufactures produced in the Prussian state in 1793, worth 37,144,993 thalers, was connected to slave-based activities in that year." (121) Zwar ist es nicht möglich, ähnlich exakte Angaben für andere Jahre zu machen, doch geht sie davon aus, dass in Friedenszeiten der Anteil sogar noch höher gewesen sei.

Die Wertschöpfungskette des Zuckerhandels steht schließlich im Zentrum des letzten Beitrags. Britischen Pflanzern in der Karibik war es aufgrund eines geschützten Zuckermarktes in Großbritannien vergönnt, hohe Gewinne zu erzielen. Wie Klas Rönnbäck nachweisen kann, profitierten darüber hinaus insbesondere britische Raffinerien von dieser protektionistischen Politik. Die Großhandelspreise für Vollrohrzucker entsprachen mehr oder weniger den Preisen unter freien Marktbedingungen, wohingegen der Preis für raffinierten Zucker in Großbritannien wohl erheblich höher war als auf dem freien Markt. Rönnbäck zufolge trug der Dreieckshandel im späten achtzehnten Jahrhundert etwa 5 % zum britischen BIP bei. Hat man den amerikanischen Plantagenkomplex insgesamt und die davon abhängigen britischen Industrien insgesamt im Auge, so waren Mitte des 18. Jahrhunderts ca. 11,2 % des britischen BIP mit der Sklaverei verbunden.

Die Artikel zeigen, dass Sklaverei und Kolonialismus eine zentrale Rolle bei dem Aufstieg Europas und der damit verbundenen weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung gespielt haben. Die Produktion von Waren und Dienstleistungen erfolgte dabei in komplexen, netzwerkartigen Organisationsformen, die eine Vielzahl von Akteuren und Weltregionen miteinander verknüpften. In seinem Kommentar zu den Beiträgen des Themenheftes schreibt Sven Beckert: "To understand slavery's economic impact on Europe, we need to position both Europe and slavery within the newly emergent world economy and look at the spread of capital, the transformation of production and the thickening of state power as related processes across vast spaces." (171) Es ist ihm zustimmen, wenn er meint, dass kritische Forschung ihren Blick auf ungleiche Machtverhältnisse zwischen den beteiligten Akteuren legt und danach fragt, wer sich wieviel Wert entlang der Warenkette aneignet. Es gilt in der Tat, das Bewusstsein für (globale) Wertschöpfungs- oder Warenkettenansätze zu schärfen, um dadurch Verbindungen und Verflechtungen zwischen politischen und wirtschaftlichen Akteuren und Entwicklungen zu verstehen.