Rezension über:

Antonio Pigafetta: Die erste Reise um die Welt. An Bord mit Magellan. Erstmals vollständig übersetzt und kommentiert von Christian Jostmann, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020, 272 S., 30 Farbabb., ISBN 978-3-534-27217-4, EUR 28,00
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Rezension von:
Patrick Schmidt
Historisches Institut, Universität Rostock
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Patrick Schmidt: Rezension von: Antonio Pigafetta: Die erste Reise um die Welt. An Bord mit Magellan. Erstmals vollständig übersetzt und kommentiert von Christian Jostmann, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 6 [15.06.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/06/35104.html


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Antonio Pigafetta: Die erste Reise um die Welt

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Weltumsegelungen üben bis heute eine erhebliche Faszination auf die breite Öffentlichkeit aus. Sie erscheinen als Unternehmungen, bei denen Menschen an ihre Belastungsgrenze und über diese hinausgehen. Die symbolische Bedeutung, mit der sie aufgeladen sind, steht in einer inversen Beziehung zum ökonomischen Nutzen von Weltumsegelungen. Für den Seehandel sind sie im Zeitalter der Segelschiffe nie zu einer ernsthaften Option geworden. Wikipedia verzeichnet für das 16. Jahrhundert lediglich zwölf Weltumrundungen, für das 17. Jahrhundert sieben und für das 18. Jahrhundert 15. Vielleicht ist es gerade die Seltenheit solcher Reisen, die sie zu einem Faszinosum werden lässt.

Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft hat jedenfalls auf Publikumsinteresse gesetzt, als sie die Neuedition und -übersetzung von Antonio Pigafettas Primo viaggio intorno al globo terracqueo in Auftrag gab. Denn diese Edition wendet sich an ein breiteres Publikum - was nicht heißt, dass sie für Forschung und Lehre unbrauchbar wäre. Um eine kritische Edition handelt es sich indes nicht. So werden keine alternativen Lesarten angegeben; die Sachanmerkungen liefern keine weiterführende Literatur. Sehr wohl allerdings geht Christian Jostmann, der Übersetzung und Kommentar besorgt hat, in der Einleitung auf die Überlieferungsgeschichte der Pigafetta-Manuskripte und die Editionsgeschichte ein. Die wichtigste Quelle zur Pionier-Weltumsegelung unter dem Kommando von Fernâo da Magalhâes ist in einer im venezianischen Dialekt verfassten und drei französischsprachigen Ausgaben erhalten. Jostmann hat sich im Wesentlichen auf die erstgenannte Version gestützt und hilfsweise die französischsprachigen Manuskripte herangezogen.

Die älteste deutschsprachige Edition dieses Reiseberichtes in der Übersetzung von Christian Wilhelm Jakobs und Friedrich Christian Kries ist 1801 unter dem Titel Anton Pigafetta's Beschreibung der von Magellan unternommenen ersten Reise um die Welt in Gotha bei Perthes erschienen. 1968 kam eine zweite, von Robert Grün besorgte Übersetzung auf den Buchmarkt, die unter leicht variierenden Titeln (Die erste Reise um die Erde, Mit Magellan um die Erde) bei verschiedenen Verlagen immer wieder neue Auflagen erlebt hat. Jostmann kritisiert in seiner Einleitung die letztgenannte Edition; es handele sich "weniger [um] eine Übersetzung als eine Umdichtung". (37) Dagegen gebe er "den vollständigen Text der Mailänder Handschrift L 103 Sup so originalgetreu wie möglich" wieder. (ebd.) Auf dem Schutzumschlag der neuen deutschsprachigen Ausgabe prangt der Claim "Erstmals vollständig übersetzt und kommentiert von Christian Jostmann". Dem Rezensenten fehlen der Zugang zu den Originaltexten, die (Sprach-)Kompetenz und die Zeit, um diesen Anspruch zu überprüfen. Er wirkt auf ihn allerdings etwas marktschreierisch. Vergleicht man den Seitenumfang der zu besprechenden Edition (238 Seiten) mit den beiden älteren - die von Jakobs und Kries hat 296 Seiten, die von Grün 295 -, erscheint es unwahrscheinlich, dass die beiden letzteren größere Teile der Originaltexte ausgelassen haben. Welche dichterischen Freiheiten sich Grün genommen hat, kann der Rezensent nicht beurteilen. Es kann durchaus sein, dass Jostmanns Übersetzung textgetreuer ist.

Fernâo da Magalhâes hatte im frühen 16. Jahrhundert als Soldat aktiven Anteil an der portugiesischen Expansion im Indischen Ozean. Nachdem er sich in seiner Heimat nicht hinreichend gewürdigt und gefördert sah, trat er mit einer brisanten Idee an König Karl I. von Spanien heran: Gebe man ihm Männer und Schiffe, werde er zeigen, dass es möglich sei, die Inselgruppe der Molukken, auf denen wertvolle Gewürze wie die Nelken wuchsen, über einen westlichen Seeweg zu erreichen, und das hieß auch: ohne von Portugal dominierte Seegebiete zu durchqueren. Zugleich ging Magalhâes davon aus, dass die "Gewürzinseln" zur 'spanischen Hälfte' der Welt (gemäß dem Vertrag von Tordesillas) gehörten und ihre Reichtümer demgemäß von Spanien ausgebeutet werden könnten. Der König bewilligte dem Abenteurer fünf Schiffe und 240 Männer. Am 10. August 1519 stach die kleine Flotte in See. An Bord befand sich auch der venezianische Patriziersohn Antonio Pigafetta. Man könnte ihn als Passagier bezeichnen, denn er füllte an Bord keine definierte Position aus. Er wurde indes zum Chronisten der Reise. Diese als abenteuerlich zu bezeichnen, wäre fast noch untertrieben. Sie dauerte gut drei Jahre, und am Ende kehrte nur ein Schiff mit 18 Überlebenden nach Spanien zurück. Magalhâes gehörte nicht zu ihnen; er wurde bei einem Gefecht auf der Philippinen-Insel Mactan getötet. Das Kommando über die schrumpfende Flotte übernahm danach Juan Sebastian del Cano.

Pigafettas Reisebericht bietet dementsprechend auch Leser*innen des frühen 21. Jahrhunderts eine spannende Lektüre. Er berichtet von einer Meuterei, von den Entbehrungen der monatelangen Pazifik-Überquerung, von Flora und Fauna der besuchten Gestade, von Sitten und Gebräuchen fremder Völker, von friedlichen wie von gewaltsamen Interaktionen mit den Bewohnern Südamerikas und den Menschen auf den Inseln des Pazifischen und Indischen Ozeans. Wenn der Venezianer auch einen Sack voller Vorurteile mit auf die Reise genommen hatte, so war er doch auf der anderen Seite durchaus aufgeschlossen und neugierig. Bezeichnend hierfür ist beispielsweise, dass er Glossare für einige Sprachen anlegte, mit denen er in Kontakt kam: Wir finden die "Vokabeln der patagonischen Riesen" (79-80), die "Vokabeln dieser heidnischen Völker [auf den Philippinen]" (143-146) und die "Vokabeln dieser maurischen Völker [auf den Molukken]" (204-212).

Jostmanns Übersetzung liest sich flüssig und seine Sachanmerkungen sind hilfreich. Die Farbabbildungen, die in der Mehrzahl Karten von Inseln und Inselgruppen zeigen, die Pigafetta angefertigt hat, sind von hervorragender Qualität. Jostmanns Einleitung ist sehr informativ, was nicht Wunder nimmt, da der österreichische Historiker auch Verfasser eine Monographie über Magelhâes' Weltumsegelung ist. [1] Sie deutet aber auch das verschwendete Potential dieser Edition an. Im Abschnitt "Zwischen Literatur und Geschichte" (30-34) thematisiert Jostmann die Parteilichkeit Pigafettas (er spricht von einer "Magellan-Apologie") und weist auch darauf hin, dass dieser in seiner Darstellung außereuropäischer Kulturen das tatsächlich Gesehene und Gehörte mit "Wissen und Legenden aus bereits publizierten Reiseberichten" vermischte. (34) In den Sachanmerkungen wird diese Thematik allerdings nicht weiterverfolgt - bei ihnen handelt es sich um bloße Erklärungen von Wörtern und Dingen. Ein umfangreicher Anmerkungsapparat könnte nicht-wissenschaftliche Leser*innen abschrecken - diese Überlegung mag den Verlag dazu bewogen haben, die Fußnoten knapp zu halten. Diese Annahme ist nachvollziehbar. Wahr ist aber ebenso, dass auch (und gerade) nicht-wissenschaftliche Leser*innen diesen Reisebericht mit größerem Gewinn lesen könnten, wenn für sie nachvollziehbar wäre, wie Pigafetta gearbeitet hat, und wo genau er Selbst-Erlebtes mit Gelesenem vermischt hat. Die Chance dazu wurde vertan.


Anmerkung:

[1] Christian Jostmann: Magellan. Oder die erste Umsegelung der Erde. München 2019.

Patrick Schmidt